Erosion - Norddeutscher Zenkapfel mit progressiv-brutalem Schmackofatz

Dogro

Till Deaf Do Us Part
Ich habe es wohl ab und an mal erwähnt, wie großartig ich die Hamburger Truppe EROSION finde. Aber irgendwie bin ich bislang nicht dazu gekommen, etwas detailierter auf die lange nicht mehr existierende Band einzugehen. Dies möchte ich nun nachholen.

Angefangen hat alles mit der Band Black Laws, die es aber nie über Demo-Stadium hinaus gebracht hat. Einzig die Teilnahme auf der ersten Ausgabe des Tapesamplers "Total Massacre", auf welchem außerdem Minotaur, Entire Defeat (ein Spaßprojekt etlicher HH Mucker),Torment und Xandril mit je 2 Songs zu finden sind, ist heute als Tondokument in meinem Besitz. Man tauscht einen Gitarristen aus und nennt sich ab 1986 Erosion. Für Metal-Beamten sei erwähnt, dass bis auf Drummer Klaus Nowakowski alle Ur-Erosioner zuvor bei Minotaur aktiv waren. Ulf Kaiser und Sänger Chris Zenk sind ja auch noch auf dem ersten Demo eben jener zu hören. Anyway, es erscheint ein erstes Erosion-Demo namens 'Way Of Force", welches in allen Gazetten sehr gute Kritiken einheimst. Nicht nur im Metal-Bereich, auch in Hc-Kreisen wird die Band gut aufgenommen. Die frühen Auftritte zeigen dann auch, was diese Band von ihren Mitbewerbern abhebt: Sänger Chris mutiert auf der Bühne zum urgewaltigen Brüllwürfel und die musikalische Durchschlagskraft ihrer Musik ist sehr deutlich von Bands wie Discharge, Voivod, Blessed Death und Carnivore geprägt. Dabei ist man aber immer sehr verschachtelt unterwegs, sodass auch solche Prognasen wie ich, sofort begeistert sind. Okay, meine persönliche Freundschaft zu einigen Beteiligten mag sicherlich die rosaten Ohren an den Start gebracht haben, aber auch nachdem mein Kumpel Ulf nicht mehr mit dabei war, ließ meine Begeisterung nicht nach. Ganz im Gegenteil. Aber ich will Euch hier nicht mit zwischenmenschlichem Tritratrulala nerven. Back to the music.

Man bekommt zügig einen Deal bei We Bite Records und zimmert das für mich beste Debüt einer deutschen Band ein. Sein Titel: "Mortal Agony". Als Bonus auf der CD findet man mit 'The King' übrigens eine alte Black Laws-Nummer. Die Band spielt sich den Arsch ab, ist sogar im Vorprogramm von Ludichrist auf D-Tour und wird live immer intensiver. Beinahe wäre man bei Argh-Records gelandet, denn es wird ein Demo unter Regie von Mekong-Delta-Kopf Ralph Hubert aufgenommen, welches sehr vielversprechend klingt. Wird dann aber doch nichts. Ulf Kaiser ist inzwischen durch Michael Hankel ersetzt worden - einige werden ihn als Tourmanager von Sacred Reich oder als ehemaligen Gitarristen von Holy Moses her kennen.
Ein zweites Album namens "Thoughts" wird nachgelegt und man entfernt sich noch weiter vom Metal der reinen Lehre. Basser Jan Büning (ja, der) wurde durch Rainer Wischneswski am Bass ersetzt, welcher eher aus dem Punk/HC-Sektor kommt. Der trocken-brutale Sound des Albums ist erstmal schwer verdaulich, aber schnell wird klar, dass hier nur noch wütender musiziert wird. Erneut spielt man sich durchs HH Nachtleben, ohne dass sich der verdiente Erfolg überregional einstellen würde. Rainer verlässt die Band und mit Peter Ewald am Bass wird das bis dato härteste Album - schlicht "III" betitelt - veröffentlicht. Zuvor gibt es mit dem rasanten "Gunman" eine appetitliche Single mit drei Non-Album-Tracks als Anheizer.
Die Record-Release-Party im Logo zu HH wird dann zu einem der aggressivsten Konzerterlebnisse für mich. Und zwar im positivsten Sinne. Der NDR ist dabei und es gibt sogar ein Interview im "Club", wo auch Auszüge aus diesem Konzert gespielt werden.
Die Band ist so schlau als Intro Kriegslärm in ohrenbetäubender Lautstärke auf das proppevolle Logo abzufeuern. Und zwar in schier endloser Länge. Es wird nervig, unangenehm, die Stimmung wird also hier schon explosiv und als die Band dann endlich loslegt, drehen alle (!) kollektiv am Rad. Ich bin ja nun kein Stagediver und auch sonst eher der Zuhörer bei Konzerten, aber hier ging es auch mit mir durch. Fliegende Körper, zappelnde Voodootänzer und dazu eine Band, die wie in Trance das musikalische Inferno lostritt. Bis heute unvergessen!
Mit dem Ausstieg von Sänger Chris verlor ich das Interesse an der Band, denn das letzte Album ohne ihn war irgendwie zahnlos. Wie auch die Auftritte.
Zenk und Peter habe danach noch zwei deutschsprachige Alben mit der Band Schwanensee veröffentlicht, die ich sehr toll finde. Mainman Steve Röhmhild spielt heute bei Der Fluch, OHL und den Rykers (zwischendurch auch bei Warpath).
Wer jetzt Bock auf ein bisschen Hören hat, folgen nun ein paar Beispiele:
'Into The Void' ("Mortal Agony") 1988

https://www.youtube.com/watch?v=bWCCkEwZksg
"Thoughts" ganzes Album

https://www.youtube.com/watch?v=BwUnF1wI3yc
"Gunman" EP

https://www.youtube.com/watch?v=7SVbzvf-4wI
'Erosive Life' ("III)

Leider gibt es kaum Livemitschnitte, aber es gibt ein Konzert aus dem Störtebeker. Leider nur als Quartett, weil Michi da nicht konnte. Trotzdem feist:
https://www.youtube.com/watch?v=1nhVuuiitvU

Für Interessierte hier noch Schwanensee:

https://www.youtube.com/watch?v=vL5H41UKsVU

Die Band hat gerade die Rechte an ihren Scheiben zurück erworben, sodass das Material bald recht einfach zu bekommen sein sollte. Bei Interesse auch gern an mich wenden.

Love, peace & pitbulls
 
Ich bin auch nur auf Idee gekommen, weil ich gerade in meinen Shirts ein altes Erosion-Shirt wieder gefunden habe und eben den Logo-Mitschnitt auf den Löffeln hatte. Jetzt brauche ich ein paar Porter um runter zu kommen.
 
Ha, sehr geil. Hab auch schon lange mit dem Gedanken gespielt einen Thread über EROSION aufzumachen.

Ich persönlich habe an der "III" und an der "Gunman" Maxi einen totalen Narren gefressen.

Was habe ich die beiden Scheiben in den 90ern rauf und runter gehört. "Dead Europe" & "Germany 2003" & "Power within" & "7th Floor" & so weiter :verehr::verehr::verehr:.

Die ersten beiden haben mich jedoch nie so richtig gekriegt, ich muss die mal wieder auflegen.

1x live gesehen, 1993 oder 94 in Oldenburg zusammen mit GROWING MOVEMENT. Perfektes Package war das damals, unvergesslicher Konzertabend. Ein einziger genialer Abriss von beiden Bands. Dürfte kurz nach dem oben von @Dogro genannten Konzert in Hamburg gewesen sein. Und ja, das war höchst positiv-aggressiv !

Ja, wenn die Truppe sich wieder zusammen raufen würde... Ich täte hingehen.

Habe grade die "III" laufen und wühle im Gedächtnis an das Konzert hier. Als eben "Power within" lief hatte ich dann auch wieder die Szenerie genau vor Augen. Da flog wirklich alles und jeder durch die Luft. In der Tat, unvergesslich.

Ganz großes Kino ist ja auch die Gastperformance von Chris Zenk auf dem "Brüder und Schwestern" Album von MASTINO bei "Ich in Geschichte".



( Coverabbildung bei YT zeigt das falsche Album )
 
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Denke ich an Erosion, dann denke ich an den kauernden Neandertaler mit dem relaxt baumelnden Piephahn auf dem Cover von "Thoughts" und an den hektischen, oftmals in unterschiedlichen Tempi zugleich ballernden, unfassbar zornigen Mix aus ausgeklügeltem Thrash Metal und Komaschellen-Hardcore, der nicht nur in Sachen Aggressivität, sondern auch was die musikalische Klasse angeht, seinesgleichen suchte und immer noch sucht. Ich empfand die Band immer, besonders jedoch auf diesem Album, als eine Art tollwütige Version von Toxik mit einem vom Klebstoffschnüffeln irre gewordenen Hooligan als Sänger. Und es gibt bis heute nichts und niemanden, der so klingt wie Erosion. Musik, die ohne auch nur den Ansatz von Hooklines so sehr fesselt, das kriegen nur die Besten hin - oder die Beklopptesten...!
 
Ui, an den Toxik-Vergleich hatte ich noch nie gedacht. Aber ja, diese Techno-Thrash-Schublade passt natürlich. Ich erinnere mich noch, wie ich Steve irgendwann zu einem Konzert abgeholt habe und er zuhause dabei ware eine Mekong Delta Scheib mitzuspielen. Das tat er während wir uns unterhielten. Eher so nebenbei. Ich war beeindruckt ...

Die Band hatte immer auch irgendwas Verstörendes an sich. Das war meist recht lustig, wenn man als Support für eine andere Band unterwegs war und das Publikum etwas überfordert wirkte. Vor allem, wenn Chris dann manchmal in die Menge ging und irgendwen liebevoll in den Schwitzkasten nahm.

Sehr spannend auch die Band Caput, hier zu sehen live in Pinneberg:
https://www.facebook.com/Caputmusic/videos/251371011936031
 
Jetzt bin ich bannig überrascht. Dachte, dass wäre Dir zu brüllig.

Nö, ich mag hektischen Techno Thrash. Die Momente, wo die Drums kurz davor sind, die restliche Band zu überholen, jedoch immer wieder im allerletzten möglichen Moment zurück zu ihr findet, das ist doch der wahre Spirit handgemachter Thrash-Musik. Ich liebe ja z.B. Taramis, die hatten auch immer auch so'ne leicht hektische Schlagseite.
 
Was sie schon immer über Erosion wissen wollten, aber nicht wussten, wen zu fragen. Schönes Ding.

Thoughts ist ja erwiesenermaßen ein Gottalbum. Das war Math-Core als es das noch gar nicht gab.

Das Debüt kenne ich zwar, habe aber mal versäumt, das zu kaufen. III ist auch dufte. Hatte sie zu der Tour mal in der Markthalle gesehen. Der Zenk hatte schon ne Bühnenpräsenz. Keine Ahnung wer da noch gespielt hat.
 
Die III und die Gunman 7" laufen bei mir mindestens 1x im Monat. Absolute Göttergaben, schiere Brutalität. Die beiden ersten Lps sind gut, konnten mich aber nie so mitreißen, wie die die eben erwähnten.
 
Erinnert mich daran, dass ich die III noch wieder brauche. Ist mir irgendwie vor Urzeiten abhanden gekommen und seitdem ist da diese Lücke. Das Debüt fehlt mir auch, aber das hatte ich wenigstens auch noch nie...
 
"Mortal Agony" ist eins der zehn besten Thrash Metal Alben, die je aus Deutschland kamen. Pflicht. Punkt. Ausrufezeichen.
Der Nachfolger hat mich irgendwie bislang nicht gepackt, zu HC lastig für mich, aber das ist Geschmackssache. Das Debüt ist mir aber verdammt wichtig.
 
Wer noch eine Xmas Alternative sucht, empfehle ich diese 7", an der Mister Zenk auch beteiligt war.

Da is die ganze HHler Indie-Szene der späten 80er/frühen 90er zu hören. Das L'Age D'Or Label hat dann später so unbekannten Kram wie Tocotronic veröffentlicht. Die Pi/HH Blase in vollem Glanze.
 
Zuletzt bearbeitet:
Schön, dass hier etwas Leben in der Bude ist.
Habe gerade noch einen Mitschnitt aus der Markthalle gefunden. Kann mich nicht mehr erinnern, wer da Headliner war. Das Publikum ist aber offenbar leicht irritiert über das, was da auf der Bühne abgeht. Wobei ich sagen muss, dass die Band da schon in der Übergangsphase zu Schwanensee war, denn der Song ist dann später auf deren Debüt gelandet. Erkenne auch grad den zweiten Klampfer nicht. Hm ...

 
Ha, sehr geil. Hab auch schon lange mit dem Gedanken gespielt einen Thread über EROSION aufzumachen.


1x live gesehen, 1993 oder 94 in Oldenburg zusammen mit GROWING MOVEMENT. Perfektes Package war das damals, unvergesslicher Konzertabend. Ein einziger genialer Abriss von beiden Bands. Dürfte kurz nach dem oben von @Dogro genannten Konzert in Hamburg gewesen sein. Und ja, das war höchst positiv-aggressiv !

Möchte hier kurz mal Growing Movement hervorheben. Für mich eine der wichtigsten Hardcore Bands Deutschlands. Waren ihrer Zeit voraus und mit etwas mehr Enthusiasmus hätte aus denen was werden können. So sind sie nur meine Herzensband. Nun aber zurück zu Erosion :)
 
Danke für diesen Thread!

Die 'Mortal Agony' hat damals heftig bei mir eingeschlagen. Das war musikalisch wie textlich genau meine Baustelle. Und dann kam es auch noch aus der Heimatstadt. Ich habe die Platte vor ein paar Wochen erst gehört und finde sie immer noch schwer geil. Es ist mir ein Rätsel, warum nicht zumindest noch die ebenfalls tolle 'Thoughts' in meinem Regal steht. Obwohl ich zu der Zeit stilistisch weit ausschweifte, passte die trotzdem noch klar in mein Beuteschema und ich weiß sicher, dass ich sie damals auch schon häufig gehört habe. Jemand im Freundeskreis wird sie wohl gehabt haben. Aber anstatt weiter darüber nachzugrübeln, werde ich mir die Scheibe einfach bei nächster Gelegenheit besorgen. Und die späteren Werke werde ich auch antesten.

Ich weiß noch mit Sicherheit, dass ich die Band auch live genossen habe, nur nicht mehr wo und wie oft. Ich erinnere mich außerdem, dass ich den Zenk auch auf Konzerten anderer Bands getroffen habe und er sich als hochsympathischer und angenehmer Gesprächspartner erwies. Im Kontrast zu seiner Bühnenpräsenz machte er auf mich einen eher ruhigen und abgeklärten Eindruck.
 
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