Urgewalt!
Ein Album, das in diesem Jahr neu aufgelegt wird: The Almighty's "Powertrippin'".
1993: Der Grunge regiert, zumindest, wenn es nach der Fachpresse geht. Der "klassische" Metal ist auf dem Rückzug, die 90er sind "alternativ" - und in der damaligen Clique der höheren Handellsschule sind Nirvana, Paradise Lost und Rage der heiße Scheiß. Eines Tages kommt dann Jemand mit eben dieser CD um die Ecke: Große Pause, ab in isn Auto - und Probehören.
Ich selbst beschäftigte mich seinerzeit eher mit Dream Theater und dem Threshold-Debut, der Progressive-Rock und Metal entwickelte sich zu einer Leidenschaft. Demgegnüber standen aber durchaus wütende Alben: Nirvana's "Nevermind", viel mehr aber Warrior Souls "Salutations from the Ghetto Nation" - in meinen Eingangsreview noch recht kurz abgehandelt.
Was also waren "The Almighty"? Die Wurzeln der Band lagen durchaus im klassischen Rock. AC/DC und Motörhead dürften Bands gewesen sein, die die Schotten durchaus inspiriert haben dürften, Black Sabbath legten eine gewisse Düsternis mit in den Grundsound - und der Grunge, zumindest in der Form, wie ihn Kurt und seine Mannen praktizierten, der war auch nicht spurlos an Ricky Warwick und Pete Friesen vorbeigegangen.
"Powertrippin'" war ein absolut wichtiges Album zur damaligen Zeit für mich: neben der progressiven Schiene und der Art Metal, die mich seinerzeit mehr und mehr zu begeistern vermochte (nehmen wir mal Savatage und Metal Church, aber auch Armored Saint hinterließen ihre Spuren - wobei bei Letzteren seinerzeit nicht klar war, ob da überhaupt noch was kommen würde nach dem genialen "Symbol of Salvation") gab es auch noch Saxon ("Forever free" hielt die Fahne des klassischen Metal doch ziemlich einsam in den Wind - so man nicht in den Katakomben des Undergrounds forschte) brauchte ich "Dreck". Waren AC/DC zu dieser Zeit irgendwie eher out of Order hatte man ja immerhin noch Motörhead, Warrior Soul - und mit einem Mal "The Almighty"!
"Addiction" eröffnet das Album: natürlich mag man gerne schnelle Eröffnungen, "Addiction" ist ein Stampfer - und was für Einer! Hier verbrüdert sich der Doom-Metal von Sabbath mit den alternativen Elementen Nirvanas - und heraus kommt Hardrock! Hätten AC/DC mal auf "düsterer" geschaltet, "Addiction" hätte ein Paradebeispiel dieser Ausrichtung sein können. Dazu kommt, dass es instrumental durchaus verspielt daher kommt (was mir seinerzeit immens zusagte und bis heute tut): hier ein kleines Break, da ein wenig Variabilität im Drumming - und dann ein hochmelodischer Chorus inmitten eines fiesen Stampfers.
So klingt packende Rockmusik!
Mit "Possession" zieht man das Tempo merklich an: Alternative Rock? "Moderner" Hardrock? Man kann es schimpfen, wie man mag: allein das fiese, kleine Gitarrensolo zur Einleitung legt die Motörhead-Wurzeln offen, überhaupt erinnert mich das Ding immer wieder mal an Lemmys Truppe. Dazu passend: der Gesang von Ricky Warwick, fies, rotzig - einfach wie gemacht für diese Art von Musik.
"Over the Edge", Song Nr. 3 hat so ein leichtes Blue-Oyster-Cult Flair und geht dann in einen klassischen Saxon-Riffing über: die Verses sind getragen vom Bass, das Ganze kehrt in den Midtempobereich zurück. Der Refrain ist aus heutiger Sicht vielleicht ein wenig platt und den genialen Opener packt man damit auch nicht, trotzdem: so darf, ja so
muss (Hard-)Rock klingen! Kein Song für die Ewigkeit - und doch bleibt er im Ohr.
Songtitel des Jahrhunderts: "Jesus loves you....but I don't"! Ich liebe dieses Stück, summe es bei der Hausarbeit, beim Sport (ok, selten genug bei mir) - und bei zig anderen Gelegenheiten. Diese schöne, balladeske Eröffnung, der mit einem Mal regelrecht melodiöse Gesang von Warwick, diese sich einschmeichelnde E-Gitarre....ein etwas verspielter Bass, der das ganze Stück trägt. Das wirklich monumentale an diesem Ding ist die Steigerung nach hinten raus: "Halbballade"? Keine Ahnung. In jedem Fall ein ganz, ganz starker Songaufbau, immer eine kleine Schippe drauf, ehe es nach hinten raus regelrecht explodiert und Warwick den Refrain regelrecht rausrotzt: ein wenig die böse Variante von Thunders "Low Life in high Places", einfach bockstark, zeitlos, eine Verbindung der 70er bis hin zu den alternativen Momenten der 90er und mit ordentlichem Wums. Und wer alles sucht, an dem ein Blaze Bayley mal beteiligt war: der ist hier in den Backings zu hören. Hammerteil!
"Sick and Wired" ist dann wieder ein "klassischer" Rockstampfer, der ein wenig eingedüstert wurde - eben dieses "Eingedüsterte" ist das Trademark des ganzen "Powertrippin'*"-Albums, ein roter Faden, der sich letztlich durch die doch eher vielseitigen Kompositionen wühlt. Heftet dem Ding eine gewisse Lässigkeit an, so hat es doch einen leicht bedrohlichen Unterton, die Bridge zum Chorus hat etwas sehr Positives und Warmes. Feines Rockstück.
Der Titeltrack hat dieses "Hot-for-Teacher"-Flair: beginnend beim Drumming pflanzt es sich in einen kleinen High-Speed-Hardrock-Song fort, der keine 3 Minuten benötigt, um durchs Ziel zu laufen. Wütend, wild - genau das Richtige für eine Autofahrt! Tempo kurz raus beim Refrain - Intro-Drums wieder ausgepackt - und weiter gehts. Genau an der richtigen Stelle im Album platziert. Das Solo ist regelrecht hartmetallisch und noch mal so eine kleine VH-Referenz. Ist seinerzeit wohl nicht mal den Rezensenten aufgefallen, dass "Powertrippin'" auch auf jedes 80er Jahre-Hardrockalbum gepasst hätte.
Weiter geht es mit "Takin' over": hier darf man eingangs gerne den Begriff "psychedelisch" bemühen. Very 70's like, ohne jetzt all zu hippiesk daher zu kommen. Ein wenig Zeppelin, ehe es in einen weiteren flotten Rocker übergeht. Hier ist man versucht, auch an Warrior Soul zu denken, die Parallelen zwischen beiden Bands sind bei diesem Ding doch recht offensichtlich, auch, wenn Warwick nicht ganz so angepisst daherkommt wie ein Cory Clark. Auffällig auch hier: die Gitarre ist eher hardrockig bis metallisch denn punkig, was sich vor allem im Solo niederschlägt.
"Out of Season" ist wohl das, was in gekürzter Variante eine perfekte Radio-Single hätte abgeben können: ruhig, so ein klein wenig "Runaway-Train"-Attitüde und doch irgendwie spannender. Ansonsten bringt das Ding viel mit, was eben eine solche Hit-Single hätte haben müssen, das wohl offensichtlich alternativste Stück des Albums.
Das nachfolgende "Lifeblood" ist ein harscher Kontrast dazu: die Gitarre rifft im Eingang fast schon thrashig, ähnlich wie der Opener ein überaus schleppendes Teil, ein wenig wirkt es musikalisch speziell im Bereich der Bridge so, als wolle sich der Song gar nicht recht packen lassen. Die Schwere des Riffings zieht sich durch, der Refrain ist nicht ganz so erste Sahne wie beim erwähnten "Addiction" - und doch: ein starkes Teil!
Der "Instinct" wildert noch einmal mächtig in Warrior-Soul-Gefilden: zum Refrain hin wird es ein wenig beliebig, ein Risiko, das man einfach eingeht, sobald ein Album mehr als 8 Songs hat. Ist der Rest des Werkes auf einem durchgängig hochklassigen Niveau mit nur kleinen Schlenkern nach oben oder unten, so ist "Instinct" im Grunde - ja, verzichtbar. Eigentlich der Japan-Bonus-Track, der sich am Ende doch aufs reguläre Album verirrt hat, daran ändert auch die feine Basspassage so zur Mitte hin nix.
Die Entschädigung hierfür übernimmt "Meathook": mächtig motörheadig, hätte ich unglaublich gern mal live gehört. Bockstarkes Ding, das einfach Laune macht.
Mit "Eye to Eye" wird es dann noch mal recht alternativ und man beklaut sich innerhalb des eigenen Albums so ein wenig selbst, fühlt man sich doch an der ein- oder anderen Stelle an "Powertrippin'" erinnert - nur mit mehr "Seattle-Melodie" in Richtung Refrain.
Dem schottischen Power-Trio ist mit "Powertrippin'" ein Album geglückt, das eine Menge Reize hat, sich bewusst zwischen verschiedenen Polen positioniert und letztlich Spaß macht - und auch heute noch frisch und unverbraucht wird. Ein Kompliment, das man nicht allen Alben dieser Zeit machen kann. Nicht selten ärgere ich mich selbst darüber, dass die Band bei mir nur mit diesem einen Album im CD-Schrank vertreten ist, doch waren die Kritiken zum Nachfolger "Crank" seinerzeit vielfach regelrecht vernichtend. Heute lege ich "Powertrippin'" gerne auf, wenn Hausarbeit ansteht - oder einfach gute Laune. Kurioserweise gelingt dem Ding in seiner Gesamtheit ein absoluter Spagat aus Ernsthaftigkeit, Rock'n Roll Attitüde und einer ungreifbaren Düsternis, die zwischen all dem immer wieder aufblitzt und dem Album einen ganz eigenen Stempel aufdrückt.
Höre ich ab und an in neuere Pearl-Jam-Werke hinein ("Backspacer" ist so ein klassischer Fall - eines der PJ-Alben, die meine Frau nicht selten mal aus dem Hut zaubert), dann fühle ich mich an ein "Powertrippin'" - Light erinnert, sind doch die Melodien von Vedder im wesentlichen schmeichlerischer und nicht mit so vielen Widerhaken versehen, versprühen aber doch diese Melancholie, die auch diesem Almighty-Werk innewohnen.
Ein im positiven Sinne "seltsames" Album - und vielleicht auch deshalb bis heute so interessant und spannend.