Non-Metal-Jahresrückblick 2019

D

deleted_76

Guest
Wo jetzt schon wieder alle Zines mit Jahresabschlusslisten ankommen, dachte ich, wir starten mal einen Monat früher, um dem Überdruss zuvorzukommen. Außerdem ist mit dem ersten Kandidaten auch das letzte für mich wirklich wichtige Album in diesem Jahr erschienen.

Es gibt auch wieder 'ne interaktive Spotify-Playlist, an der ihr gerne mitbauen dürft.


@Wyrm, pinnst du den wieder an? Kannst den anderen ja dafür lösen. Danke.
So. FKA Twigs lässt mich mal wieder staunen und bewundern. Ich finde, die beiden ersten EPs und "LP1" bilden noch ein relativ homogenes Gesamtwerk, aber mit M3LL155X fand eine Zäsur in Richtung sperriger und düsterer Songs statt, die gleichzeitig kühl und hochemotional klingen konnten (irgendwo hab ich das letztens zu irgendwas schon mal geschrieben *rumfloskel*). Den Sound konnte sie jetzt tatsächlich erfolgreich weiterentwickeln, ohne dass es irgendwie drüber klingt oder nervt. Ich kenne kaum eine Künstlerin, bei der sich so ein umfassendes visionäres Talent im Gesamtkonzept abzeichnet, das erreicht ja schon bowie'sche Ausmaße. Nun denn, muss erstmal alles sacken natürlich, zum Inhalt kann ich noch gar nichts sagen, nur soviel: Jeder Durchlauf bläst mich auf's Neue komplett um. Wahnsinn. Muss ich live sehen. Vielleicht kommt sie ja zum Melt dieses Jahr. *hoff*

22137811fba80fb115438ebb3e0ef365.1000x1000x1.jpg


Anspieltipp: home with you

Ansonsten: Make love to all you see!
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Diesen Thread werde ich SEHR gespannt verfolgen. Überlicherweise ist hier gar nicht so viel, was mich begeistert, aber wenn dann so richtig.
 
Mit der FKA Twigs-Scheibe wurde eh schon die Platte des Jahres genannt, dagegen kann alles nur verblassen was hier noch kommen mag. Ich versuch's deshalb erst gar nicht, dieses Überwerk irgendwie in den Schatten zu stellen, sondern geh' euch mit einem ziemlich aufgeblasenen Kleinod auf die Nerven, das wiederum mir die letzten Wochen ziemlich auf die Testikel ging. Richard Dawson kredenzt auf seiner neuen Scheibe 2020, die wohl einen prophetisch-menetekelnden-poetischen Ausblick auf die inneren individuellen Befindlichkeiten der britischen Nation ohne EU, Sinn und mit Boris, Krise und Austerität geben soll (oder so), detailverliebte Folk-Pop-Preziosen, deren britische Provenienz er absolut nicht verleugnen kann - auch oder gerade wenn er die Scheibe mit irrwitzigem Falsett, Synths und dicken Sounds sowie mit kleinteiligen Manierismen und Klingklang zu einem pompös-barocken Spektakel aufbläst, das sich aber immerhin auch mal in leisen Tönen gefällt. Dynamik und so. Und immer dann, wenn Dawson all seine schweren oder sensibel-leicht-federnden Geschütze auffährt, klingt das weniger nach zeitgenössischem Folkpop sondern eigentlich vielmehr nach Folkprog mit Schmäh, Charme und Größenwahn, so als hätte jemand eine Canterbury-Platte nicht nur für das neue Jahrtausend sondern auch für all die anxious Hipster-Nerds da draussen gemacht. Oder so. Jedenfalls ist das alles besser weil eingängiger und lustiger, als es meine Beschreibung vermuten lässt.

a3287790004_10.jpg


https://richardmichaeldawson.bandcamp.com/album/2020
 
Folkkram ist bei mir kompliziert. Aus England ist die Chance, dass er mir zusagt, etwas größer. Mal gucken.

Deutschsprachiger Rap wirft mittlerweile im x-ten Jahr hauptsächlich Sondermüll aus und macht durch schlimme Haltungen von sich reden. Ausnahme wie immer: Grim104, der - für mich recht unerwartet - mit einer neuen EP auf-, ein- und zuschlägt. Nach dem Erfolg von Zugezogen Maskulin vermutete ich erst eine Anlehnung im Soundbild, tatsächlich klingt die EP mehr nach dem Vorgänger als nach ZM-Platten. Es gibt nicht mal ein Testo-Feature.
Textlich überzeugte mich Grim schon immer sehr, weil er es so eindrucksvoll schafft alltägliche Beklemmung mit Horror- oder Dystopienarrativen zu verbinden, und das kriegt er tatsächlich auch noch als erfolgreicher Musiker hin. "Das Grauen" bedeutet eben das Grauen für einen Menschen in einer kapitalistischen Gesellschaft - Angst vor Krankheit, Verlust und Entfremdung. Auffällig dabei: Die Ängste des Kindes sind eigentlich viel konkreter und grausamer, die des Erwachsenen trotzdem so deprimierend und nervig, dass man sich die kindlichen fast zurückwünscht. Aber: Entkommen is nich. Viel mehr sorgt die Entfremdung für die Auflösung des Menschen, der den Bezug zur Realität nur noch indirekt über seine Gespenster aufrechterhalten kann ("Geist").
Das Vampirthema tauchte ja bereits als Abschlusstrack der ersten EP auf. Dort saugt er hedonistisch das Nachtleben auf, vergiftet sich und erträgt melancholisch die Ödnis des Tages. Hier geht es vielmehr um ISolationsgefühle und die Auseinandersetzung mit den eigenen Neurosen. Und natürlich ist ein Graf einem Boss überlegen, er leidet allerdings unter seiner Einsamkeit, der er auch durch seine jenseitig orientierten Mächte nicht beizukommen vermag.
In der Hölle gibt es übrigens keine Dämonen, die verlorene Seelen quälen. Man findet sie, sobald man sich in Berlin auf Wohnungssuche begibt. Das Vokabular bleibt bildhaft, allerdings konkreter und damit gesellschaftskritischer. Vielleicht ist die Beschreibung von Gentrifizierungsprozessen ja eine adäquate zeitgemäße Version eines mittelalterlichen Gemäldes, das in irgendeiner Kirche hängt. "Abel" zeigt uns Verrohung in einer face-to-face-Situation auf der Straße, bevor es dann - anscheinend vorherbestimmt - abwärts geht. "Unter der Stadt" erinnert vom Flair ein bisschen an "Der kommende Aufstand" auf dem Vorgänger, vermischt mit den Mutanten aus Alt-New York in Futurama - hier bezeichnet als Maulwurfsmenschen, die Konsequenzen der gesellschaftlichen Spaltung weitergezeichnet.
Etwas abgespalten davon: Sehnsucht nach dem Jenseitigen ohne Fantasyhorror gibt es in "Juri Gangarin". Das Weltall bildet hier den Gegenpart zum bedeutungslosen Alltag, Aufbruchtsstimmung trifft auf Abstumpfung und Resignation. Der Ausklang erfolgt damit deutlich deprimierender und weniger versöhnlich als mit dem besagten traurigen Vampir auf dem Debut. Aber Grim wird ja auch älter. Und die Welt beschissener.

GRIM104-DGDG-COVER-web-2000x2000.jpg

 
Der wohl beste (oder zumindest wahnsinnigste, ich habe da eigentlich keine Ahnung von, aber solche Absolutismen flashen immer und verführen zu einem Reinhören) Drummer aus dem Bereich Jazz und Fusion Walter Weasel hat wieder Blut geleckt und seine ultralegendäre (Absolutismen!) Combo The Flying Luttenbachers in völlig neuer Besetzung (Saxophon, Gitarre, Bass und natürlich Schlagzeug - alles frisch und neu!) nach einem 12-jährigen Dämmerschlaf anno 2019 gnädigerweise wiederbelebt. Musikalisch hat sich in Relation zu den Vorgängern nicht wirklich viel getan, es bleibt dabei, die Luttenbachers stehen weiterhin für ein hysterisch-exaltiertes Konglomerat aus dadaistisch-stolperndem No Wave, ultrakrachigem Lärmrock, der Nahe am Grindcore gebaut ist, Brutal Prog sowie natürlich aus allen Rohren feuernden Free-Jazz-Dauer-Crescendi von beeindruckender Frickeligkeit und Virtuosität. Shattered Dimension sollte also all jenen den Schlüpfer nachhaltig befeuchten, die sich eine abartige Kreuzung aus Brötzmanns Maschinengewehrmassaker, John Zorn in seinen wildesten Momenten, stoischen Skin-Graftigen Noise Rock-Dekonstruktionen, Blast-Beat-Furor und angeberischem Muckertum in Cool und Lässig alleine nur vorstellen können (schwierig genug). Demnächst dann endlich auch wieder live und in Farbe auf Tour. Und im Dezember schon wieder ein neues Album, diesmal standesgemäß als dickes Doppelding. Ich freu mich dreifach.

a0777208627_10.jpg


https://theflyingluttenbachers.bandcamp.com/album/shattered-dimension
 
Sry bin recht neu hier, doofe Frage: ist das dein Thread (also stellst du hier nur deinen Jahresrückblick vor) oder ist das als Sammelthread gedacht wohl alle beitragen?
 
Also bis jetzt haben doch schon 2 User hier ihre Reviews gepostet. Wie kann es dann ein Thread von/für einen User allein sein?

lol. das ist mir ernsthaft nicht aufgefallen bzw. hielt das für Posts des Threaderstellers.

However...schön Thread, es ging nämlich an mir vorbei das von FKA Twigs was neues rauskaum. Die LP1 lief damals hoch und runter
 
Auch eine schöne Überraschung war für mich die Veröffentlichung der diesjährigen ICE AGES. Richard Lederers (Summoning, Die Verbrannten Kinder Evas) Dark Elektro/Industrial Solo-Projekt, was er mittlerweile auch schon seit 1994 betreibt, zeichnet sich durch düstere Stimmung, verzerrte Vocals und depressive Texte aus. Das neue Album 'Nullify' klingt allerdings im Vergleich zu der restlichen Diskographie etwas 'wärmer', bzw. nicht durch die Bank düster. Als Gesamtwerk betrachtet war das ein schön erfrischender Move. Das Album hält seinen Spannungsbogen über die gesamte Spielzeit und wenn ich in der Stimmung zu dieser Musik bin, läuft das Teil dann auch gut und gerne drei Mal hintereinander. Coole Synths, coole Beats, gute Autofahrmusik. Zwar schlägt die Scheibe das bisherige Highlight der Band 'this killing emptiness' nicht, aber ist distanziert betrachtet dann doch ein sehr eigenständiges Werk, worauf man die Unterschrift der Band gut heraushören kann. Physische Releases wurden zwar im Sommer auf Ende diesen Jahres angekündigt, bisher hat man aber leider nichts mehr davon gehört, kommt aber sicherlich noch.

Anspieltipp: EMPTY SHRINE

a0223413299_10.jpg


https://iceages.bandcamp.com/album/nullify-album
 
THE DÜSSELDORF DÜSTERBOYS - Nenn mich Musik

2018 haben Peter und Pedro mit International Music vielleicht das intensivste deutschsprachige Album der letzten Jahre aus dem Ärmel geschüttelt. Die Erwartungen sind in der Folge wahrscheinlich höher als ein Atomhochhaus, trotzdem legen die beiden nebst Verstärkung scheinbar ebenso lässig mit den Düsterboys nach.
Düster (logisch), folkig, poppig, schwer zu fassen. Starkes Stück!

Anspieltipp: Kaffee aus der Küche

theduesseldorfduesterboys-1024x1024.jpg
 
DARK WATER
a1213468606_10.jpg

DARK WATER

Im März erschienen diese EP des australischen Trios und überstrahlt seitdem alles was ich 2019 an Dark Wave und Synthie Pop gehört habe mit einer warmweichen Atmosphäre endlos nostalgischer Melancholie. Mit der EP ließen sich fantastisch die dahingleitenden Stillebenartigen Bildkompositionen eines Refn im Film Driver untermalen. Glänzende Hochhausfasaden, Ryan Goslings halbschmollendes ins Leere träumen und Autofahrten durch eine nächtliche Metropole in hochauflösenden Bildern. Dark Water ist eine schwärmerische Liebeserklärung an ein Stück schwarzgewandeter Musikgeschichte der 80er. Die EP lehnt sich geschmeidig an Werke wie The Cures und Disintegration Depeche Modes A Broken Frame ohne dabei das Gefühl eines Anachronismus zu vermitteln. Hier drängt sich das Bad im Trockeneisnebel ebenso auf wie ein ebensolches faulenzend im Sonnenschein. Neben The Cure und Depeche Mode mag ich noch Wolfsheim und Silke Bischoff als Vergleichsgrößen erwähnen. Diesen Sommer über hatte ich nur selten andere Musik im Auto laufen.

https://darkwaterband.bandcamp.com/music
 
Im Vorprogramm von Refused/Thrice gesehen und ihre neue LP gekauft: PETROL GIRLS. Sind mit Brutus und Press Club auf gleichem Label... passt.

Bislang gehörte "Good Nature" zu einem lauen Sonntag, jetzt auch "Altogether". TURNOVER machen das Leben schön
https://www.youtube.com/watch?v=qsQgB8LhyMg
Petrol Girls habe ich ebenfalls dieses Jahr entdeckt. Feuer im Hintern, sehr viel Energie. Macht eine Menge Spaß.
 
THE DÜSSELDORF DÜSTERBOYS - Nenn mich Musik

2018 haben Peter und Pedro mit International Music vielleicht das intensivste deutschsprachige Album der letzten Jahre aus dem Ärmel geschüttelt. Die Erwartungen sind in der Folge wahrscheinlich höher als ein Atomhochhaus, trotzdem legen die beiden nebst Verstärkung scheinbar ebenso lässig mit den Düsterboys nach.
Düster (logisch), folkig, poppig, schwer zu fassen. Starkes Stück!

Anspieltipp: Kaffee aus der Küche

theduesseldorfduesterboys-1024x1024.jpg
Oha, Für alles kann alles. Da muss ich dann dringend mal reinhören
 
Und Herr @1984 ist ja sehr lustig. Macht 'nen Thread auf, postet FKA twigs gleich zu Beginn. Tja, da kann er den Thread auch sofort wieder schließen. Besser wird es nicht mehr.
 
ach ja guck wie schön. auf diesen thread hab ich mich das ganze jahr gefreut. vielleicht gibt es nen non-metal adventskalender von mir. dürfte zumindest genug zusammen gekommen sein. schön, schön, schön. und ja twiggy hat mega album geliefert. besser als ihr debut. fakt.
 
Zurück
Oben Unten