Deutscher Rap, es ist nicht leicht mit uns. Noch immer quälst du mich mit Kollegahs weltverschwörerischen Meltdowns, lässt ihn seine blinden Jünger an der Grenze zur geistigen Armut mit Seminaren für vierstellige Beträge die Grenze zur finanziellen Armut ohne Rücksicht auf Anstand und Gewissen überschreiten. Du gibst uns Capital Bra, Mero, Fero, Sero, wie sie nicht alle heißen. Du gibst uns Gucci, Prada und viele Marken, deren Namen ich erst googeln müsste, um ihn fehlerfrei zu schreiben. Du gibst so viel Schlechtes und hast immer noch nicht Fler genommen. Neuerdings lässt du sogar Tarek K.I.Z. furchtbare Musik machen. Du gibst Sexismus, Antisemitismus, Gewalt und nicht mal eine Fachpresse, deren Eier in der Hose groß genug sind, es sich mit Big Playern des Genres zu verscherzen, die teilweise mehrere dieser Kategorien bedienen.
Deutscher Rap, es ist zuweilen schwer, dich zu lieben, aber du warst dieses Jahr auch so oft so gut zu mir, hast mir noch ganz andere Dinge gegeben.
Sicher, du wusstest zu enttäuschen. Was hat dich nur geritten, als du Yassin auf Ypsilon dermaßen der Wackness hast anheim fallen lassen? Sicher, er war noch nie so misanthropisch wie sein Partner in Crime, aber es kann doch nicht sein, dass es einzig und allein Audios Anwesenheit geschuldet war, dass sich Yassin nicht schon viel früher zu einem Autotune-geschwängerten Gute-Laune-Onkel transformiert hat, oder? Nein, das war nichts. Auch Messios von SSIO war leider nicht die erhoffte Wohltat. Eigentlich macht er nicht so viel anders als bisher, dennoch waren mir hier die Beats und Hooks stellenweise einfach viel zu anstrengend, Hörgenuss konnte sich leider nicht einstellen.
Nein, es waren nicht alles Highlights. Shacke One hat gut daran getan, Shackitistan nicht länger als eine halbe Stunde werden zu lassen, so funktioniert der thematisch denkbar einseitige Pimmelfotze-Rap als gut hörbarer Appetithappen für Zwischendurch. Selbiges konnte man auch Macs'n'Gees, dem Kollaboalbum von DCVDNS & Tamas attestieren. Pluspunkte gibts für Technik und eine sehr sinnvolle Verknüpfung alter Schule und neuer Sounds. Das hätte auch Nord Nord Muzikk nicht geschadet. Hexeh ist einfach viel zu lang, um immer und immer wieder das selbe Thema tot zu reiten. Die halbe Spielzeit hätte es getan, dann wäre vielleicht sogar ein Platz unter den Highlights drin gewesen. Immerhin gab es hier einen neuen Neuruppin-Teil, der sich wirklich hören lassen konnte und nicht nur vom Namen gelebt hat.
Ja, die Länge. Die ist augenscheinlich nicht nur bei Willem Dafoe ein Problem (sofern man Lars von Trier Glauben schenken darf). Daher hat sich über die letzten Jahre die EP klammheimlich zu meinem Lieblingsformat des Genres gewandelt. Und da gab es dieses Jahr so viel Hörenswertes, dass man wirklich niemandem gerecht werden könnte, würde man die alle im selben Absatz verbraten.
Man muss froh sein um jede Frau, die das Genre bereichert und nach und nach den Muff tief hängender Baggys und gefickter Mütter vertreibt. So eine war dieses Jahr Presslufthanna. Leider war mir das thematisch an vielen Stellen zu dünn, das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein starker Flow und tolles, oldschooliges Beatpicking, das sich zu einem Zeitpunkt dem Zeitgeist anbiedert, auf Eingangsbereich Hand in Hand gehen und dabei sehr viel Spaß machen.
Weiter oben in meinem persönlichen Ranking hätte ich eigentlich den neuen Solo-Output von Grim104 erhofft und eigentlich auch erwartet. Dabei ist Das Grauen, das Grauen keineswegs schlecht geraten. Ganz im Gegenteil, dieser Horror, der nicht mehr von Vampiren und anderen Sagengestalten ausgeht, sondern von der beklemmenden Realität zwischen Wohnungsnot und Discoschlägern, ist wirklich meisterhaft konzipiert, konnte mich nur leider insgesamt einfach nicht so sehr abholen, wie ich mir das von so einem intelligenten Werk wünschen würde.
Prezident wollte dieses Jahr zum Glück niemandem die Extrameile auf den Sack gehen, und das hat dem Zahnfleischbluter Prezi Blues auch denkbar gut getan. Was soll man viele Worte verlieren? Man weiß, was man bekommt, und das ist verdammt gut so. Vom Album im Februar erwarte ich mir einen wichtigen Bestandteil des nächsten Jahresrückblicks.
Bisher war NMZS (Mann, du fehlst) eigentlich der einzige von den Antilopen, der für mich für relevanten Solo-Output stand, aber dieses Jahr konnte Koljah mit Aber der Abgrund nachziehen. Hat ihm merklich gut getan, aus dem thematischen Kosmos der Antilopen Gang ausbrechen zu können, so schön hätte er sich da mMn niemals auskotzen können.
Ey Juse Ju, leg mal nochmal einen nach. Musste man nicht mal sagen, hat er einfach so gemacht. Und für mich kommt Untertreib nicht deine Rolle sogar noch stärker daher als das Album von 2018. Textlich gehen momentan nicht so viele Wege an Juse vorbei, auch technisch kann sich das in meinen Ohren von Release zu Release mehr hören lassen. Unterschätzter MVP der Szene.
Hab ich vorhin auf Zeitgeist und seltsame Modeerscheinungen geschimpft? Wahnsinnig konsequent von mir, dass ausgerechnet Platte von Apache 207 meine Deutschrap-EP des Jahres ist. Aber ich kann mich auch einfach nicht dagegen wehren. Diese Hits, Freunde, diese Hits! Rappen kann er, singen kann er, er sucht sich die richtigen Beats aus und schafft den Drahtseilakt zwischen Gimmick und künstlerischem Anspruch wie nur wenige andere, die der Mainstream an die Chartspitze spült. Mein Haarneid ist real.
Aber Onkel Lifelover, gab es denn überhaupt noch Alben in diesem Jahr? Sicher, mein Kind, diese hier nämlich:
Hätte nie gedacht, dass Max Herre in so einem Ranking mal auftauchen könnte, aber die ganze Wahrheit ist, er kann es dieses Jahr nicht nur, er muss. Lustig, dass er erst damit aufhören musste, davon zu sprechen, erwachsene Musik zu machen, um genau diese ganz unpeinlich und auf den Punkt abzuliefern. Musikalisch wird hier zwar leider mit Trettmann ein gewisser Zeitgeist eingefangen, als Entschädigung dafür aber im Titeltrack von Athen ungeniert bei Pink Floyd angeklopft. Max, wir können doch noch Freunde sein.
Kraftklub tauchen bei mir in so einer Auflistung normalerweise auch nicht auf. Aber zumindest einer der Jungs hat sich seinen Platz hier redlich verdient. Sicher, Kummer ist raptechnisch limitiert, und vermutlich ist dies ein Euphemismus, aber dafür stimmt auf Kiox alles andere umso mehr. Geile Beats von Blvth, Themen, die man so eigentlich nicht zum ersten mal hört, trotzdem spannend aufgearbeitet, so dass sie sich zu keiner Zeit ausgelutscht anfühlen. Bitte künftig weniger Brummer und mehr Kummer.
Wie macht man ein modernes, zeitgemäßes Deutschrap-Album, ohne sich irgendwelchen Trends oder dem zuweilen arg substanzlosen Genre-Zeitgeist anzubiedern? So wie Tua. Von der Drum & Bass Extase in Bruder II zum musikalisch reduzierten Abschied vom Vater (bedrückendster Track 2019, change my mind) über Autotune-Einsatz, der in Deutschland in der Qualität und Finesse seinesgleichen sucht, liefert Tua ein vielschichtiges Album, das sich trotzdem wie aus einem Guss anfühlt. Moderner Klassiker.
Was kann da noch drüber stehen? Über einem modernen Klassiker? Eiskalte Befangenheit. Wobei die in diesem Fall nicht eiskalt ist, sondern plüschig, rosarot und nach kalter Asche und Toffifee riecht. Degenhardt ist nun Vandalismus. Lieben gelernt habe ich ihn dafür, dass er sich auf jedem Album den Brustkorb aufgeflext und dunkelpink und hellschwarz Hassliebe und Liebeshass aus sich raus geholt hat, Super Mario und Steve Buscemi gleichermaßen Platz geboten hat und dabei so ehrlich war, so real, dass ich mehr Tränen zu seiner Musik vergossen habe, als sich überhaupt zählen lassen könnten. Und jetzt? Wird auf Freunde lügen nicht Battlerap geflext. Der Brustkorb bleibt zu, ist nur noch vereinzelt zu erahnen, und trotzdem funktioniert das alles so gut. Tränen gab es noch keine, aber dafür zahlreiche andere Gefühle, nicht weniger groß.
Vielleicht gibts noch nen Post zu all den Sachen, die Non-Metal, aber kein Deutschrap und trotzdem wichtig für mich waren, vielleicht auch nicht. Der hier war mir einfach wichtig.