Perfektion vs Feeling - wie schief darf es sein?

IronIsMyName

Deaf Dealer
Um es vorweg zu nehmen: Auch ich habe keine klare Meinung zum Thema und eine exakte Grenze wird es eh nicht geben. Die Fragestellung kam mir aber dennoch in den Sinn:

Wieviel Perfektion muss eine musikalische Aufnahme für euch haben? Oder anders herum: Wie unperfekt darf Musik sein, wenn dafür das Feeling stimmt?

Ich selbst bin zwar durchaus beeindruckt, wenn eine Aufnahme aus spielerischer Sicht perfekt und komplex ist, aber das macht noch lange keine gute Musik aus. Auch eine gute Soundproduktion ist nicht das A und O, aber mit miesem Sound kann einem der Hörgenuss total versaut werden. Bestes Beispiel: Nevermore - Enemies of Reality im Originalmix.

Auch beim Gesang ist die Grenze von "Kann man sich noch anhören" zu "das tut weh, weil es zu schief ist" sehr fließend. Beispiele:
Zachary Stevens von Savatage liegt tonal oft leicht daneben, ist für mich dennoch hörbar.
Paul Kearns von Solstice auf White Horse Hill liegt so oft so sehr daneben, dass ich die Platte trotz schöner Musik selten auflegen mag.

Beispiele für Schlagzeug:
Hermann Rarebell von den Scorpions spielte extrem simplen Kram, weil er mehr offenbar einfach nicht drauf hatte. Die Songs hätten oftmals mehr vertragen, aber anhören kann man sich das Ganze dennoch, weil er das, was er spielte, immerhin gerade und dynamisch hingesetzt hat.
Genauso schlimm wie unkompetentes Gehoppel ist aber der Trend modernerer Bands das Schlagzeug nachträglich total glatt auf den Punkt zu ziehen. Das ist nicht perfekt, das ist tot.

Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Feeling ist nichts ohne Talent und Können, aber alles technische Können wenig ohne Feeling.

Was meint Ihr?
 
Ich kann dir hier zu hundert Prozent beipflichten. Ein Stück weiter würde ich sogar noch gehen: Viele Musik kriegt erst durch ihren Mangel an Perfektion ihren Reiz. Beispiel The Doors: War Jim Morrison ein im klassischen/herkömmlichen Sinne ein guter Sänger? Sicher nicht, der Gesang war oft schief, sein Geschrei war gewöhnungsbedürftig, aber genau das macht für mich den Reiz der Band aus. Ohne genau diesen Gesang wäre die Musik doch langweilig. Auch verkackter Sound kann reizvoll sein: Metallica kann ich überhaupt nicht leiden, aber ausgerechnet die wie ein Blecheimer klingende Snare auf St. Anger führt dazu, dass dies deren einziges Album ist, das ich noch in Ansätzen hören mag. Grundsätzlich habe ich oft nichts dagegen, wenn ein Schlagzeuger etwa so im Rhythmus spielt wie wenn man einen Sack Kartoffeln ausschüttet.

Bei Enemies of Reality muss ich dann doch widersprechen: Die sehr eigenwillige Scheissproduktion von Kelly Gray (?) finde ich gerade gut und viel besser als den Standardseifensound eines Andy Sneap.
 
Ich kann dir hier zu hundert Prozent beipflichten. Ein Stück weiter würde ich sogar noch gehen: Viele Musik kriegt erst durch ihren Mangel an Perfektion ihren Reiz. Beispiel The Doors: War Jim Morrison ein im klassischen/herkömmlichen Sinne ein guter Sänger? Sicher nicht, der Gesang war oft schief, sein Geschrei war gewöhnungsbedürftig, aber genau das macht für mich den Reiz der Band aus. Ohne genau diesen Gesang wäre die Musik doch langweilig. Auch verkackter Sound kann reizvoll sein: Metallica kann ich überhaupt nicht leiden, aber ausgerechnet die wie ein Blecheimer klingende Snare auf St. Anger führt dazu, dass dies deren einziges Album ist, das ich noch in Ansätzen hören mag. Grundsätzlich habe ich oft nichts dagegen, wenn ein Schlagzeuger etwa so im Rhythmus spielt wie wenn man einen Sack Kartoffeln ausschüttet.

Bei Enemies of Reality muss ich dann doch widersprechen: Die sehr eigenwillige Scheissproduktion von Kelly Gray (?) finde ich gerade gut und viel besser als den Standardseifensound eines Andy Sneap.

mein Like für den Passus bezüglich Morrison! Obwohl er phasenweise wirklich zeigte, wie gut er eigentlich hätte singen können, wenn er es denn noch gemerkt hätte. Gibt einige Live-Aufnahmen, bei denen er wirklich wundervoll singt. Größtenteils war es grad live jedoch oft grausam, was aber im Verbund mit Manzarek, Krieger und Densmore die ganze Wucht und Brillianz dieser Band ausmachte,
 
Ein perfektes Gesicht gilt zurecht als nicht schön. Ein perfekt gemaltes Bild als langweilig. Perfektion ist frustrierend. Perfektion soll im Maschinenbau, in der Wissenschaft, in der Medizin eine Rolle spielen, in der Kunst ist sie eine Falle, eine falsche Verlockung. Ein Genie in der Malerei lässt einen falschen Strich stehen, setzt den richtigen daneben, setzt auf einen Farbton einen Klecks Komplementärfarbe.
Nur scheiße ist andererseits auch einfach scheiße.
 
Helene Fischer ist ein gutes Beispiel wieso (übertriebene) Perfektion eigentlich nur was verdecken soll, so ne Art Spachtelmasse... jedes Lied, jede Showeinlage durchstudiert bis in den letzten Fingerzeig, den leuten soll eine makellose, fröhliche Welt vorgespielt werden, alle Tänzer und Musiker gesund, duchtrainiert und ohne Sorgen und Nöten, dabei weiß man genau deswegen, weil es einem so vorgegaukelt wird, dass es garantiert nicht so ist, dass da leute gedrillt werden, darauf geachtet wird dass sie ja immer lächeln , dass man vor der Arbeitgeberin kuschen, knien und schleimen soll, will man nicht auf dem Showbühnenarbeitsamt landen... ein bischen wie in diesem Film mit Hape Kerkeling (kein Pardon)

gibt da sicher auch genügend Beispiele im Rockbereich, aber ich finde bei Helene Fischer kann man das am besten beobachten, dieser gnadenlsoe Leistungs und Perfektionswahn, um Welten aufzubauen die nach der Show wie ein Kartenhaus zsuammenbrechen und alle wieder in ihrem beschissenen, anstrengenden Alltag zurück sind.

deswegen trenne ich hier die Kunst/Musik wo ich das nicht haben möchte, und zb. bei mir zuhause, da hab ich gerne Perfektion, alles soll an seinem Platz liegen etc.

kurz gesagt: Kultur gerne schief, Alltag gerne perfekt (aber nicht übertrieben, sonst wirds anstrengend) ... oder so o_O
 
Helene Fischer ist ein gutes Beispiel wieso (übertriebene) Perfektion eigentlich nur was verdecken soll, so ne Art Spachtelmasse... jedes Lied, jede Showeinlage durchstudiert bis in den letzten Fingerzeig, den leuten soll eine makellose, fröhliche Welt vorgespielt werden, alle Tänzer und Musiker gesund, duchtrainiert und ohne Sorgen und Nöten, dabei weiß man genau deswegen, weil es einem so vorgegaukelt wird, dass es garantiert nicht so ist, dass da leute gedrillt werden, darauf geachtet wird dass sie ja immer lächeln , dass man vor der Arbeitgeberin kuschen, knien und schleimen soll, will man nicht auf dem Showbühnenarbeitsamt landen... ein bischen wie in diesem Film mit Hape Kerkeling (kein Pardon)

gibt da sicher auch genügend Beispiele im Rockbereich, aber ich finde bei Helene Fischer kann man das am besten beobachten, dieser gnadenlsoe Leistungs und Perfektionswahn, um Welten aufzubauen die nach der Show wie ein Kartenhaus zsuammenbrechen und alle wieder in ihrem beschissenen, anstrengenden Alltag zurück sind.

deswegen trenne ich hier die Kunst/Musik wo ich das nicht haben möchte, und zb. bei mir zuhause, da hab ich gerne Perfektion, alles soll an seinem Platz liegen etc.

kurz gesagt: Kultur gerne schief, Alltag gerne perfekt (aber nicht übertrieben, sonst wirds anstrengend) ... oder so o_O

Aber das ist doch bei anderen Musikstilen genau das gleiche. Bei KISS, IRON MAIDEN oder auch GHOST gibt es ebenfalls eine perfekt inszenierte Show, die dazu dient, dem Alltag zu entfliehen. Und ich finde da auch nichts verwerfliches dran. Zuhause habe ich auch oft Lust mir Musik anzuhören, die mich nicht mit den menschlichen Abgründen und Unzulänglichkeiten konfrontiert. Die sind mir auch so bewusst, wie den meisten Helene Fischer-Fans auch.

Wer hört schon 10 Jahre lang von morgens bis abends nur CRASS oder TEST DEPT?
 
Aber das ist doch bei anderen Musikstilen genau das gleiche. Bei KISS, IRON MAIDEN oder auch GHOST gibt es ebenfalls eine perfekt inszenierte Show, die dazu dient, dem Alltag zu entfliehen. Und ich finde da auch nichts verwerfliches dran. Zuhause habe ich auch oft Lust mir Musik anzuhören, die mich nicht mit den menschlichen Abgründen und Unzulänglichkeiten konfrontiert. Die sind mir auch so bewusst, wie den meisten Helene Fischer-Fans auch.

Wer hört schon 10 Jahre lang von morgens bis abends nur CRASS oder TEST DEPT?

also so brutal durchgestylt bis ins letzte ist eine Iron Maiden Show zb. sicher nicht, die dürfen schon hinrennen wo sie wollen und müssen nicht auf Anweisung nen Moonwalk tanzen....
geht ja hier um die Perfektion, das wirklich ALLES wie ein Uhrwerk abläuft, Fehler quasi unter Todesstrafe verboten, und das sehe ich bei nem Maiden Konzi nicht, die dürfen auch mal nießen und sich verspielen...
also da sehe ich schon nen Unterschied zwischen Schlagergiganten und Metalgiganten
 
Bei Auftritten sowieso. Da spielen ja noch mehr andere Faktoren als perfektes Spiel eine wichtige Rolle. Bühnenpräsenz, Stimmung (auch die aktuelle eigene) und generell das Ambiente.
Und eben auch der Umgang mit Fehlern. Das finde ich als Zuschauer mega spannend. Bei einem verschämten "Sorry, wir haben uns beim letzten Lied 3 mal verspielt" hat die Band direkt verschissen, bei einem "FUCK IT ihr Husos merkt das doch eh nicht, interessiert mich auch gar nicht" direkt Hundert Punkte gewonnen.
 
Dies ist jedenfals zumindest in meinen Augen ( ohren ) ein sehr gewagtes Beispiel für Perfektion ...:D:D:D
für mich wirkt diese Fassade auch nicht perfekt, aber ich kenne kaum etwas durchgeplanterers als ein Konzert oder Fernsehauftritt dieser Dame, da ist alles minutiös geplant,
ich glaube sogar der Winkel ihres Mundes wird vorher mit ner Wasserwaage berichtigt
 
für mich wirkt diese Fassade auch nicht perfekt, aber ich kenne kaum etwas durchgeplanterers als ein Konzert oder Fernsehauftritt dieser Dame, da ist alles minutiös geplant,
ich glaube sogar der Winkel ihres Mundes wird vorher mit ner Wasserwaage berichtigt

Das hat sie aber bei weitem nicht erfunden. Das gab es doch spätestens seit den 80ern. Zum Beispiel bei Michael Jackson.
 
Das hat sie aber bei weitem nicht erfunden. Das gab es doch spätestens seit den 80ern. Zum Beispiel bei Michael Jackson.
mir egal wer das erfunden hat, die hat das mmn. auf ein neues Level gehoben, und diese Dame mit Michael Jackson vergleichen.... was kommt eigentlich nach Blasphemie? Hyperblasphmie?

sorry, bin etwas gereizt....
 
Und im Helene Fischer-Forum diskutieren zur Stunde die Fans über die Grandiositaet von Marduk Wollen wir nicht vielleicht in unserem kleinen Musikkosmos bleiben?
 
Obsessed By Cruelty ist eine meiner liebsten Scheiben. Von daher. Spirit all the way.

Ich finde auch Bands, die wild begonnen haben, irgendwann beschissen wenn sie technisch zu gut werden. Spirit äußert sich zudem auch immer in musikalischer Kreativität. Bei den meisten Metalbands mag ich die Frühwerke mehr.

Da kommen mMn viele Kriterien zusammen um Musik mit Spirit zu machen. Jung, hungrig, wild, sauer, depressiv oder einfach nur einen klugen Kopf. Nichts davon muss in Kombination herrschen. Aber irgendwas muss gegeben sein.
Was Musiker nicht sein dürfen: Satt und zufrieden. Dann wirds nämlich verdammt öde und ich kenne wenige Ausnahmen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und eben auch der Umgang mit Fehlern. Das finde ich als Zuschauer mega spannend. Bei einem verschämten "Sorry, wir haben uns beim letzten Lied 3 mal verspielt" hat die Band direkt verschissen, bei einem "FUCK IT ihr Husos merkt das doch eh nicht, interessiert mich auch gar nicht" direkt Hundert Punkte gewonnen.
Oder man macht es wie Malokarpatan: Verspielen sich, brechen ab, dann die Ansage "Ähem, sorry, das war ein alter Song" (Song war zum Zeitpunkt 4 Jahre alt) und fangen einfach von vorne an, das gab 666 Punkte in der Markthalle...!

eine Iron Maiden Show zb. sicher nicht, die dürfen schon hinrennen wo sie wollen und müssen nicht auf Anweisung nen Moonwalk tanzen....
Wär ja auch Quatsch, denn die müssen nämlich ein "Moonchild" tanzen...

Sorry, aber den konnte ich nicht liegen lassen. Schreibe die Tage vielleicht etwas mehr zum Thema, sehr spannende und nachsinnenswerte Frage definitiv...!
 
Ein guter Handwerker ist noch lange kein Künstler. Je nachdem, welche Musik er spielt, kann Handwerk aber von Vorteil sein. Dennoch braucht es eine Vision. Und so ein klein bisschen Talent schadet nie. Nur spielerische Klasse heisst abee nicht, dass ein guter Song rauskommt.
Celtic Frost waren genial, weil sie mächtig waren. Als sie versuchten, kommerziellen Rock zu spielen, klang das eher schlecht. Wenn Rush oder Michael Schenker auf "Emperors Return" gemacht hätten, hätte das auch nicht funktioniert.
Und irgendwelche schlechten BM Kopien mit Riffs von der Celtic Frost Resterampe braucht wohl auch niemand.
Was wären Sol Invictus ohne schiefen Gesang? Bei weitem nicht so tragisch, sondern beliebiger Folk.
Wenn ein Lied die Seele des Hörers berührt, ist es für denjenigen perfekt.
Menschen haben auch unterschiedliche Stimmungen und je nach Stimmung berührt Musik mal mehr, mal weniger.
Schwierig wird es mit Neuaufnahmen alter Klassiker. Die beseitigen zwar manch Musiker Trauma, laufen der nicht perfekten Original Atmosphäre aber meist kilometerweit hinterher
 
also so brutal durchgestylt bis ins letzte ist eine Iron Maiden Show zb. sicher nicht, die dürfen schon hinrennen wo sie wollen und müssen nicht auf Anweisung nen Moonwalk tanzen....
geht ja hier um die Perfektion, das wirklich ALLES wie ein Uhrwerk abläuft, Fehler quasi unter Todesstrafe verboten, und das sehe ich bei nem Maiden Konzi nicht, die dürfen auch mal nießen und sich verspielen...
also da sehe ich schon nen Unterschied zwischen Schlagergiganten und Metalgiganten
Bei so grossen Bands kommt es mitunter schon genau darauf an, wer wo wann steht, wenn auf der Bühne was passiert.
Wann fliegt Gene Simmons durch die Gegend, wann passiert dies oder jenes bei Alice Cooper, wer steht wo, wenn bei Maiden ein Pyro knallt etc etc.
Das ist alles durchgetaktet. Das ist bei den genannten aber auch gut so. Auch wenn ne Cooper Show voller wilder Raritäten mal wirklich klasse wär. Aber ja, Maiden ohne Eddie ist nicht ganz so geil wie mit Eddie.
Klar funktionieren die auch im Club, aber auch da muss Eddie kommen. AC/DC oder die Stones hingegen wären in nem Club ohne Schnickschnack noch geiler als auf grosser Bühne glaub ich.
Gegenbeispiele komplett durchgetakteter Shows sind zb Bruce Springsteen oder BAP (oder EA80 im Untergrund), wo Shows auch mal drei oder vier Stunden gehen können, wenn die Künstler gut drauf sind. Da wurden mal spontan 10 Songs drangehangen.
@Klaus Den ganzen Tag Crass und Test Dept zu hören, wäre zugegeben irgendwann stressig, so spannend beide sind. Gerade letztere live auch bestimmt fantastisch und intensiv.
Und live will ich schon ein gutes Konzert erleben und nicht nur Gerumpel. Motörhead, Venom, The Stooges, Mayhem oder Sodom sind für mich geiles "Gerumpel", bei zb Archgoat schliefen mir live nach zehn Minuten die Füße ein.
 
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