Eher im Rush-Delirium. Ich gebe mir ja wirklich Mühe, abweichende Geschmacksurteile anzuerkennen, und vermute, Du wirst noch keine 35 sein, richtig? Wenn dem so sein sollte, kann ich es schon verstehen, daß so jemand sich mit der 80er-Soundästhetik durchaus schwer tun kann. Ich war selbst noch zwischen klein und anfängerhaft jugendlich damals, aber irgendwas hat sich mir davon so eingebrannt, daß ich
heute diesen in Chorus und Delay ersaufenden Neonfarben-Klang mit der knallharten Militär-Snare irgendwie richtig feiern kann.
Aber HYF und "Presto" fallen bei Dir ja auch gegenüber der "Power Windows" ab. Insofern muß man schon eher das Hit-Syndrom diagnostizieren, oder? Obwohl das gerade auch bei einigen Songs der HYF greifen sollte, "Time stands still" natürlich und den beiden konzeptuellen Zwillingen "Second nature" (meinem Favoriten) und "Mission".
Ich fand es in den vergangenen Tagen für mich interessant, gerade diese drei Alben mal gegeneinanderzuhalten. Mit der HYF habe ich mich lange fürchterlich schwer getan, sie schien mir viel zu simpel und oberflächlich. Ich glaube, das kann man sogar hier im Thread noch finden, daß das Album bei mir auf dem allerletzten Platz war. Dem ist nicht mehr so und da frage ich mich natürlich, warum?
Die Songs halte ich immer noch für vergleichsweise einfach und auf Effekt gestrickt, aber i.wann ist mir aufgegangen, daß mir einfach die Ruhe gefällt, die die Band auf diesem Album ausstrahlt. Bei den Anfangstakten von "Second nature" und "Mission" hören wir einfach nur zwei sich wiederholende Akkorde, die erstmal stehenbleiben und jede Menge Raum um sich lassen. Das ist so auf "Power Windows" nicht zu finden und wird auch auf HYF dann im jeweiligen Mittelteil ein bißchen (sehr) anders, aber es ist erstmal ein Statement, finde ich. Und auch etwas temporeichere Stücke wie "Force ten" und "Prime mover" kommen offener und weniger mit Gimmicks und Effekten zugestellt daher als ihre Geschwister auf "Power Windows" wie "Big money" oder "Grand designs".
Für mich der ganz große Pluspunkt von HYF, daß das Album seine Songs so betont atmen läßt. Dennoch halte ich vom Songmaterial her "Power Windows" für die etwas bessere Platte von beiden. Noch besser ist dann nur noch "Presto",
hier gelingt der Band gleichsam die Verschmelzung der Ansätze der beiden Vorgängeralben plus das gewisse Etwas. Ich kann es schlecht bis gar nicht beschreiben, aber das Songwriting schlägt auf "Presto" solche Kapriolen, daß zumindest ich immer wieder überwältigt bin, auf diesem Album die geradezu perfekte Synthese aus Prog, Rock, Pop und der geliebten Rush-Idiosynkrasie zu hören.
"The pass" beginnt auch lediglich mit zwei Akkorden, doch die sind nunmehr gegenüber HYF deutlich enttrivialisiert, sie sind rhythmisch ausgearbeitet und - was immer mit das wichtigste ist für mich - die nachfolgenden Songparts werden aus ihnen entwickelt, es werden nicht einfach fremde Passagen drübergestülpt.
Bei der "Presto" wüßte ich gar nicht, wo ich anfangen und aufhören sollte mit Lob, Preis und Dank, deswegen laß ich´s. Es gibt mit "Scars" eigentlich bloß einen Track, der abfällt, wie schon bei "Tai Shan" aus der Abteilung "Paul-Simon-like-Fake-World-Music". Der Rest ist für die Ewigkeit gemacht. Und dabei hat auch die "Presto" noch eine lupenreine Spät-80er-Klangästhetik, wie ich finde. Verstärkte Gitarrenpräsenz hin oder her. Die 80er gingen bei Rush mehr oder weniger bis "Roll The Bones".
Und alles das macht
mir dann die drei Alben "Power Windows", "Hold Your Fire" und "Presto" noch einmal liebenswerter, weil sie mich an den Sound meiner Kindheit erinnern, den ich damals wenig hinterfragte, kurz darauf zu hassen begann und heute in begründeten Ausnahmefällen heiß und innig liebe.
"Counterparts" hätte ich bei Dir noch besser bewertet erwartet, daß jemand "Clockwork Angels" zu hören und auch noch zu genießen vermag, nötigt mir nach wie vor Respekt ab. Ich bekomme das nämlich beides irgendie nicht hin. Wenn man im "Dynamic Range Therometer" schaut, dann findet man bei CA vernichtende Werte (außer bei einem Song, ich vermute, "The garden"). Wenn man sich die "Presto" dagagen anschaut, insbesondere die Werte der Original-CD, atmet das Gehirn auf (denn
dort finden Hörerlebnisse statt, nicht in den Ohren).
http://dr.loudness-war.info/album/list?artist=rush&album=presto
http://dr.loudness-war.info/album/view/171758
Daniel Böhm von ROCKS hat "Clockwork Angels" als nachgerade audiophile Wohltat beschrieben in der jüngsten Ausgabe. Da weiß ich dann nicht mehr, in welchem Film ich bin, aber vermutlich heißt er: "Wir schmieren den halbtauben Blues-Opis Honig ums Maul, damit sie unser Heft weiterhin kaufen".
Jedenfalls werden wir bei Rush in diesem Thread wohl keine zwei Listen finden, die sich wirklich ähneln, außer evtl. bei Cimmy und mir, das könnte vielleeeiiicht was geben. Wenn er einen guten Tag hat.