Nachdem ich das Buch vor ein paar Tagen an einem schönen Frühlingstag in der Sonne durchgelesen habe, denke ich, dass ich hier kurz meinen Eindruck schildern kann. Achtung, leichte Spoiler wird es dabei geben. Wenn ihr also gar kein inhaltliches Detail erfahren möchtet, dann lest besser nicht weiter und lasst euch nur gesagt haben, dass es ein schönes Heft geworden ist und ihr nichts falsch macht, wenn ihr es euch besorgt.
Es handelt sich bei „Eine unheilige Osternacht 1996“ um eine Sammlung von Berichten, die die Autorin bekommen hat, nachdem sie per Mail verschiedene Zeitzeugen um diese gebeten hatte. Daher ist der Text auch nicht als durchgehende Geschichte geschrieben, sondern eine wortwörtliche Wiedergabe dieser Rückmeldungen. So hat man als Leser die Möglichkeit das Konzert, das Drumherum und auch die Zeit quasi in Form einer Oral History nachzuvollziehen.
Die Autorin kommt dabei nur in der Einleitung zu Wort. Interessant ist dabei, dass sie selbst kein Hehl daraus macht, das Konzert nur am Rande mitbekommen zu haben. Sie schreibt, dass sie durch die Anreise sehr geschafft war und sich die Bands sitzend auf dem Rang angesehen hat. Das scheint aber auch Teil der Motivation gewesen zu sein, diesen Abend zu rekonstruieren. Denn das Konzert wurde erst im Laufe der Folgejahre, wie so vieles, mit Bedeutung aufgeladen und damit auch zu einem Mythos. Einer der vordringlichsten Gründe dafür ist, dass Darkthrone als Teil des Line-ups danach nicht mehr auftraten. Aber natürlich auch das Line-up an sich.
Daher war es durchaus positiv für mich, dass es hier nicht um eine Aneinanderreihung von Berichten handelt, die das Konzert und ihre Anwesenheit aufgrund dieser nachträglichen Aufladung des Abends überhöhen. Für mich persönlich wäre nichts langweiliger, als auf hundert Seiten nur von „einem magischen Abend“ oder „einer unerreichten Sternstunde der Black Metal Szene“ etc. zu lesen. Ihr wisst, was ich meine, manche Band- und Rockstardoku neigt dazu, zu einer Aneinanderreihung Dritter zu werden, die ständig nur betonen, was für eine Legende Person XY war/ist oder warum Band XY die beste der Welt sei. Genau das passiert hier nicht. Die Beteiligten sind offen, schreiben auch davon, wenn sie eine Band schlecht fanden oder kein Interesse hatten. Man findet so wenig Spuren von einer nachträglichen Überhöhung des Abends oder Prahlen der eigenen Anwesenheit bei dieser, zugegebenermaßen, einzigartigen Konstellation eines Konzertes.
Nach den ersten Berichten fragte ich mich dann aber schon, ob die Spannung über die knapp 100 Seiten gehalten werden könne, denn natürlich kommt es zu Wiederholungen. Nach einigen Seiten hat man die Eckpunkte erfahren, wie die Reihenfolge der Bands oder das unterkühlte Verhalten des Publikums (das wohl damit letztlich den Abbruch des Darkthrone Sets nach nur ca. vier Songs auslöste). Um diese Frage zügig aufzulösen: Ja, für mich konnte die Spannung gehalten werden, denn nachdem die Rahmenbedingungen zwar klar sind, ist es interessant, wie die Zeitzeugen den Abend ganz subjektiv wahrnahmen. Am interessantesten waren für mich die Geschichten, bei denen sich die Schreiber getraut haben, etwas auszuholen und zu erzählen, wie sie angereist oder wie sie überhaupt zum Black Metal gekommen sind. So erfährt man auch etwas über die Black Metal Szene in den 1990er-Jahren da oben. Es wird gelegentlich also auch etwas über sich selbst erzählt und das bereichert das Heft sehr.
Es mag ziemlich banal wirken, aber durch diese Aneinanderreihung von Berichten aus verschiedenen Perspektiven bleibt ein Bild von einem Publikum aus Einzelschicksalen. Die Eindrücke und das Erleben unterscheiden sich (der eine hat sich das Konzert angeschaut, ein anderer Szenegrößen getroffen und Bands verpasst und ganz andere sogar Ohnmacht oder körperliche Gewalt erlebt). Gerade diese Vielzahl der Blickwinkel und Erlebnisse steht dabei dem immer wieder geschilderten, völlig unterkühlten und damit recht einförmigen Publikum gegenüber.
Es wird zu Anfang immer wieder betont, dass es ja lange her sei und man sich an nicht alles erinnern könne, was sich z. B. in widersprüchlichen Aussagen über die Reihenfolge der Auftritte bemerkbar macht. Das stört aber nicht, sondern erzeugt erneut den Eindruck einer gemeinsamen Anstrengung, diesen Abend zu rekonstruieren.
Man merkt es vielleicht schon, ich hatte meinen Spaß mit diesem Büchlein. Trotzdem muss ich hier auch einige wenige Sachen bemängeln: Hier und da schleichen sich kleine Rechtschreibfehler ein, die meist aber nur aus einem Buchstaben der zu viel oder zu wenig bestehen. Jedoch nicht in einer Menge, die für mich den Gesamteindruck nachhaltig verschlechtert hätte. Ebenso klingen einige seltene Sätze etwas krumm, ich denke, weil der Text übersetzt werden mussten. Aber auch dies hat den Lesefluss nicht beträchtlich gestört, dafür passierte es zu selten.
Unabhängig davon wäre es für mein Empfinden schön gewesen, wenn die Autorin einen kleinen Abschluss geschrieben hätte. So endet das Buch einfach mit dem letzten Bericht und gibt eher das Gefühl auszulaufen, als abgeschlossen zu werden. Hier hätte man sicher im Original noch einige Worte finden oder die Einleitung aufteilen können. Aber auch das ist am Ende nur Kritik an Details.
Abschließend zu meiner hier zuvor geschilderten Hoffnung auf ein Aufkommen von Atmosphäre: Ja, die trat für mich auf, wenn auch anders als bei dem Buch von Alsleben. Das hängt vor allem damit zusammen, dass es sich hier nicht um eine stringent erzählte Geschichte mit Anfang und Ende handelt, sondern eben eine Sammlung von Berichten. Trotzdem taucht man immer mehr in diesen Abend ein und stellt sich die Halle, die Warteschlange und das Konzert immer bildlicher vor und ist vielleicht sogar ein wenig dabei.
Am Ende bleibt ein Eindruck, dass es sich hier um eine kurzweilige und interessante Lektüre handelt, die es wert war, rekonstruiert und auch übersetzt zu werden.
Danke Seven Metal Inches Records!