Judas Priest - Screaming for vengeance (1982)
Ein besonderer Klassiker
Was erhebt einen beliebigen Klassiker zu etwas ganz Besonderem? Die Fähigkeit, mich in der Zeit zurückzuversetzen und Erinnerungen und Gefühle heraufzubeschwören. Als ich der Scheibe vor rund 40 Jahren begegnete, war ich ein AC/DC-verrückter, junger Metalfan, der mit Freuden und Freunden die spannenden frühen 80er aufsog. Jetzt bin ich immer noch Metalfan und (natürlich) immer noch AC/DC-verrückt und fühle mich gar nicht so sehr anders als mein 14-jähriger Vorgänger.
Aus Sentimentalität wünsche ich mir manchmal, ich könnte neue Musik noch einmal mit jungen unverbrauchten Ohren hören. Diese Wucht von Musik, diese aufwühlenden Gefühle, diese aufregende Zeit des ständigen Anfangs erneut erleben! Es ist und bleibt unmöglich. Es gibt keinen zweiten Erstdurchlauf von "Reign In Blood". Dafür werden wir mit der Fähigkeit belohnt, Musik zugleich mit unseren jetzigen Ohren und denen unseres vergangenen Ichs zu hören. Eine Entdeckungsreise der eigenen Art, wir hören sie anders und doch gleich.
"Screaming For Vengeance" ist für mich genau die Art von Platte, die ich mit zwei Paar Ohren hören kann. Seit geraumer Zeit drehte sich 1982 "British Steel" in Heavy Rotation auf meinem Plattenteller, manchmal auch die früheren Priest Scheiben, doch erstgenannte liebte und liebe ich abgöttisch. Wann ich bei meinem zwei Jahre älteren Bruder dann den ersten Kontakt mit "Screaming ..." hatte, kann ich nicht mehr sagen, aber so beeindruckt war ich nicht. Electric Eye, Riding On The Wind, Screaming For Vengeance, You've Got Another Thing Coming und Devil's Child waren genau die Art von Heavy Metal, die ich von Judas Priest erwartete, aber andere Stücke rissen mich nicht so mit. Es sollte dauern.
You've got another thing coming ... yes, we did!
Rock Pop In Concert Dortmund am 17.-18.12.1983
Ewiger Neid sei allen sicher, die vor Ort waren, ich war es nicht, hätte mit gerade 15 im Leben nicht dorthin gedurft und war viel zu brav, um auszubüchsen (was mich auch die World Slavery Tour in Bremen verpassen lassen würde). Doch am 04. Februar 1984 saß ich um 23:15 vor dem Fernseher, hatte meinen Stereoradiorekorder für die Aufnahme an diesen angeschlossen und genoss bis 3:15 die heilige Sause im ZDF in ohrenbetäubender Lautstärke, wie meine im Wohnzimmer anwesende Mutter nicht zu betonen müde wurde.
Mit Riding On The Wind starteten Priest durch und ließen mich verzücken ... Breaking The Law, Freewheel Burning, You've Got Another Thing Coming, Living After Midnight, Victim Of Changes und Hell Bent For Leather ... eine Liedfolge des Todes. Alle schwärmten am Montag in der Metallerecke der Schule vom wahnsinnigen Freewheel Burning, das kurz vor der Ausstrahlung auf Defenders Of The Faith veröffentlicht worden war. Ich auch, doch viel beeindruckender für mich war die Liveversion von You've Got Another Thing Coming. Das war für mich alles. Das war Heavy Metal. Bis heute bläst mich dieses Stück weg ... aus der Realität, aus dem Jetzt, in meine Jugend, inzwischen fast 41 Jahre zurück in das Wohnzimmer in Edewecht.
Gekauft habe ich mir Screaming For Vengeance irgendwann im Oldenburger Plattenladen des Vertrauens in grauer MTS-Vorzeit, doch geändert hat sich an meiner Wahrnehmung der Scheibe nicht viel. Einige Knaller, ein Überflieger und ein paar andere Songs, doch keinen wirklichen Ausfall. Etliche Jahre später, viele Durchgänge später, veränderte sich Screaming For Vengeance und offenbarte sich mir in seiner ganzen, nahezu perfekten Vollkommenheit ohne daß ich sagen könnte, was sich geändert hätte. Eine einzige Ansammlung Priestscher Qualitätsmerkmale: ein stampfender, simpler doch effektiver Beat, unterlegt von Hills treibendem Bassfundament, markante Riffs, Twin Leads und das fantastische Downing-Tipton Duo, der Metal God in Hochform!
Das Album zeichnet eine Dramaturgie aus, die früher auf Platten üblich war, in der heutigen Zeit aber immer mal wieder verloren gegangen zu sein scheint. Das Intro ist Priest, einfach Priest und leitet perfekt in das grandiose Eingangsriff von Electric Eye über, den ersten typischen Priestbanger. Mich macht ja allein die Bridge nach den Soli nackig vor Glück. Mit Riding On The Wind (übrigens konkurrenzlos der wunderschönste Name in dieser Kneipe) setzen Priest gleich einen drauf. "Shootin' for the stars..." Halford reicht eine Zeile, ein Wort, um ein Statement zu setzen. Ein simpler Refrain und doch in seiner Schlichtheit perfekt. Bloodstone und (Take These) Chains nehmen das Tempo etwas raus, lassen in der Intensität aber nicht nach und sind über die Jahre sehr gewachsen. Bloodstone ist ein schöner Groover mit grandiosen Soli und (Take These ) Chains ist eine Ballade ohne diese wirklich zu sein, Chapeau! Lediglich Pain And Pleasure fällt für mich bis heute etwas ab, ohne jedoch ein Skip-Kandidat zu sein. Im Nachhinein finde ich, daß sich hier die ersten Ankündigungen von Turbo wahrnehmen lassen. Screaming For Vengeance beendet mit dem ersten Schlag und dem schnellen Riff sogleich jede aufkommende Form von Ruhe und ist ein klassischer Priest Neckbreaker. We are screaming, screaming for vengeance...! You've Got Another Thing Coming ist weder das schönste, das schnellste, noch das härteste Priest Stück. Es ist das Priestsche Stück, es steht stellvertretend für all things Judas Priest, für alles, was Priest ausmacht und ich sehe sofort Rob Halford 1983 auf der Bühne live vor meinem geistigen Auge. Fever ist wieder ein etwas getragenerer Groover mit allem, was dazu gehört und Devil's Child beendet als stampfender Riffrocker dieses großartige Album.
Judas Priest haben einige äußerst bemerkenswerte Alben in ihrer Karriere veröffentlicht; bemerkenswert aus den unterschiedlichsten Gründen: Sad Wings Of Destiny, British Steel, Painkiller, Firepower oder anders Turbo, Ram It Down, Jugulator. Screaming For Vengeance ist für mich genau das Album, das sinnbildlicher für Judas Priest steht als alle anderen. Dieses Album würde ich jemandem geben, dem ich Judas Priest erklären möchte. Oder mit anderen Worten: Screaming For Vengeance ist wie Powerage, Piece Of Mind oder Another Perfect Day ... das beste Album, das nicht genannt wird, wenn nach dem besten Album gefragt wird und auf seine Art für mich ein ewiger und besonderer Klassiker.
From an unknown land and through distant skies came a winged warrior. Nothing remained sacred, no one was safe from the Hellion as it uttered its battle cry ... Screaming For vengeance!
Ein Album für die Ewigkeit
Ein Opus mit Höhen und Tiefen, das die Sinne benebelt und die Gemüter erhitzt. Für mich ein wenig wie Licht und Schatten. Der Hörer lässt sich auf eine emotionale Achterbahn ein und wird dabei nicht enttäuscht. Der Vorhang schwingt mit „The Hellion“ auf und lässt von der ersten Sekunde an keinen Raum für Zweifel daran, dass die Scheibe gut ist. Dennoch hätte man den Übergang zu „Electric Eye“ besser und weniger abrupt gestalten können.. Stört mich. Die ersten 20 Sekunden von „Electric Eye“ sind dafür sowas von genial. Alter.. allein davon bin ich schon „electric“. Dann dieses Riff, das dafür sorgt, dass einem ganz warm wird, so als ob ein Feuer in der eigenen Brust entfacht worden wäre. Hammer! Das Lied will seine Wirkung auch einfach nicht verlieren.. Ich weiß noch, wie ich Mal mit meinem Dad im Auto saß, das Lied zum ersten mal bewusst gehört habe und ganz hibbelig wurde. „Papa, mach mal bitte lauter!“ Plötzlich wollte ich irgendwas kaputt hauen oder anzünden oder so. So geht’s mir jetzt, wo ich das Lied in und auswendig kenne, immer noch. „Riding On The Wind“ ist für mich hingegen ein mit Gewalt platziertes Puzzelstück inmitten eines ansonsten harmonischen Bildes. Die energiegeladene Atmosphäre, die vielen gefällt, mag ich nicht. Klanglich zu überladen, plumper Versuch mit allen möglichen Mitteln die Aufmerksamkeit der Hörer auf sich zu ziehen.. Wenn das alles etwas reduzierter wäre, fände ich den Song vermutlich ziemlich geil. Bei „Bloodstone“ ist es ähnlich, obwohl ich den doch noch okay finde. Zwischen all den genialen Songs geht der irgendwie unter, weil er nicht sehr gut oder gut, sondern nur durchschnittlich ist. Riff ist zwar cool, aber der Rest ist mir auf Dauer etwas zu eintönig. Der Text – der für mich immer eine große Rolle spielt – ist auch eher mau. Der Text von „(Take These) Chains“ ist dafür umso besser. „I tried to run but I’m tied to you like a slave. It’s my fault for loving you so.“ Woah.. Fühl ich. Toller Text. Viel mehr kann man dazu nicht sagen.. Das Lied fügt eine neue Dimension hinzu, ein ruhiges Poesiebuch, welches zwischen den brachialen Kapiteln des Albums liegt. Die zarte Melodie am Anfang fesselt und wirkt auf mich wie eine bittersüße Erzählung von Liebe und Verlust. „Pain and Pleasure“, ist ein weiteres eher durchschnittliches Stück, dass für mich erst in der letzten Minute so richtig interessant wird. Ganz im Gegenteil ist es mit dem Titeltrack „Screaming for Vengeance“. Unfassbar gut. Diese Gitarren... Mega! Dieser Text… Mega! Der Höhepunkt der Platte ist meiner Meinung nach jedoch ein anderer, nämlich „You’ve Got Another Thing Coming'". Die Gitarren, wie flammende Schwerter. Eine Ode an die Entschlossenheit, die in den Herzen widerhallt. Immer, wenn ich das höre, frage ich mich, ob es ernsthaft Menschen gibt, die das nicht abfeiern. Dazu kann man doch gar nicht nicht abgehen, oder? Unmöglich. „Fever“ bringt danach wieder etwas Ruhe rein, senkt das Niveau aber keinesfalls herab. Ein unglaublich intensives Stück. Pulsierend, wie Blut in den Adern. Mindestens genauso bewegend ist „Devil’s Child“. Einen besseren Abschluss, als dieses fast schon düstere Lied hätte es für diese Scheibe für mich nicht geben können. Gitarrensound, der wie Schatten über die Seele huscht und Lyrics, die von einer Beziehung mit dem Teufel flüstern. Himmel. "Screaming for Vengeance" ist, wie man beim Lesen hoffentlich erahnen kann, für mich nicht nur ein Album, sondern ein künstlerisches Manifest, das die Schönheit im Chaos, die Stärke in der Verletzlichkeit und die Unsterblichkeit im Klang einfängt. Wie am Anfang erwähnt, ein Kampf zwischen Licht und Schatten. Das war es vielleicht nicht von Anfang an, also vermutlich nicht von dem Moment an, in dem ich das Album als Kind zum ersten Mal im Wohnzimmer von Oma und Opa gehört habe, aber spätestens ab dem Augenblick, an dem ich mich selbst damit beschäftig habe.
Ein Album für die Ewigkeit, dass weiterhin Flammen der Leidenschaft in denjenigen entfachen wird, die sich auf seine klangliche Odyssee einlassen.