Das ist interessant, denn ich verstehe Cage tatsächlich völlig anders. Für mich geht es bei Cage tatsächlich um Klänge ohne emotionale Verbindung und ohne Körperlichkeit (siehe dazu auch den Clip zwei drüber, wo er über den Verkehr spricht), die Klänge sozusagen einfach passieren lassen. Unbestimmtheit und Zufall waren bei ihm ja auch entscheidende Kompositionsmittel (noch nicht bei 'Sonatas and Interludes'). Er scheint mir tatsächlich als ein Komponist, der quasi überhaupt keinen Gestaltungswillen an den Tag legt. Eine Geisteshaltung, die ja auch in Einklang mit seinem Hang zum Zen-Buddhismus steht.
In dem Sinne finde ich ihn (für mich persönlich) auch als über-Musik-Denker spannender, denn als Komponist. Mehr als viele seiner Stücke schätze ich an ihm, dass er quasi für die Musik, nach einer historisch-linearen Entwicklung zu immer mehr Komplexität, einen neuen Nullpunkt setzt, von dem wieder neu aufgebaut werden kann, die es ermöglicht den traditionellen Ballast abzuwerfen, sag ich mal jetzt etwas vereinfacht. In dem Sinne ist Cage dann auch für mich der größte Revolutionär der Musik im 20. Jahrhundert und dabei auch noch ein ganz friedliebender.
Hey, haben wir hier jetzt am Ende tatsächlich eine inhaltlichgeprägt kontroverse Diskussion?! [* Blut leck *]
Interessant finde ich in dem Zusammenhang auch die Entwicklung von Morton Feldman, der ja auch in den späten 50ern und 60ern mit Cage an einem Strang gezogen hat und ebenso mit "Unbestimmheit" in seinen Kompositionen arbeitete. In den 70ern allerdings formuliert er seine Stücke wieder detailiert aus. Er nimmt quasi die klanglichen Erfahrungen, die er in seiner "offenen" Phase gesammelt hat, entwickelt daraus dann aber wieder eine sehr persönliche und bestimmte Musik, wie Zufall und Offenheit sie nicht schreiben könnten.