...und "Revisited" mal aus aktuellem Anlass ausgesetzt, denn:
Amarok - Hope
Im Dauerrotations-Wettbewerb aktueller Alben 2024 dürfte das Alben der Polen Amarok mittlerweile gleich gezogen haben mit meinen bisherigen Jahres-Überfliegern von Witherfall, Caligula's Horse und Madder Mortem - dabei sei offen bekannt: der bisherige Backkatalog der Band spricht mich kaum an. Da ich im allgemeinen Prog-Faden dazu schon ein paar Sätze habe fallen lassen hier noch mal eine ausgiebigere, subjektive Analyse.
Eröffnet wird das Album mit dem Quasi-Titeltrack "Hope is". Das klingt, als hätten 80er-Jahre-Propaganda die Gitarre entdeckt und die Wall of Sound, die man hinter solche eigentlich fast schon discokompatiblen, elektronischen Beats legen kann. Dabei reden wir nicht von einem stumpfen Techno-Beat, sondern von einem regelrecht perfekten Songaufbau, der all die benannten Faktoren zusammen führt und zu einem homogenen Ganzen verbindet. Dass die Gitarrensounds (irgendwo zwischen Oldfield und Floyd) hierbei eine tragende und nicht untermalende Rolle einnehmen verleiht dem Titel noch einmal eine ganz eigene Note. Wer auf die aktuelle Pure Reason Revolution wartet, der wird mit diesem Titel eine äußerst gehaltvolle Ersatzdroge nehmen können, ehe...
"Stay Human" in fast schon relaxt-trippiger Art und Weise an die sonstigen Alben der Band erinnert: sehr atmospährisch, irgendwie loungig, ohne zu nerven, erneut kommen mir PRR in den Sinn, zumal sich der Song peut à peut und trotzdem völlig unaufgeregt steigert. Anders als beim Opener hat die Gitarre hier eher eine untergeordnete Rolle, wird aber über die Laufzeit durchaus bedeutsamer.
"Insomnia" ist der Song des Jahres bisher für mich! Punkt! Dire Straits treffen auf Pink Floyd, die Band setzt erstmalig auf einen eher rockigen Ansatz, die Elektronik ist nicht mehr übermäßig dominant. Wen hier nicht schon allein das Gitarrenintro (in Polen scheinen übermäßig-gefühlsmäßig talentierte Griffbrettbearbeiter auf Bäumen zu wachsen...) abholt, dem ist kaum zu helfen. Erneut beweisen Amarok mit diesem Song, dass ein sukzessiver Auf- und Ausbau von Songstrukturen (zumindest auf "Hope") ihre Königsdisziplin ist.
Mit "Trail" geht es dann in die Frühneunziger Disco: 7 Minuten Beats, die sofort im Ohr kleben bleiben, gepaart mit floydigen Untertönen, unfassbar viel Melodie - und erneut baut man sich am Ende eine Brücke in Richtung Rocksong, der (wieder mal) an PRR denken lässt.
"Welcome" mutet düster an, lässt aber permanent ein wenig Sonne rein und setzt gerade in Sachen Gitarrenarbeit erneut spannende Akzente, "Queen" war bislang eher so der Ausfall für mich auf "Hope", mittlerweile sehe ich das Stück im Kontext des Albums durchaus richtig platziert - und doch wirkt es für sich ein wenig verloren, eintönig und experimentiell - erinnert ein wenig an die frühen Alben der Band, mit denen ich so nicht klar komme, wobei man zumindest auf einen schweren, wenn auch nicht unmittelbar zwingenden Chorus bauen kann.
"Perfect Run", ein Instrumental, erinnert an 80er Jahre-Yes und lockert das Album prima auf, ehe mit "Don't Surrender" ein Tränentreiber der feinsten Sorte folgt: 7 Minunten Floyd-Woreshipping, ohne zur Kopie zu verkommen. Aus meiner Sicht ist es immer schwierig, diese "Onkelz-Thematik" in einen kitschfreien Kontext zu bekommen, "Don't Surrender" ist eine Paradebeispiel dafür, wie es funktioniert.
"Simple Pleasures" - mit knapp siebeneinhalb Minuten der längste Song des Albums - bietet erneuet eine tiefe Verbeugung vor dem 70er Prog und wickelt diesen in warme wie auch mal kühlere Keyboardsounds ein. Erneut so ein Thema, wo man mächtig ins Klo greifen kann in Sachen Kitsch/Musik - aber erneut ein Paradebeispiel, wie es eben funktioniert.
Der Rauswerfer "Dolina" hat einen folkigen Anstrich der maritimen Sorte und ist in der polnischen Landessprache vorgetragen - Sehnsucht pur.
"Hope" ist leise, aufmunternd, nachdenklich, mal lauter, mal ausufernder - und in Verbindung mit der titelgebenden Thematik, die sich in verschiedener Form durch das ganze Album zieht, ein kleines Meisterwerk. Das liegt nicht (nur) an den einzelnen Songs, primär ist es die Kunst, einen roten Faden zu erschaffen, auf dem sich die einzelnen, bunten Perlen in gleicher Form und Größe aneinander reihen und ein großes Ganzes erstrahlen lassen, das seine Aussage in Text wie Musik widerspiegelt: Hoffnung! Nicht plakativ, nicht religiös, nicht populistisch-reißerisch, sondern verpackt in ein Album, das fragil und stark zugleich zu vereinen vermag. Ganz, ganz starkes Statement, das mich in Summe massiv beeindruckt hat und bei jedem neuen Durchlauf neu zu packen vermag, gerade in Zeiten wie eben jenen wie diesen derzeit.