Prodigal Son
Till Deaf Do Us Part
Das ist tatsächlich immer die gleiche Diskussion, allerdings wird diese gerne von der Seite geführt, deren Ruhm verblasst und deren Glanzzeit länger zurück- oder einfach brachliegt. Andreas, du bist mir echt sympathisch, aber beim Fußball kannst (und willst) auch du nicht aus deinem einengenden Löwenfell hinaus (ist dir egal, ich weiß). Wurde dein TSV als Bundesligist mit millionenfacher Anhängerschaft gegründet? Wie weit waren heute gestandene, der Retorte unverdächtige Clubs wie der FSV Mainz 05 oder der SC Freiburg in den 1980ern noch von der Bundesliga entfernt? Oder in unserem neulich diskutierten Fall: Wer bestimmt, was ein Derby ist? Der schlafende Riesenlöwe, dem in seiner Trägheit das rot-blaue Kroppzeug zu lästig ist oder doch die kleine Rennmaus, die dem schwerfälligen selbsternannten König der Fußballtiere im Vorbeigehen die Beute (Punkte) in die Vorstadt entführt? Nach deiner Logik müssten wir auch Sanhedrin oder Night Demon ignorieren, die hatte zu NWOBHM-Zeiten auch noch keiner auf dem Schirm. Wer sich in die erste oder zweite Liga hocharbeitet (und ich meine damit nicht den schnellen Aufstieg erschleichend à la RB Salzburg) hat, wie du ja auch zugibst, in der Beletage sehr wohl etwas verloren. Und wer sich dann sportlich etablieren kann, der zieht auch mal eine neue Generation an Zuschauern, die die Stadien füllen und für Derbystimmung sorgen. Und auch wenn ich das bei Elversberg als Beispiel persönlich weniger erwarte, so möchte ich diesen Vereinen keineswegs die Berechtigung absprechen, diesen Weg erstmal einschlagen zu dürfen. Jeder fängt mal klein an, der Rest ergibt sich mit der Zeit.
Wir sprechen hier von zwei unterschiedlichen Sachen und beide können wir unsere Standpunkte mit Fakten belegen. Dir geht es um nachhaltigen sportlichen Erfolg? Klar, kann man an den Tabellen ablesen. Mainz, Augsburg, Heidenheim - alle kontinuierlich nach oben gearbeitet und Schritt für Schritt steigt das Interesse und langfristig auch die Zuschauerzahlen. Alles schön, alles richtig, aber trotzdem fehlt was.
Trotz (in den ersten beiden Fällen) mittlerweile längerer Erstklassigkeit, lässt das Faninteresse rapide nach, sobald man in die Nachbarstadt fährt. Da sind dann auf einmal alle Fans der Eintracht, der Bayern (oder teilweise 60) oder vom VfB. Denn das Thema, um das es mir in dieser Diskussion geht, ist die Fanszene und zwar die aktive im hier und jetzt. Meine Kriterien anhand derer ich das festmache, sind Mitgliederzahlen, Stadionauslastung (etwas komplizierter) und Auswärtsfahrerschnitt. Bei allen dreien ist das obige Trio in der Bundesliga eher hinten dran, sogar hinter 1860, deren Fans sich zwei Ligen tiefer mit eigenem Rumpelfußball und Auswärtsfahrten zu Zweitvertretungen vergnügen dürfen.
Die Stadionauslastung ist ligenübergreifend schlecht vergleichbar, aber in der BuLi so hoch, dass Vereine wie die drei genannten immer ohne Stress ein 30.000er Stadion bauen können und das zu 90% voll bekommen, da sehe ich das Produkt Bundesliga als Hauptfaktor, da selbst Hoffenheim auf 80% Auslastung kommt. Eine Liga drunter sieht man, dass bei Schalke und dem HSV auch Großstadien dauernd voll werden, während Hertha und der Club da auf etwas zu großem Fuß leben. In der Dritten ist das massiv von Erfolg und Tradition abhängig (Dresden, Münster, Essen) mit der Anomalie Sechzig, wo trotz mieser Saison 100% erreicht werden.
Wenn man diese Kriterien heranzieht, sieht man, dass da der sportliche Erfolg nicht automatisch allgemeine Beliebtheit nach sich zieht, bei Wolfsburg haben da auch Meisterschaft und Pokal nicht geholfen, Mainz und Augsburg werden immer Phänomene ihrer Stadt bleiben und Clubs wie Heidenheim (sympathisch, aber bieder) oder jetzt Ulm (sympathisch und etwas chaotisch), sind jetzt bei Erfolgen recht attraktiv, aber im Herzen der Leute dort oftmals nur der Zweitverein nach dem VfB. Bisher nicht erwähnt hatte ich den SC Freiburg, der sich in der Tat langsam zumindest zu einer Regionalgröße mausert mit Platz 10 bei den Mitgliedern und einer immer aktiveren Auswärtsfahrerszene. Aus meiner Sicht ausschlaggebend sind zwei Faktoren: regionaler Platzhirsch in Südbaden und der Sympathieträger Christian Streich.
Zurück zur Derbyfrage, wer das denn festlegt? Jeder für sich wohl. Die Medien nennen alles mögliche Derby, selbst ein Spiel VfB gg. Bayern, also ein sehr weiter Derbybegriff. Dann kann man es, wie Du, an der Entfernung festmachen und rein danach wären 7km schon derbywürdig. Meine Kriterien sind da deutlich enger: eigentlich selbe Stadt (einzige Ausnahme Ruhrderby) und lange gewachsene Rivalität, zumindest zeitweise auf Augenhöhe (deswegen: Ruhrderby). Und selbst wenn Haching mal in einer Saison beide Spiele gewinnt und am Ende deutlich vor uns landet und deswegen ein paar Fans mehr sich diese abenteuerliche Farbkombination antun, sehen viele Löwenfans das nicht als Derby an, weil einfach keine Augenhöhe der Fanszenen herrscht und deswegen keine wirkliche Rivalität. Ist ja auch nicht weiter schlimm, oder?