Heavy Metal Lockdown - Wie lange noch? (by Dr. Zoid)

B-01: The Shining OST – Main Title (Edit) [The Shining OST | 1980]
Gibt es einen schöneren Film, den man sich in Zeiten häuslicher Quarantäne im Kreise der Familie anschauen kann? Die von @zopilote gemutmaßten steilen Bergwege passen witzigerweise hundertprozentig, da zu diesen Klängen der Anfangssequenz die Serpentinenfahrt zum Overlook Hotel zu sehen ist. Spooky.

Diesen kleinen Gag konnte ich mir nicht verkneifen, zumal das Ende von Shining mit dem tiefgefrorenen Jack Nicholson hervorragend zum nächsten Song überleitet:

B-02: Hüsker Dü – Ice Cold Ice [Warehouse: Songs And Stories | 1987]
"We'll see the blank expressions, waiting for progression. Standing still in place and time. No one's moving. They're only standing still in ice cold ice cold ice." Eine Umgebung, die komplett von Eis überzogen ist. Natur, Gesellschaft, persönliche Beziehungen. Alle warten darauf, dass es voran geht. Aber da geht schon lange nichts mehr.

Für mich - trotz der äußerst dünnen Produktion - eine der größten Hymnen aller Zeiten. Obwohl ich Hüsker Dü viel Liebe und Anerkennung entgegenbringe, stehe ich dem Band-Output manchmal zwiespältig gegenüber. Auf jedem Album tauchen halt immer wieder Songs auf, die mich nicht so richtig überzeugen wollen (die wurden dann übrigens auffällig häufig von Grant Hart geschrieben). Trotzdem ist das eine dieser Bands, bei denen das bloße Lesen des Bandnamens mein Herz höher schlagen lässt.

B-03: Paul Giovanni – Willow's Song [The Wicker Man OST | 1973]
Höchste Zeit wieder aufzutauen. Und was wäre dazu besser geeignet, als die verführerische Wärme von Britt Ekland und die gemütlichen (wenngleich modisch fragwürdigen) Pyjamas? Selten dürfte das Einhalten von Kontaktbeschränkungen schwerer gefallen sein als hier. Achja: Die Textzeile "How a maid can milk a bull / And every stroke a bucketful" ist wahrscheinlich ähnlich subtil wie Deep Purple’s "Knocking At Your Back Door"…

Ob der (mal psychedelische, mal schrullig-überdrehte) Folk-Soundtrack losgelöst vom Film funktioniert, würde ich eher in Zweifel ziehen. Aber er passt halt hervorragend zur ziemlich einzigartigen Stimmung von The Wicker Man.

B-04: The Gun Club – Sex Beat [Fire Of Love | 1981]
Es bleibt heiß. Und zwar so heiß, dass der feurige Rhythmus Johnny, Jake, Shirley und Debra Ann in eine Ekstase der Bewegungslosigkeit versetzt: "My body in the water and my heart is in your hand. So this is the way you choose to send me to the judgement land. So you can't move, move - sex beat, go!"

The Gun Club sind Cadillac und Voodoo-Kult, Delta-Punk und Petticoat, Fett im Haar und Wolfsgeheul. Hätte es in der ersten Staffel von True Detective so etwas Vergleichbares wie das Roadhouse in Twin Peaks gegeben, hätten in dieser Bayou-Kaschemme The Gun Club jeden Abend ihren Auftritt sicher gehabt.

B-05: Smog - Prince Alone In The Studio [Wild Love | 1995]
Dieser Song handelt von Prince (ja, dem Prince) wie er seit Stunden versucht, alleine im Studio etwas auf's Band zu zaubern, was seinen Ansprüchen gerecht wird. Der Text verdient es an dieser Stelle durchaus, einmal in Gänze zitiert zu werden:
Prince alone in the studio
It's two a.m. and all the girls are gone
The girls thought they were going to be able
To have sex with him
They wore their special underwear
Once the tracks were laid down
Prince's back turned around
Raspberry headphones on his head
On his ears
Prince alone in the studio
It's three a.m.
Prince hasn't eaten in eighteen hours
Dinner's burned on the stove
But prince, he doesn't even know
Prince alone in the studio
It's four a.m.
And he finally gets that guitar track right
And it's better than anything any girl could ever give him
Because prince is alone
Prince is alone
Oh prince, you are so alone
And when it's all complete
He feels like a hunter on the street
And when it's all complete
He feels like a hunter on the street
Der Gedanke, dass aus der Verwirklichung von etwas mit Wert nur für einen selbst eine tiefe Form der Genugtuung resultieren kann, darf auf diesem Sampler schließlich nicht fehlen.

Unter dem Pseudonym Smog bzw. (Smog) war Bill Callahan bis 2005 aktiv, bevor er unter seinem "echten" Namen weitergemacht hat. Ich bin längst nicht mit allen Phasen seines Schaffens vertraut, aber was ich kenne, lässt sich am ehesten als eigenbrötlerisches Singer-/Songwritertum mit meist schwarzhumorig-obskuren Texten bezeichnen. Anfangs noch stark in der Lo-Fi-Ästhetik verwurzelt, hat sich der akustische Dunst dann immer mehr gelichtet. Allerdings ist vieles hit or miss. So ging mir Wild Love irgendwann so sehr auf die Nerven, dass ich mich von der Platte wieder getrennt habe. Daher muss ich zugeben, dass dieser Song von einem schnöden Youtube-Clip stammt (fühle mich auch angemessen dreckig deswegen).

B-06: Guided By Voices – Hardcore UFOs [Bee Thousand | 1994]
"Sitting out on your house / Watching hardcore UFOs / Drawing pictures, playing solos till ten / Are you amplified to rock? / Are you hoping for a contact? / I'll be with you, without you, again" Entdecke das Kind in dir - Langeweile als Quelle der Phantasie und Kreativität: Warum nicht gebannt nach UFOs Ausschau halten, mal wieder ein Bild malen oder bis in die Puppen Gitarre spielen?

Ach, GBV. Eine Band mit einer Diskographie, die selbst die japanischen Sabbat wie einen Haufen Müßiggänger aussehen lässt (Stand jetzt, 19.05.2020, 21:57 Uhr): 34 Studioalben, 23 EPs, 60 Singles. Tief im Lo-Fi verwurzelt, klingt die Band in ihren kurzen, collagenhaften Songfragmenten nach schwer-beschädigten Beatles-Demos, die via Dosentelefon von Ringos Mutter mit einem Diktiergerät aufgenommen wurden. Zugegeben ein aquired taste, dem ich selbst zunächst mit milder Abscheu begegnete. Mittlerweile aber eines meiner liebsten sunshine-lollipops-and-rainbows-Alben.

B-07: Dead Moon – My Escape [Unknown Passage | 1989]
So langsam werden erste Fluchtpläne geschmiedet - auch wenn der Schuss hier eindeutig nach hinten losgeht: "And I go to my room, lock the door to run away from myself." *facepalm* Hey, you’re doing it wrong, mate…!

Ich habe die Band leider erst im Zuge der posthumen Huldigungen anlässlich Fred Cole's Tod kennengelernt. Schamloses Selbstzitat: Das ist mit einfachsten Mitteln kreierte Musik für's Herz. Man sieht das Trio förmlich in der versifften Garage stehen, wie es angespornt von Weltschmerz & Whiskey diese Songs zwecks eigenem Überleben in den Vier-Spur-Recorder pressen MUSS - soviel Angst, Verzweiflung und Wut schwingt da mit. Die pure vertonte Leidenschaft. Dass Dead Moon ebenfalls wie die Wipers aus Portland stammen, erscheint geradezu zwangsläufig.

B-08: Peter Hammill – A Louse Is Not A Home [The Silent Corner And The Empty Stage | 1974]
Da möchte ich @zopilotes wunderbaren Ausführungen nichts hinzufügen.

Die letzten Monate habe ich mich endlich einmal ausgiebiger mit den 70er-Jahre-Alben von Van der Graaf Generator auseinandergesetzt – ein wilder Ritt! Wie es der Zufall so will, hätte ich heute übrigens VdGG in Köln sehen sollen, grmpf. The Silent Corner… ist bislang das einzige Solo-Album, das ich von Peter Hammill kenne. Und das ist vielleicht in allen Belangen noch etwas weiter draußen, als es seine (in Teilen auch hier vertretene) Hauptband ohnehin schon ist. Dicke Empfehlung für alle wagemutigen und solche, die eh nichts mehr zu verlieren haben.

B-09: The Arcade Fire – Neighborhood #1 (Tunnels) [Funeral | 2004]
Ich hatte natürlich mit dem Gedanken gespielt, den Sampler in der Katastrophe, im Niedergang, letztendlich in kompletter Selbstauflösung à la Paul Auster münden zu lassen. Aber wer zwölf Minuten Peter Hammill über sich ergehen lassen musste, hat - denke ich - einfach Anspruch auf ein Happy End. Und ja, das ist ganz große Gefühlskino. Das ist das aufeinander zu laufen mit ausgebreiteten Armen am Strand bei Sonnenuntergang. Die Schaumkrone der Woge der Begeisterung. Meine Süßwarenabteilung im Supermarkt. "You climb out the chimney and meet me in the middle, the middle of the town. And since there's no one else around, we let our hair grow long and forget all we used to know." Feuerwerk. Ausblende. Abspann.

@zopilote: Machen wir uns nichts vor: Den Sampler in der Art und Weise zusammenzustellen, hätte ich mich längst nicht bei jedem Wichtelpartner getraut. Daher nochmal ganz großen Dank für deine interessanten Eindrücke, die tolle Besprechung und deine Leidensfähigkeit. :)

Hm, zumindest muss ich mich nicht schämen, weiter nichts erkannt zu haben, denn nun enttarnten Musikmacher waren mir großteils wirklich unbekannt, wobei mir Gang of Four und Fugazi zumindest namentlich ein Begriff sind. Bei Fugazi stehen die Zeichen nach diesem Erstkontakt nicht so schlecht, dass sich das nochmal etwas vertieft. John Martyn liest sich ja sehr spannend, und ich habe schon genau die Leute im erweiterten Musiknerdbekanntenkreis im Kopf, bei denen ich den Namen nächstes Mal beiläufig fallen lassen werde, um zu sehen, was dann kommt.

JDH auch nie gehört, scheinen auch labellos, wie bist du denn auf die gestoßen? Beste Beschreibung, die ich gefunden habe: "Bluesrap für heimatlose Trinker und verlorene Schwestern"

Kleiner Nachtrag: Aus Homeofficegründen konnte ich die Kassette anfangs immer nur per Kopfhörer hören, und ich habe übrigens auch schon gemerkt, was da mein Soundproblem war: die haben eine Noise-cancelling-Funktion, die einfach mit Kassetten nicht funktioniert, weil sie das weiße Rauschen hintendran extrem verstärkt. Auf Anlage klingt das meiste dann wieder super, auch wenn ich die Texte von Dackelblut und Team Dresch vermutlich auch so nicht besser verstanden hätte.

Apropos Team Dresch, der Song hat mir zwar nicht so gefallen, aber da bin ich jetzt doch motiviert, mich weiter damit zu beschäftigen. Also deutscher Queercore, ja? Ich kenne aus dem von dir angesprochenen Segment eigentlich nur Bikini Kill und Atom and his Package (falls das zählt, haha).

... sondern das Labor des Grauens vielmehr in einer Hamburger Schule zu finden sein muss…!

Pardauz! :D :acute:

Punkto Konzertabsagen hat mich "Sag alles ab" übrigens nicht ins Mark getroffen; das wäre anders gewesen, wenn der Track "Versuche letztlich vergeblich, alles irgendwie zu retten" geheißen hätte ...

Mit einiger Verspätung ist deine Pherkelei über den "Solo Dancer" übrigens auch hier angekommen :D

Shining OST, da hätte ich auch draufkommen können. Trotz aller Defizite ist die Kubrick-Filmografie eine, wo ich ein bisschen fitter unterwegs bin. Habe ich allerdings schon ewig nicht mehr gesehen. Zum Glück gibt es diese Hin- und Her-Besprechungen, dass solche Feinheiten wie dein Nicholson-on-ice nicht verloren gehen!

Von The Gun Club kenne ich zumindest jedes Plattencover, weil mein Vater die seit jeher in seiner Wohnung oder seinem Atelier ausstellt (ein befreundeter Tischler hat ihm so Regale gemacht, in die man LPs mit dem Cover nach vorne einstellen kann). Zum Hören bin ich noch nicht gekommen, denn ausleihen wollte er sie mir nicht (bis heute beschuldigt er mich immer, wenn er eine Platte nicht finden kann, dabei habe ich maximal noch seine Paul Auster-Bücher). Jetzt wo du es (nochmal) schreibst, meine ich diese drückende Louisiana-Schwüle auch im Sound zu erkennen ...

Der Smog-Text ist ja wohl der Hammer! Wirkt auf mich nicht eigentlich nicht bissig, sondern wie eine ziemlich aufrichtige Wertschätzung von Prince. Ich war kurz nach dessen Tod auf einem Steven Wilson-Konzert und habe erst, als der mit tränenerstickter Stimme ein Prince-Tribute angekündigt hat, begonnen zu erahnen, wie hochgeschätzt der vor allem unter seinen Musikerkollegen war.

Peter Hammill = Van der Graaf Generator also. Dann irre ich mich vielleicht insofern, als dass ich den Gesang möglicherweise doch noch nie gehört habe. Das fällt aber die Entscheidung, auch nach der ständigen VdGG-Propaganda im Chaos Descends Festivalthread, diese Truppe in der Prioritätenliste ganz nach oben zu reihen. Aber zuerst das Soloalbum. (P.S.: 70er, Wahnsinn. Das hätte ich mindestens 10, 15 Jahre später geschätzt.)

Arcade Fire kenne ich wieder ein bisschen, aber das wäre echt zu lange her gewesen, um eine echte Chance beim Raten zu haben. Die waren relativ präsent zu meiner Schulzeit, und weil ich da über kurz oder lang mit allen Leuten auf Tuchfühlung ging, die rockigere Sachen gehört haben, habe ich auch ein paar Einblicke in die damaligen Befindlichkeiten der Indie-Rock Crowd mitgenommen. Das war dann aber nur kurzfristig, denn die waren mir alle zu brav und zu langweilig angezogen, die Musik zu verletzlich. Tja - man sieht sich immer zwei Mal im Leben.
 
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JDH auch nie gehört, scheinen auch labellos, wie bist du denn auf die gestoßen? Beste Beschreibung, die ich gefunden habe: "Bluesrap für heimatlose Trinker und verlorene Schwestern"

@1984 hatte die im hiesigen Hip-Hop-Thread und darüber hinaus mit Nachdruck beworben, so dass ich irgendwann eingeknickt bin und reingehört habe. Beschreibung passt. :D

Team Dresch [...] Also deutscher Queercore, ja?

Nicht ganz: Die Band kommt aus dem Staate Washington.
 
Dem kann ich nur beipflichten! Hab es damals auf Anraten von @Fire Down Under aus einer Wühlkiste im Saturn mitgenommen und war trotz der musikalischen Nichtsofortzugänglichkeit instant begeistert. Danke für die Erinnerung, es wieder hervorzukramen, es ist nach wie vor überwältigend...!
 
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