Heavy Metal Lockdown - Wie lange noch? (by Dr. Zoid)

Track 03: Das ist schwer, weil ich nicht ganz weiß, in welches Jahrzehnt ich diesen Song stecken soll. Spontan hätte ich gesagt UK-Punk, späte 70er - weil zwar die Rhythmen schon da sind, und die Riffs, das ganze aber recht aufgeräumt daherkommt und nicht irgendwie dreckig oder aggressiv, einfach nur energetisch. Und die Riffs und der Gitarrenklang sind einfach typisch. Woran ich denken musste, waren auch nicht-ganz-frühe Stranglers oder Iggy Pop oder so, aber naja, es fällt zu dieser Zeit ja einiges zusammen, und auch auf dem ersten Siouxsie and the Banshees-Album wäre der Song nicht negativ aufgefallen, vorausgesetzt natürlich Siouxsie Sioux würde ihn singen und nicht irgendein Typ wie hier. Je mehr ich drüber nachdenke, desto eher stecke ich das Ding in diese frühe Wave und Batcave-Ecke, weil die ersten Sekunden auch noch extrem nach Bauhaus klingen. Also mein Tipp: eine gerade-noch-irgendwie Punk, wenig später aber Darkwave-Band. Text: Refrain irgendwas mit "so you can't move".
Hier bin ich übrigens sehr auf die Auflösung gespannt!
 
Nein!
Dass du den Song zuerst zeitlich in der Vergangenheit verortet hast, war die richtige Spur. Ich kann mir aber vorstellen, dass Dr. Zoid eine aktuellere Interpretation davon auf den Sampler gespielt hat. Das Bild ist aus der zum Song gehörenden Filmszene. Ein ganz toller Horrorfilm. Gibt glaube ich viele Metalbands, die Bezug drauf genommen haben, am bekanntesten sicher Iron Maiden.

Oh, ah - da muss ich dann nochmal in mich gehen.
 
Ein paar Hinweise zur B-Seite:

Das Intro entstammt in der Tat einem Film und mit 70er Jahre liegst du nur hauchzart daneben. "Bergwege" passt. Das Ende des Films leitet übrigens galant (so zumindest der Plan) zum nächsten Titel über.

Track 01: Bad Religion sind's nicht. Weder West- noch Ostküste, sondern eher mittlerer Westen. Genre-untypisch hat die Band u.a. zwei Doppelalben herausgebracht. Vom letzten ist dieser Song. Übrigens: Die von dir genannte Textzeile kommt darin nicht vor. Aber vielleicht lief im Nebenzimmer zeitgleich Pearl Jam? ;)

Track 02: Den hat dir @Sheriff Ungol ja schon auf dem Silbertablett serviert. Hättest du dich dem gleißenden Licht des Kodex zumindest einen Spalt weit geöffnet, wüsstest du vermutlich auch, dass die weiße Göttin mit einem Sample aus diesem Film beginnt.

Track 03: Also, wenn ich nicht schon einiges von der Band im Schrank stehen hätte, würde ich mir die Sachen alleine aufgrund deiner rattenscharfen Beschreibung gleich nochmal zulegen. Um die Suche vom vereinigten Königreich wegzulenken, möchte ich deine Ausführungen noch um eine ordentliche Portion schwitzigen Südstaaten-Sound und eine Prise Voodoo ergänzen.

Track 04: Auch da lässt sich nicht mehr viel hinzufügen. Vielleicht noch, dass der gesuchte Singer-/Songwriter heutzutage unter seinem im Personalausweis stehenden Namen unterwegs ist und früher unter einem stickigen Pseudonym unterwegs war, welches er manches Mal umklammert hat.
 
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Alsdann, erstmal zu den Tipps:

01: Hüsker Dü - Ice Cold Ice

Danke für die rege Beteiligung; das sind tatsächlich gute Nachrichten für mich. Bedeutet es doch, dass Bad Religion eine weitere Dekade ad acta verbleiben können, während ich mich baldestmöglich Hüsker Dü zuwenden muss, weil dieser Song sich nachhaltig eingebrannt hat. Ich hatte es ja, trotz von @CandyHorizon richtig erkanntem Album, zuerst nicht nachgehört, hätte mal aufgrund der Titel und dem Samplerthema auf "You Can Live at Home" getippt, aber so ist's auch gut.

02: Rachel Verney - Willow's Song

Das hat mir, und zwar nicht trotz, sondern vor allem wegen der Tipps viel Kopfzerbrechen bereitet. Ich wusste ja schon, dass ich die Stimme sicher nicht kenne, das hat viel ausgeschlossen. Wicker Man habe ich tatsächlich nie gesehen, obwohl er auf jeder Filmliste steht, die ich mir selbst für die spätere Abarbeitung je geschrieben habe (konsequenter Filmkonsum ist aber allgemein echt nicht meine starke Seite, und seit ich mich immer mit jemanden auf das Programm einigen muss, gehen meine Listen auch tendenziell den Bach runter ...). Ich hatte aber noch Ideen: zuerst Vashti Bunyan (schnell verworfen), dann bei meiner Freundin um Entwicklungshilfe angesucht: "Die singt wie diese eine aus dem Pete Sellers-Film" meinte sie. Der Film war der "Partyschreck", und sie meinte Claudine Longet, was musikalisch nicht ganz passte. Aber es war doch verhältnismäßig nahe dran, wenn man sich ansieht, was Britt Eklund sonst noch trieb, wenn sie nicht gerade Leute mit ihrer anderweltlichen Stimme verzauberte. Diesbezüglich bin ich auf jeden Fall verloren & verkauft, den Song werde ich so schnell nicht vergessen.

03: Ich habe nunmehr auch offiziell absolut keine Ahnung und weigere mich, weiter darüber nachzudenken, denn mein "best guess" steht schon da :) Kann nur hinzufügen: "Sex beat" (oder so, vielleicht schon wieder ein Verhörer, höhö), "they are stupid like (us) all".

04: Auch nichts Neues von der Studioprinzenfront. Versprochener Kopfhörerdurchgang brachte keine neuen Erkenntnisse. Musiker in Klammern kenne ich keine, glaube ich. Zumindest habe ich keine in der Sammlung, dann hätte ich das Sortierproblem nämlich schon gehabt.
 
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05 Heißt vm. with you - without you, oder auch nicht. Ich hab es noch ein paar Mal versucht, aber zum einen ist der Song so kurz, und zum anderen für mich so nichtssagend, dass ich fürchte, dazu nicht viel mehr anbieten zu können. Kennt ihr das, wenn sich in einem Text ein Reim wie die Faust aufs Auge anbieten würde, aber der von den Songwritern in entnervender Coolness übergangen und mit einem beliebigen nicht-Reim-Wort ersetzt wurde? So eine Stelle gibt es hier, und das angesprochene " ... da da irgendwas rock ... are you hoping for a cock?" wäre einfach der Bringer gewesen. Stattdessen singt er aber "contact", und damit ist der aufdringlichste Aufhorcher auch dahin.

06 Yeah, Dead Moon! Die wurden mir erst vor ein paar Wochen/Monaten vorgestellt (leider jedes Zeitgefühl in der Isolation verloren). Ein Bekannter hat sich beklagt, dass seine enthusiastische Propaganda für die Band keine Anhänger fände, weil alle nur am Gesang von Fred Cole rummäkeln würden. Ein klarer Fall von "die Krise wird zur Chance", in diesem Fall für ihn, sich einen neuen Freundes- bzw. Bekanntenkreis zuzulegen. Ich war jedenfalls sofort verliebt. Mittlerweile steht zumindest die "Echoes from the Past"-Compilation hier. Totale Pflichtband, die durch ihr essentialistisches Spiel und Songwriting sowas von den Finger in die Wunde legt bzw. den Nagel auf den Kopf trifft (je nach Stimmung), dass sie praktisch im Vorbeigehen ganze Genres überflüssig macht. Der Track heißt "No Escape" (es geht auch drum, sich in seinem Zimmer einzusperren und so).

Zu 07 und 08 (dem letzten Track) habe ich schon einiges zu Papier gebracht, aber da das ausführlicher wird und ich außerdem noch nix erraten habe, aber bei beiden Tracks noch eine kleine Resthoffnung besteht, zumindest in die Nähe zu werfen, werde ich euch mein verschriftlichtes Stolpern dann morgen präsentieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Sehr schön!

Ergänzung zu B-02: Nur der guten Ordnung halber: Gesungen wurde das Lied im Studio von Rachel Verney. Aber da du den Partystchreck erwähnt hast, noch folgender Fun Fact: Peter Sellers war einmal verheiratet mit ... *Trommelwirbel* ... Britt Ekland!

Ergänzung zu B-03: Mit dem „Sex Beat“ liegst du goldrichtig. Das sollte sich dann doch lösen lassen.
 
Sehr schön!

Ergänzung zu B-02: Nur der guten Ordnung halber: Gesungen wurde das Lied im Studio von Rachel Verney. Aber da du den Partystchreck erwähnt hast, noch folgender Fun Fact: Peter Sellers war einmal verheiratet mit ... *Trommelwirbel* ... Britt Ekland!

So so - ich dachte ich hätte es, weil Eklund selbst anscheinend auch Musikerin war. Die Ehe mit Sellers meinte ich, als ich schrieb Claudine Longet war, obwohl ins Blaue hineingeraten, schon absurd nahe dran - zumindest hätten alle drei einander mit einem unbekannten Killervirus anstecken können.

Aber mal was anderes, wurde der Song für den OST geschrieben oder steht er auf einem Album von dieser Verney?
 
Meinen Nachtrag zu Track 05 habe ich in meinen Post von gestern Abend eingefügt. Wien hat 10 Grad, bewölkt, leichter Wind, und für heute Abend ist ein verstärktes Aufkommen geöffneter Schenken prognostiziert, deren Existenz in diesen Landen nur mehr in auf Bierdeckel gekritzelten Versen überliefert ist. Das nur zur Einbettung.

Und an diesem Wendepunkt der Gezeiten möchte ich mich nun endlich dem Finale der B-Seite widmen.

Bei bei Track Nummer 7 wird es jetzt richtig ernst, schnallt euch an. Wir stellen uns ein mehrstöckiges, verfallendes Herrenhaus vor, Jahrhundertwende, knarrende Holzböden, Spinnweben, muffig-feuchter Geruch. Erlaubte Assoziationen beinhalten, sind aber nicht beschränkt auf Wolfgang Hohlbein's "Dreizehn", Lemony Snicket, das Vampirbohéme-HQ in Jarmusch's "Only Lovers Left Alive", den vorgestellten Ort, an dem Nick Cave die Murder Ballads geschrieben hat, das Haus der Addams Family. Unser Protagonist sitzt in in einem ansonsten leeren Zimmer im 2. Stock auf einem Holzstuhl vor dem Spiegel. Der Nebenraum ist vollgestopft mit allen Instrumenten, die es gibt. Getragen, melancholisch klagend und mit Pianobegleitung fangen wir an.:

Sometimes it's very scary here
Sometimes it's very sad
Sometimes I think I'll disappear
...
(enter Torero-Trompete)
There's a light, sneaking down my mirror, (... it) distorts my face
And although the light is strong and strange, it can't illuminate the musty corners of this place

Eine Charakterstimme, die ich garantiert schon mal gehört habe, wiegt sich im Takt mit den Instrumenten, zu denen im Moment Bass, Piano, Schlagzeug und Trompete gehörten. Der Gesang schaukelte sich immer wieder zu einer leicht schiefen Ekstase hoch, molto intensivo, und im Schnitt kommt alle 20 Sekunden ein neues Instrument dazu, jetzt erstmal Klarinette, während sich andere wieder verabschieden. Wenn sich die Musik zu den ekstatischen Refrains verlangsamt, zieht sich der Rest des Instrumentariums oftmals eher zurück und das Piano wird am Präsentesten, an einer Stelle meine ich sogar ein Harmonium oder eine Art Orgel zu hören.

Wir haben nun in etwa die Spielzeit eines Kurztracks erreicht, und die Kapelle wird dann mal abgebaut: ... and in the shadows lurks the spectre of despair.

Das minimalistische Ausklingen mit Bass und Drums entpuppt sich aber als Überleitung, und spätestens jetzt wird klar, dass wir soeben in den zweiten Akt eines Opus Magnum eingetreten sind, das nicht beabsichtigt, in naher Zukunft zu einem Ende zu finden. Zärtliche Zweistimmigkeit und Piano heißen uns willkommen, dann kommt eine Stelle, die ich den "Jethro Tull Break" getauft habe, weil Klarinette und Querflöte sich nach vorne spielen und auch einige 70er Prog-Einsprengsel es in die Musik schaffen, die mich wechselweise eben an die erwähnten oder an Colosseum erinnern. Obwohl die Musik nie richtig schnell wird, ziehen sich zahlreiche Tempiwechsel durch das Stück, ein ständiges Auf und Ab, hoher Seegang sozusagen, ebenso wie mit ein paar Themen gearbeitet wird, die wiederholt und variiert werden. Die Refrainmelodie, zu der wir hin und wieder zurückkehren, ist trotz aller gezähmten Verrücktheit extrem eingängig und taucht des öfteren etwas unpünktlich auf: etwa so, als hätte sein Text, in dem sich kaum eine Zeile wiederholt, unseren einsamen Mastermind (ich kann über das vorliegende Stück als "Band-Werk" überhaupt nicht nachdenken - es ist zu einsam und besessen!) eher zufällig dorthin zurückgeführt.

Anschließend an den proggigen Teil singt er so schnell, dass beinahe schon gerappt wird. Plötzlich wieder Ruhe und maximale Intensität, zuerst geht es noch um Spinnen und um Staub, dann um andere Mitbewohner:
... sometimes I get the feeling that someone else is there
the faceless watcher
I can feel him through the floorboards
he informs me that I should be
expelled


(der Vermieter? been there, bro)

Unser Protagonist lebte schon in Häusern aus Glas, er lebte in Häusern aus Backstein. Er philosophiert:

What is this place you call home?
Is it a summon, or a confession? Is it a chalice that you use for protection?

...
Home is what you make it, so my friends all say
Don't you know I rarely see their (homes) in these dark days?
Some of them are snails and carry houses on their backs
Others live in monuments which one day will be (wrecks)

Immer noch gefangen in einem rund um uns verfallenden Haus, erleben wir eine Verlangsamung fast bis zum Stillstand, Pianobegleitung, emotional und zerbrechlich, Klarinette und Sax spielen sich langsam und schleichend nach vorne. Das bisher etwas stiefmütterlich verwendete Saxophon darf sich endlich mit einem wilden Solo hervortun, gleichzeitig sind wir innerhalb von Sekunden wieder bei (relativen) Höchstgeschwindigkeiten angelagt, nur dass der Gesang dazu noch einmal neu konzipiert wurde, die Wörter haben andere Abstände zueinander und ein anderes Tempo bekommen. Im Hintergrund zieht eine Herde wilder Bongos (o. ä.) durch die Steppe.

Wir nähern uns dem Höhepunkt der Krise:

Day is just a word I use to keep the dark at bay
...
People are imaginary
Nothing else exists
Except the room (...)

Und gleich darauf dem Befreiungsschlag, bei dem in bester Musicalmanier gesungene Sätze zwischendurch unterbrochen und weitergesprochen werden:

MAYBE I SHOULD DELOUSE THIS PLACE

DEPLACE THIS LOUSE


Aufräumen oder Abhauen scheint ein guter Rat, wenn man dabei ist, ein rund 13-minütiges Epos über seine Wohnung zu komponieren. Der letzte entzifferbare Satz kehrt zurück an den Anfang (wenn man sich an den noch erinnert):

Maybe I'm (giving?) my life away
In the confines of this silent house
Sometimes it's very scary here
Sometimes it's very sad
Sometimes I think I'll disappear

Sensationell. Durchkomponiert, wie das nur die wenigsten hinbekommen, sicherlich kein Nobody. Der Song könnte "Portrait of My Home" heißen (das murmelsingt er mal so auffällig-unauffällig in einem Halbsatz). Ich bin absolut begeistert, seine Schlagkraft steigert der Song aber noch in Zusammenschau mit seinem Nachfolger.


Track 8: Helles Klaviergeklimper, Streicher. Also die Filmanspielungen sind an mich verschwendet, da kenne ich mich nicht gut genug aus - will ich schon schreiben, als doch noch ein Sänger einsetzt und die Soundtrackvermutung von seiner Stimme davongetragen wird. Es gibt einen treibenden Beat mit Bass und Schlagzeug, aber der Gesang dominiert alles und wird vom Klavier akzentuiert und begleitet. Es gibt auch Riffs, klar, zwei oder drei, die dem ganzen ein gewisses Gerüst geben, aber die sind nicht so wichtig (auch wenn ich sie leichter nachsingen könnte als das, was der Sänger macht). Der Sänger ist auf jedenfall sehr emotional und so charakteristisch, dass ich sicher sagen kann, ihn schon mal gehört zu haben, auch wenn es ewig her sein mag. Er rutscht in den Höhen immer mal etwas nach oben weg, und hätte zwischen den ganzen superexpressiven Sängern des UK-Wave sicher eine gute Figur gemacht. Das Format ist im Grunde ein straighter Alternativrocker, aber die eigenwillige Instrumentalisierung und der Gesang machen eine emotionale Achterbahnfahrt draus, die ich im Grunde schwer vergleichbar mit irgendetwas anderem sehe, das mir gerade einfällt.

Aber der wichtige Punkt ist eigentlich ein anderer: es ist musikalisch von den ersten Sekunden weg vollkommen klar, was das hier ist - die Flucht! Der treibende Beat zusammen mit der extrem leichtfüssigen Instrumentalisierung lässt überhaupt keinen Zweifel daran: hierzu läuft man, wie man nur läuft, wenn man am Ende jemandem in die Arme fallen will. Und das Schönste ist: der Text scheint das zu unterstreichen: "... then I dig a tunnel" ... "... you climb out of the chimney", "... meet me in the middle of the town." Wunderbar, und wunderbar platziert.

"Wie lange noch?" entpuppt sich bei allen thematischen Verweisen letztlich doch als Musical! Da kann Zoid abwinken so viel er will, das wurde mit dramatischem Weitblick (im Doppelsinn) geschaffen, damit es genau so enden kann, im Erlösungssong. Vielleicht habe ich den cinematischen Aspekt, den ich Zoid gerade aufgrund des Finales unterschieben will und den er natürlich abstreiten wird, nicht immer nachvollzogen (was natürlich immer so ist und auch so sein muss), aber gerade die B-Seite ist ein Kaliber, das mich - vor allem wegen dem perfekten Abschlussdoppel - etwas ausgelaugt zurücklässt, wie wenn man nach der stickigen Enge eines emotionalen, vielleicht tränenreichen Kinoabends die Tür ins Freie aufstößt und wieder die frische Abendluft im Gesicht hat.

Danke jedenfalls für das Tape, das auf jeden Fall schon aufgrund der Zusammenstellung irgendwann auch ein spannender Rückblick sein wird, und das ich wohl mittlerweile oft genug gehört habe, dass es sich auch gehirnwindungstechnisch mit den letzten Wochen verknüpft hat.
 
Zuletzt bearbeitet:
Meinen Nachtrag zu Track 05 habe ich in meinen Post von gestern Abend eingefügt. Wien hat 10 Grad, bewölkt, leichter Wind, und für heute Abend ist ein verstärktes Aufkommen geöffneter Schenken prognostiziert, deren Existenz in diesen Landen nur mehr in auf Bierdeckel gekritzelten Versen überliefert ist. Das nur zur Einbettung.

Und an diesem Wendepunkt der Gezeiten möchte ich mich nun endlich dem Finale der B-Seite widmen.

Bei bei Track Nummer 7 wird es jetzt richtig ernst, schnallt euch an. Wir stellen uns ein mehrstöckiges, verfallendes Herrenhaus vor, Jahrhundertwende, knarrende Holzböden, Spinnweben, muffig-feuchter Geruch. Erlaubte Assoziationen beinhalten, sind aber nicht beschränkt auf Wolfgang Hohlbein's "Dreizehn", Lemony Snicket, das Vampirbohéme-HQ in Jarmusch's "Only Lovers Left Alive", den vorgestellten Ort, an dem Nick Cave die Murder Ballads geschrieben hat, das Haus der Addams Family. Unser Protagonist sitzt in in einem ansonsten leeren Zimmer im 2. Stock auf einem Holzstuhl vor dem Spiegel. Der Nebenraum ist vollgestopft mit allen Instrumenten, die es gibt. Getragen, melancholisch klagend und mit Pianobegleitung fangen wir an.:

Sometimes it's very scary here
Sometimes it's very sad
Sometimes I think I'll disappear
...
(enter Torero-Trompete)
There's a light, sneaking down my mirror, (... it) disorts my face
And although the light is strong and strange, it can't illuminate the musty corners of this place

Eine Charakterstimme, die ich garantiert schon mal gehört habe, wiegt sich im Takt mit den Instrumenten, zu denen im Moment Bass, Piano, Schlagzeug und Trompete gehörten. Der Gesang schaukelte sich immer wieder zu einer leicht schiefen Ekstase hoch, molto intensivo, und im Schnitt kommt alle 20 Sekunden ein neues Instrument dazu, jetzt erstmal Klarinette, während sich andere wieder verabschieden. Wenn sich die Musik zu den ekstatischen Refrains verlangsamt, zieht sich der Rest des Instrumentariums oftmals eher zurück und das Piano wird am Präsentesten, an einer Stelle meine ich sogar ein Harmonium oder eine Art Orgel zu hören.

Wir haben nun in etwa die Spielzeit eines Kurztracks erreicht, und die Kapelle wird dann mal abgebaut: ... and in the shadows lurks the spectre of despair.

Das minimalistische Ausklingen mit Bass und Drums entpuppt sich aber als Überleitung, und spätestens jetzt wird klar, dass wir soeben in den zweiten Akt eines Opus Magnum eingetreten sind, das nicht beabsichtigt, in naher Zukunft zu einem Ende zu finden. Zärtliche Zweistimmigkeit und Piano heißen uns willkommen, dann kommt eine Stelle, die ich den "Jethro Tull Break" getauft habe, weil Klarinette und Querflöte sich nach vorne spielen und auch einige 70er Prog-Einsprengsel es in die Musik schaffen, die mich wechselweise eben an die erwähnten oder an Colosseum erinnern. Obwohl die Musik nie richtig schnell wird, ziehen sich zahlreiche Tempiwechsel durch das Stück, ein ständiges Auf und Ab, hoher Seegang sozusagen, ebenso wie mit ein paar Themen gearbeitet wird, die wiederholt und variiert werden. Die Refrainmelodie, zu der wir hin und wieder zurückkehren, ist trotz aller gezähmten Verrücktheit extrem eingängig und taucht des öfteren etwas unpünktlich auf: etwa so, als hätte sein Text, in dem sich kaum eine Zeile wiederholt, unseren einsamen Mastermind (ich kann über das vorliegende Stück als "Band-Werk" überhaupt nicht nachdenken - es ist zu einsam und besessen!) eher zufällig dorthin zurückgeführt.

Anschließend an den proggigen Teil singt er so schnell, dass beinahe schon gerappt wird. Plötzlich wieder Ruhe und maximale Intensität, zuerst geht es noch um Spinnen und um Staub, dann um andere Mitbewohner:
... sometimes I get the feeling that someone else is there
the faceless watcher
I can feel him through the floorboards
he informs me that I should be
expelled


(der Vermieter? been there, bro)
Unser Protagonist lebte schon in Häusern aus Glas, er lebte in Häusern aus Backstein. Er philosophiert:

What is this place you call home?
Is ist a summon, or a confession? Is it a chalice that you use for protection?

...
Home is what you make it, so my friends all say
Don't you know I rarely see their (homes) in these dark days?
Some of them are snails and carry houses on their backs
Others live in monuments which one day will be (wrecks)

Immer noch gefangen in einem rund um uns verfallenden Haus, erleben wir eine Verlangsamung fast bis zum Stillstand, Pianobegleitung, emotional und zerbrechlich, Klarinette und Sax spielen sich langsam und schleichend nach vorne. Das bisher etwas stiefmütterlich verwendete Saxophon darf sich endlich mit einem wilden Solo hervortun, gleichzeitig sind wir innerhalb von Sekunden wieder bei (relativen) Höchstgeschwindigkeiten angelagt, nur dass der Gesang dazu noch einmal neu konzipiert wurde, die Wörter haben andere Abstände zueinander und ein anderes Tempo bekommen. Im Hintergrund zieht eine Herde wilder Bongos (o. ä.) durch die Steppe.

Wir nähern uns dem Höhepunkt der Krise:

Day is just a word I use to keep the dark at bay
...
People are imaginary
Nothing else exists
Except the room (...)

Und gleich darauf dem Befreiungsschlag, bei dem in bester Musicalmanier gesungene Sätze zwischendurch unterbrochen und weitergesprochen werden:

MAYBE I SHOULD DELOUSE THIS PLACE

DEPLACE THIS LOUSE


Aufräumen oder Abhauen scheint ein guter Rat, wenn man dabei ist, ein rund 13-minütiges Epos über seine Wohnung zu komponieren. Der letzte entzifferbare Satz kehrt zurück an den Anfang (wenn man sich an den noch erinnert):

Maybe I'm (giving?) my life away
In the confines of this silent house
Sometimes it's very scary here
Sometimes it's very sad
Sometimes I think I'll disappear

Sensationell. Durchkomponiert, wie das nur die wenigsten hinbekommen, sicherlich kein Nobody. Der Song könnte "Portrait of My Home" heißen (das murmelsingt er mal so auffällig-unauffällig in einem Halbsatz). Ich bin absolut begeistert, seine Schlagkraft steigert der Song aber noch in Zusammenschau mit seinem Nachfolger.


Track 8: Helles Klaviergeklimper, Streicher. Also die Filmanspielungen sind an mich verschwendet, da kenne ich mich nicht gut genug aus - will ich schon schreiben, als doch noch ein Sänger einsetzt und die Soundtrackvermutung von seiner Stimme davongetragen wird. Es gibt einen treibenden Beat mit Bass und Schlagzeug, aber der Gesang dominiert alles und wird vom Klavier akzentuiert und begleitet. Es gibt auch Riffs, klar, zwei oder drei, die dem ganzen ein gewisses Gerüst geben, aber die sind nicht so wichtig (auch wenn ich sie leichter nachsingen könnte als das, was der Sänger macht). Der Sänger ist auf jedenfall sehr emotional und so charakteristisch, dass ich sicher sagen kann, ihn schon mal gehört zu haben, auch wenn es ewig her sein mag. Er rutscht in den Höhen immer mal etwas nach oben weg, und hätte zwischen den ganzen superexpressiven Sängern des UK-Wave sicher eine gute Figur gemacht. Das Format ist im Grunde ein straighter Alternativrocker, aber die eigenwillige Instrumentalisierung und der Gesang machen eine emotionale Achterbahnfahrt draus, die ich im Grunde schwer vergleichbar mit irgendetwas anderem sehe, das mir gerade einfällt.

Aber der wichtige Punkt ist eigentlich ein anderer: es ist musikalisch von den ersten Sekunden weg vollkommen klar, was das hier ist - die Flucht! Der treibende Beat zusammen mit der extrem leichtfüssigen Instrumentalisierung lässt überhaupt keinen Zweifel daran: hierzu läuft man, wie man nur läuft, wenn man Ende jemandem in die Arme fallen will. Und das Schönste ist: der Text scheint das zu unterstreichen: "... then I dig a tunnel" ... "... you climb out of the chimney", "... meet me in the middle of the town." Wunderbar, und wunderbar platziert.

"Wie lange noch?" entpuppt sich bei allen thematischen Verweisen letztlich doch als Musical! Da kann Zoid abwinken so viel er will, das wurde mit dramatischem Weitblick (im Doppelsinn) geschaffen, damit es genau so enden kann, im Erlösungssong. Vielleicht habe ich den cinematischen Aspekt, den ich Zoid gerade aufgrund des Finales unterschieben will und den er natürlich abstreiten wird, nicht immer nachvollzogen (was natürlich immer so ist und auch so sein muss), aber gerade die B-Seite ist ein Kaliber, das mich - vor allem wegen dem perfekten Abschlussdoppel - etwas ausgelaugt zurücklässt, wie wenn man nach der stickigen Enge eines emotionalen, vielleicht tränenreichen Kinoabends die Tür ins Freie aufstößt und wieder die frische Abendluft im Gesicht hat.

Danke jedenfalls für das Tape, das auf jeden Fall schon aufgrund der Zusammenstellung irgendwann auch ein spannender Rückblick sein wird, und das ich wohl mittlerweile oft genug gehört habe, dass es sich auch gehirnwindungstechnisch mit den letzten Wochen verknüpft hat.

Wow. Einfach nur wow. :verehr:

Also, solch eine Rückmeldung sehnt man sich als Mixtapebastler insgeheim ja irgendwie immer herbei. Aber so etwas dann wirklich zu lesen und mit jedem Satz zu merken, dass der Empfänger offenbar komplett auf der selben Wellenlänge liegt und ähnliche Empfindungen und Assoziationen wie man selbst entwickelt - und das dann auch noch so großartig ausdrückt - ist schon ... bewegend. Dankeschön. :)

EDIT: Wegen der Dramaturgie: Beim Lesen habe ich mir zunächst gedacht: "Ha, super - genau so wollte ich das." Und dann im weiteren Verlauf: "Moment mal, das ist ja eigentlich noch viel geiler, was @zopilote da hineininterpretiert...!" :D
 
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A-01: Chrome – Isolation [Red Exposure | 1980]
Ein Mixtape in Zeiten des Lockdowns mit einem Lied namens "Isolation" zu beginnen, ist nun wahrlich nichts, worauf man stolz sein kann. Immerhin konnte ich der Versuchung widerstehen, die gleichnamige Joy Division-Nummer zu verbraten. Umso erleichterter bin ich, dass @zopilote diesen plumpen Intro-Versuch noch mit dem Prädikat "subtil" versehen hat. Beabsichtigt hatte ich hiermit das Heraufbeschwören einer standbildartigen Grundstimmung, von der aus sich alles weitere entwickelt und verästelt.

Auf Chrome bin ich vor etwa einem Jahr gestoßen. Meine Faszination für die klassische Creed / Edge-Phase nimmt seither bei jeder Auseinandersetzung mit dem Schaffen dieser beiden Garagen-Aliens, die an ihre Haut nur radioaktives Wasser und LSD lassen, weiter zu. Vielleicht raffe ich mich irgendwann mal auf und eröffne einen Bandthread zu den zwei Avant-Chaoten.

A-02: Der KFC – Wie lange noch? [Letzte Hoffnung | 1981]
Tja: "Wie lange noch?" Das wird man ja wohl noch fragen dürfen. Wobei wir es hier mit scheinbar völlig gleichgültigen Protagonisten zu tun haben, die eigentlich gar keine Pandemie benötigen, um Ungeduld mit Apathie zu vermengen. Proto-Corona-Punk sozusagen.

Und nun muss ich gestehen, dass ich abgesehen von den beiden Beiträgen zum Verschwende Deine Jugend-Sampler nichts vom KFC kenne. Das entsprechende Album hatte ich schon ein paar Mal im Discogs-Einkaufskorb und habe dann doch wieder versäumt, Nägel mit Köpfen zu machen. Ach, irgendwann…

A-03: Gang Of Four – At Home He's A Tourist [Entertainment! | 1979]
"At home he feels like a tourist. He fills his head with culture. He gives himself an ulcer." Das mag vielleicht dem ein oder anderen bekannt vorkommen. Neben der textlichen Komponente hat es der Song aber vor allem aufgrund seiner - so gerade noch unter Kontrolle gehaltenen - inneren Unruhe auf's Tape geschafft. Insbesondere die Tourette-artigen Gitarrenzuckungen, die den Song schließlich komplett zerficken (Verzeihung), sind hier der Sache zuträglich. "Two steps forward / Six steps back" - woll'n wir's mal nicht hoffen, nicht wahr?

Die Gang brilliert jedenfalls mit stark rhythmus-orientiertem (Post-)Punk, der einige Elemente aus dem Funk übernimmt und mit ätzender Gesellschaftskritik anreichert (was vermutlich die "Feuilleton-Vibes" erklärt, die @zopilote hier wahrnimmt). Zunächst wollte ich eigentlich einen Song aus dem etwas gemäßigteren zweiten Album Solid Gold der Briten auswählen, weil darauf die Angespanntheit noch etwas deutlicher zu spüren ist. Letztlich war dann der Songtitel ausschlaggebend. Dass die Red Hot Chili Peppers die Band immer wieder als Vorbild nennen, ist zwar betrüblich, sollte man Gang Of Four aber nicht anlasten.

A-04: John Martyn – Solid Air [Solid Air | 1973]
Das zugehörige Album stand Pate für das Sampler-Cover, auf dem die besungene feste Luft abgebildet ist. Hier wird der Stillstand geradezu greifbar und man möchte spontan die Fenster zum Lüften aufreißen. John Martyn hat den Song für / über seinen Freund Nick Drake geschrieben, der sich damals von Depressionen geplagt in seine häusliche Umgebung und vor allem in sich selbst zurückgezogen hatte. Ein Durchdringen zu ihm war kaum mehr möglich. Bekanntermaßen nahm das kein gutes Ende. "I know you. I love you. And I can be your friend. I can follow you anywhere. Even through solid air."

Solid Air ist dann auch die einzige Platte, die ich von John Martyn kenne. Die Musik hat @zopilote ja bereits vorzüglich umschrieben. Das ist jedenfalls eines meiner bevorzugten Alben, wenn Musik zum Runterfahren von Geist und Seele gefragt ist. Da macht es auch nichts, dass Martyn ein Lied über eine Biskuitrolle hier reingemogelt hat.

A-05: Dackelblut – Sergé Bailmann [Fluten und Tauchen | 1997]
Den Dunst vom vorherigen Track noch vor Augen, fragt uns Jensen folgerichtig: "Verdammt noch mal – wann reißt es endlich auf? Seit drei Stunden hängt er blöde jetzt im Nebel rum." Auch wenn es in weiten Teilen um die Mühen eines Nordseefischers geht, ist am Ende klar, dass die Frage auch in Bezug auf das eigene Leben gestellt werden muss. Disclaimer: Die Textzeile "Sie kommen aus China. Sie kommen von überall." bitte ich ausdrücklich als zufälligen Beifang (...) ohne jegliche Schuldzuweisung zu verstehen…!

Zu meinem persönlichen Stellenwert dieses Albums wurde hier ja schon alles gesagt. Vielleicht kann ich noch ergänzen, dass die Vinyl-only-Veröffentlichungspolitik von Dackelblut für mich der letzte Anstoß war, um mir Mitte der 2000er dann auch mal einen Plattenspieler zuzulegen. Oma Hans waren mir seinerzeit schon ein Begriff. Aber die Beschreibungen zu Dackelblut versprachen die Existenz einer noch mächtigeren Band. Und genauso war es dann auch.

A-06: JDH – Bademantel [Staub | 2018]
Klar, das Stranger Things-Sample gibt zunächst ein ziemlich eindeutiges Setting vor. Aber: "Da ist Leben in den Wänden. Etwas greift dir durch die Mauern an die Kehle mit den Händen." Das weckt dann doch eher Erinnerungen an Polanskis Ekel und qualifiziert den Song somit für dieses Tape. Der Titeltrack oder auch "Acedia" hätten hier ebenfalls eine gute Figur gemacht. Mir stand der Sinn aber mehr nach verwesendem Hasen.

Da ich praktisch keine Ahnung von Hip-Hop habe, halte ich mich hier mit einer tiefergehenden Einordnung mal besser zurück. Müsste ich einen Promosticker mit entsprechendem Alleinstellungsmerkmal für dieses Album entwerfen, würde auf diesem wohl stehen: "Texte super. Musik aber auch." @1984: Gerade nochmal nachgeschaut: Mensch, der Klick-Counter bei youtube von "Schland" hat ja schon die magische Grenze von 700 überschritten…! Da ich schon länger nicht mehr nachgefragt habe: Karrieretechnisch geht’s jetzt aber so richtig ab bei den Jungs, oder? Bum Bum!

A-07: Charles Mingus – Solo Dancer [The Black Saint And The Sinner Lady | 1963]
Wenn schon die imaginären Hände nach einem greifen, warum nicht beherzt zupacken und eine heiße Sohle auf's Parkett legen? Der heimliche Verehrer steht derweil mit tief ins Gesicht gezogenen Hut auf dem Bordstein einer verregneten New Yorker Seitenstraße und betrachtet wehmütig die sich durch das heruntergezogene Rollo bewegenden Schattenrisse.

Da ich praktisch keine Ahnung von Jazz habe, … Na, ein bisschen vielleicht. Aber das ist hier keine Voraussetzung, um einen Zugang zur Musik zu finden. Denn vieles macht einen (im durchaus klassischen Sinne) auskomponierten Eindruck und nur wenig wirkt improvisiert. Trotzdem ist das eine ziemlich lebhafte, ausdrucksstarke Angelegenheit, die man idealerweise am offenen Fenster in einer drückend-schwülen Sommernacht genießt.

A-08: The Smiths – How Soon Is Now? [Hatful Of Hollow | 1984]
Jagut, ist selbsterklärend, nech? Ich habe mich extra für die längere Version entschieden, um die Warterei noch etwas nervenzehrender zu gestalten (*diabolisch lach*).

Morrissey tut ja seit geraumer Zeit alles, um einen davon abzuhalten, die alten Kamellen mal wieder aufzulegen. Wenn ich mich dann aber doch mal dazu überwinden kann, singe ich sofort wieder alles lauthals mit und wundere mich regelmäßig, wie Johnny Marr so manch einzigartigen Gitarrensound im Studio zusammengedengelt hat. Achja: So genau möchte man wahrscheinlich auch gar nicht wissen, was Morrissey zu dieser ganzen Corona-Geschichte zu sagen hat - bestenfalls womöglich: "Meet Is Murder". Smiley.

A-09: Team Dresch – Fagetarian and Dyke [Personal Best | 1995]
Hier haben wir es mit einem faulen Ei zu tun. Denn der Song hat mit dem intendierten Überbau dieses Samplers rein gar nichts zu tun und verdient seine Berücksichtigung im Prinzip nur, weil es kein passenderes Bindeglied zwischen den Schmitzens ("I spent the last ten days of my life ripping off the Smiths.") und Tocotronic ("Die Sache mit der Team Dresch Platte") geben kann.

Also kurz zu Team Dresch: Hier finde ich es ein klein wenig schade, dass die gängigen Genre-Tags (Queercore, Riot Grrrl) sich aus außer-musikalischen Sphären ableiten und damit die Qualität der Musik (nämlich zorniger Punk und lärmiger Indie-Rock, der - wie in diesem Track - auch eine Portion wuchtige Heaviness beinhalten kann) für meinen Geschmack etwas zu sehr in den Hintergrund drängen.

A-10: Tocotronic – Sag alles ab! [Kapitulation | 2007]
"Sag alles ab. Geh einfach weg. Halt die Maschine an und frag nicht nach dem Zweck." Alles paletti also. Leider erfahren wir im weiteren Verlauf auch, dass wir nie wieder in die Schule gehen müssen. Das ist wohl positiv gemeint - ich bin dagegen immer sehr gerne zur Schule gegangen, so dass das für mich die eigentliche traurige Botschaft dieses Songs darstellt. :-(

Ich erwähnte es an anderer Stelle schon einmal, aber wenn man sich Kapitulation in diesen Zeiten anhört, ist es wirklich verblüffend, wie sehr fast jeder Song ein Kommentar zum aktuellen Stand der Dinge zu sein scheint. Je mehr ich darüber nachdenke, umso fester gelange ich zur Überzeugung, dass das Killervirus nicht wie landläufig berichtet von Bill Gates in die Welt gesetzt wurde, sondern das Labor des Grauens vielmehr in einer Hamburger Schule zu finden sein muss…!

A-11: Fugazi – Waiting Room [Fugazi EP | 1988]
Tja, nun sitzen wir da so im Wartezimmer. Und warten. Und warten. Und warten. Auf dies und auf das. Zum Beispiel auf eine Fugazi-Reunion.

Eine klassische Zwischen-den-Stühlen-Band, die ich irgendwie viel zu selten höre. Wenn ich die Platten mal herauskrame, bevorzuge ich die spröderen Sachen aus der späten Bandphase. Das letzte Album The Argument dürfte daher mein Favorit sein. Insofern hätte es mich schon sehr interessiert, wo die weitere Reise der Band danach hingegangen wäre.

Soweit erstmal zur A-Seite. Später mehr.
 
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B-01: The Shining OST – Main Title (Edit) [The Shining OST | 1980]
Gibt es einen schöneren Film, den man sich in Zeiten häuslicher Quarantäne im Kreise der Familie anschauen kann? Die von @zopilote gemutmaßten steilen Bergwege passen witzigerweise hundertprozentig, da zu diesen Klängen der Anfangssequenz die Serpentinenfahrt zum Overlook Hotel zu sehen ist. Spooky.

Diesen kleinen Gag konnte ich mir nicht verkneifen, zumal das Ende von Shining mit dem tiefgefrorenen Jack Nicholson hervorragend zum nächsten Song überleitet:

B-02: Hüsker Dü – Ice Cold Ice [Warehouse: Songs And Stories | 1987]
"We'll see the blank expressions, waiting for progression. Standing still in place and time. No one's moving. They're only standing still in ice cold ice cold ice." Eine Umgebung, die komplett von Eis überzogen ist. Natur, Gesellschaft, persönliche Beziehungen. Alle warten darauf, dass es voran geht. Aber da geht schon lange nichts mehr.

Für mich - trotz der äußerst dünnen Produktion - eine der größten Hymnen aller Zeiten. Obwohl ich Hüsker Dü viel Liebe und Anerkennung entgegenbringe, stehe ich dem Band-Output manchmal zwiespältig gegenüber. Auf jedem Album tauchen halt immer wieder Songs auf, die mich nicht so richtig überzeugen wollen (die wurden dann übrigens auffällig häufig von Grant Hart geschrieben). Trotzdem ist das eine dieser Bands, bei denen das bloße Lesen des Bandnamens mein Herz höher schlagen lässt.

B-03: Paul Giovanni – Willow's Song [The Wicker Man OST | 1973]
Höchste Zeit wieder aufzutauen. Und was wäre dazu besser geeignet, als die verführerische Wärme von Britt Ekland und die gemütlichen (wenngleich modisch fragwürdigen) Pyjamas? Selten dürfte das Einhalten von Kontaktbeschränkungen schwerer gefallen sein als hier. Achja: Die Textzeile "How a maid can milk a bull / And every stroke a bucketful" ist wahrscheinlich ähnlich subtil wie Deep Purple’s "Knocking At Your Back Door"…

Ob der (mal psychedelische, mal schrullig-überdrehte) Folk-Soundtrack losgelöst vom Film funktioniert, würde ich eher in Zweifel ziehen. Aber er passt halt hervorragend zur ziemlich einzigartigen Stimmung von The Wicker Man.

B-04: The Gun Club – Sex Beat [Fire Of Love | 1981]
Es bleibt heiß. Und zwar so heiß, dass der feurige Rhythmus Johnny, Jake, Shirley und Debra Ann in eine Ekstase der Bewegungslosigkeit versetzt: "My body in the water and my heart is in your hand. So this is the way you choose to send me to the judgement land. So you can't move, move - sex beat, go!"

The Gun Club sind Cadillac und Voodoo-Kult, Delta-Punk und Petticoat, Fett im Haar und Wolfsgeheul. Hätte es in der ersten Staffel von True Detective so etwas Vergleichbares wie das Roadhouse in Twin Peaks gegeben, hätten in dieser Bayou-Kaschemme The Gun Club jeden Abend ihren Auftritt sicher gehabt.

B-05: Smog - Prince Alone In The Studio [Wild Love | 1995]
Dieser Song handelt von Prince (ja, dem Prince) wie er seit Stunden versucht, alleine im Studio etwas auf's Band zu zaubern, was seinen Ansprüchen gerecht wird. Der Text verdient es an dieser Stelle durchaus, einmal in Gänze zitiert zu werden:
Prince alone in the studio
It's two a.m. and all the girls are gone
The girls thought they were going to be able
To have sex with him
They wore their special underwear
Once the tracks were laid down
Prince's back turned around
Raspberry headphones on his head
On his ears
Prince alone in the studio
It's three a.m.
Prince hasn't eaten in eighteen hours
Dinner's burned on the stove
But prince, he doesn't even know
Prince alone in the studio
It's four a.m.
And he finally gets that guitar track right
And it's better than anything any girl could ever give him
Because prince is alone
Prince is alone
Oh prince, you are so alone
And when it's all complete
He feels like a hunter on the street
And when it's all complete
He feels like a hunter on the street
Der Gedanke, dass aus der Verwirklichung von etwas mit Wert nur für einen selbst eine tiefe Form der Genugtuung resultieren kann, darf auf diesem Sampler schließlich nicht fehlen.

Unter dem Pseudonym Smog bzw. (Smog) war Bill Callahan bis 2005 aktiv, bevor er unter seinem "echten" Namen weitergemacht hat. Ich bin längst nicht mit allen Phasen seines Schaffens vertraut, aber was ich kenne, lässt sich am ehesten als eigenbrötlerisches Singer-/Songwritertum mit meist schwarzhumorig-obskuren Texten bezeichnen. Anfangs noch stark in der Lo-Fi-Ästhetik verwurzelt, hat sich der akustische Dunst dann immer mehr gelichtet. Allerdings ist vieles hit or miss. So ging mir Wild Love irgendwann so sehr auf die Nerven, dass ich mich von der Platte wieder getrennt habe. Daher muss ich zugeben, dass dieser Song von einem schnöden Youtube-Clip stammt (fühle mich auch angemessen dreckig deswegen).

B-06: Guided By Voices – Hardcore UFOs [Bee Thousand | 1994]
"Sitting out on your house / Watching hardcore UFOs / Drawing pictures, playing solos till ten / Are you amplified to rock? / Are you hoping for a contact? / I'll be with you, without you, again" Entdecke das Kind in dir - Langeweile als Quelle der Phantasie und Kreativität: Warum nicht gebannt nach UFOs Ausschau halten, mal wieder ein Bild malen oder bis in die Puppen Gitarre spielen?

Ach, GBV. Eine Band mit einer Diskographie, die selbst die japanischen Sabbat wie einen Haufen Müßiggänger aussehen lässt (Stand jetzt, 19.05.2020, 21:57 Uhr): 34 Studioalben, 23 EPs, 60 Singles. Tief im Lo-Fi verwurzelt, klingt die Band in ihren kurzen, collagenhaften Songfragmenten nach schwer-beschädigten Beatles-Demos, die via Dosentelefon von Ringos Mutter mit einem Diktiergerät aufgenommen wurden. Zugegeben ein aquired taste, dem ich selbst zunächst mit milder Abscheu begegnete. Mittlerweile aber eines meiner liebsten sunshine-lollipops-and-rainbows-Alben.

B-07: Dead Moon – My Escape [Unknown Passage | 1989]
So langsam werden erste Fluchtpläne geschmiedet - auch wenn der Schuss hier eindeutig nach hinten losgeht: "And I go to my room, lock the door to run away from myself." *facepalm* Hey, you’re doing it wrong, mate…!

Ich habe die Band leider erst im Zuge der posthumen Huldigungen anlässlich Fred Cole's Tod kennengelernt. Schamloses Selbstzitat: Das ist mit einfachsten Mitteln kreierte Musik für's Herz. Man sieht das Trio förmlich in der versifften Garage stehen, wie es angespornt von Weltschmerz & Whiskey diese Songs zwecks eigenem Überleben in den Vier-Spur-Recorder pressen MUSS - soviel Angst, Verzweiflung und Wut schwingt da mit. Die pure vertonte Leidenschaft. Dass Dead Moon ebenfalls wie die Wipers aus Portland stammen, erscheint geradezu zwangsläufig.

B-08: Peter Hammill – A Louse Is Not A Home [The Silent Corner And The Empty Stage | 1974]
Da möchte ich @zopilotes wunderbaren Ausführungen nichts hinzufügen.

Die letzten Monate habe ich mich endlich einmal ausgiebiger mit den 70er-Jahre-Alben von Van der Graaf Generator auseinandergesetzt – ein wilder Ritt! Wie es der Zufall so will, hätte ich heute übrigens VdGG in Köln sehen sollen, grmpf. The Silent Corner… ist bislang das einzige Solo-Album, das ich von Peter Hammill kenne. Und das ist vielleicht in allen Belangen noch etwas weiter draußen, als es seine (in Teilen auch hier vertretene) Hauptband ohnehin schon ist. Dicke Empfehlung für alle wagemutigen und solche, die eh nichts mehr zu verlieren haben.

B-09: The Arcade Fire – Neighborhood #1 (Tunnels) [Funeral | 2004]
Ich hatte natürlich mit dem Gedanken gespielt, den Sampler in der Katastrophe, im Niedergang, letztendlich in kompletter Selbstauflösung à la Paul Auster münden zu lassen. Aber wer zwölf Minuten Peter Hammill über sich ergehen lassen musste, hat - denke ich - einfach Anspruch auf ein Happy End. Und ja, das ist ganz große Gefühlskino. Das ist das aufeinander zu laufen mit ausgebreiteten Armen am Strand bei Sonnenuntergang. Die Schaumkrone der Woge der Begeisterung. Meine Süßwarenabteilung im Supermarkt. "You climb out the chimney and meet me in the middle, the middle of the town. And since there's no one else around, we let our hair grow long and forget all we used to know." Feuerwerk. Ausblende. Abspann.

@zopilote: Machen wir uns nichts vor: Den Sampler in der Art und Weise zusammenzustellen, hätte ich mich längst nicht bei jedem Wichtelpartner getraut. Daher nochmal ganz großen Dank für deine interessanten Eindrücke, die tolle Besprechung und deine Leidensfähigkeit. :)
 
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