SirMetalheads geographische Metal-Expeditionen

SirMetalhead

Till Deaf Do Us Part
Ihr kennt das sicher - man hört zum ersten (oder tausendsten Mal) bestimmte Musik und vor dem inneren Auge tun sich Landschaften oder Szenarien auf, als stünde man mittendrin. Je nach Band sind das schroffe Felsenklippen, mal ein klarer Nachthimmel und mal die giftige Kanalisation einer dystopischen Zukunft.

Musik-geographisch betrachtet könnte man es unter dem Begriff Weltmusik zusammenfassen, wannimmer eine Region ihre eigenen Stile hervorgebracht hat, die untrennbar mit dem jeweiligen Raum in Verbindung gebracht werden. Als Beispiele könnte man die für den Alpenraum typische Stubenmusik mit Zither und Dreigesang oder Jodeln nennen, oder auch Flamenco-Gitarren aus Andalusien (wobei deren genaue Herkunft umstritten ist).
Aber oft ist es gar nicht so eindeutig an der Instrumentierung oder klaren stilistischen Merkmalen festzumachen, warum sich beim Hören Assoziationen zu bestimmten Erdteilen auftun, es passiert viel subtiler und läuft im Unbewussten ab. Und doch vermag Musik einen an verschiedenste Orte zu transportieren, ich verspüre das zumindest ziemlich ausgeprägt.

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So bin ich der Überzeugung, dass auch im Metal Regionen, Länder, Naturräume oder ganze Kontinente darauf Einfluss genommen haben, wie die dort beheimateten Bands klingen. Und es mag wenig überraschen, dass meiner Ansicht nach keine Spielart stärker das transportiert, wofür ein Raum steht, als Metal mit Folk-Elementen. Nun zählt dieser nicht zwangsläufig zu den beliebtesten Spielarten hier im Forum, weil vermeintlich wenigen Bands die Mischung aus klassischem Metal und diesen Folk-Elementen gelingt und der Viking/Pagan-Sektor seit den 2000ern übersättigt ist und schrille, kitschige oder schlicht inhaltlich fragwürdige Bands hervorgebracht hat. Plastikschwerter, Party-Humppa-Kapellen, Nationalisten... Man kennt unfreiwillig genug davon.

Ich hatte es mir daher vor vielen Jahren im Metal Hammer-Forum zum Ziel gesetzt, diejenigen Bands vorzustellen, die nicht diese Klischees bedienen und auf eigenständige Weise ihre Herkunft musikalisch transportieren. Rückblickend waren das sprachlich eher unbeholfene Versuche, dem Genre ein etwas besseres Image zu geben, indem ich Bands ausgesucht hatte, die möglicherweise nicht so bekannt sind. Schon länger spiele ich mit dem Gedanken, soetwas fortzuführen, allerdings in einem Format, das dem Niveau und Geist dieses Forums entspricht. Nicht zuletzt inspiriert durch viele großartige Threads, in denen User ihre persönlichen Eindrücke verschriftlichen, um das wertzuschätzen, was uns verbindet und die ein oder anderen Geheimtipps zu präsentieren würde ich also gerne etwas zurückgeben, das hier meiner Ansicht nach thematisch noch unterrepräsentiert ist.

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Mit diesem Post möchte ich also einen Grundstein für einen Thread legen, in dem ich mir in unregelmäßigen Abständen eine Region vornehme und Bands vorstelle, denen es gelingt, die Natur, Kultur, Geschichte oder das Leben dieser Region durch ihre Musik spürbar und erfahrbar zu machen. Ich möchte zeigen, dass es neben Bathory, Primordial oder Morrigan noch etliche weitere gibt, die das schaffen, ohne sich dabei zu sehr von traditionellem Metals entfernen. Ideen habe ich mehr als genug, zeitlich sieht es die nächsten Wochen erst einmal weniger rosig aus, aber ich wollte mich hiermit einfach mal selbst unter Zugzwang setzen, an dieser Sache dranzubleiben, sie nach und nach auszubauen, um auf diese Weise Leidenschaft und Beruf (Metal und Geographie) etwas zusammenzuführen und euch mit dem ein oder anderen Hinweis auf hörenswerte Musik zu unterhalten.

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Mit dem Titel bin ich noch nicht so glücklich, da hoffe ich noch auf entsprechende Kreativität, sobald die ersten Inhalte folgen.

Bilder:
1. Britische Heidelandschaft und Felsen in Cornwall (Stuart Logan 2012 CC BY 2.0)
2. Gemälde eines Angriffs auf ein niederländisches Handelsschiff von 1616 (Cornelis Claesz. van Wieringen; Public Domain)
3. Portolankarte (Carta Universal) der Spanischen Flotte von 1527 (Diogo Ribeiro; Public Domain). Schön zu sehen sind die damals noch existierenden Unsicherheiten bezüglich der Grenzen von Amerika und des indischen Ozeans.
 
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Hatte ich heute erst wieder in einer sehr ähnlichen Form, als ich 3x nacheinander "Traces" von Ash of Ashes durchgesuchtet habe und mich dabei fühlte, als wäre ich auf Skandinavienwanderung. Einer der Gründe, warum Pagan/Viking und Black Metal meine Lieblingsgenres sind: Man kann woanders hinreisen, ohne die Bude verlassen und mit Menschen in Kontakt treten zu müssen :D
Nein, Spaß beiseite, aber genau das beschreibt's ganz gut. Es ist natürlich nicht dasselbe, aber diese Immersion durch Musik ist einfach fantastisch. Toller Thread! Allerdings musst du evtl. nochmal den Threadtitel anpassen :D

Genauso geht's mir übrigens gerade wieder mit diesem Album, auch wenn es Dungeon Synth ist:

Gefällt dir vielleicht auch, die Kombination aus Artwork und Musik ist einfach phänomenal.
 
Klingt sehr viel versprechend, bin gespannt was sich hier noch tut. Da ich immer einen extrem starken Naturbezug hatte und da auch sehr viel Verbindung zu Musik sehe werde ich bei Gelegenheit auch versuchen beizutragen, dazu brauch ich aber auch etwas Ruhe und Zeit zum Sinnieren (und das ist gerade Mangelware). Aber sofort kommen Erinnerungen an Winterwanderungen mit Darkthrone, Skandinavienreisen mit Bathory und Windir als Dauerbeschallung oder England mit Solstice in den Sinn.

Was ich aber schon mal als Anregung mit rein geben möchte: vielleicht kann man hier auch besondere Erfahrungen (Livekonzerte in besonderen Regionen, Orten o.ä.) teilen, denn natürlich gibt ein Ort der in besonderem Bezug zur Musik steht nochmal eine zusätzliches Element in die Gleichung. Tyrann's erste Show beim Muskelrock war für mich so etwas, noch nicht erlebt aber ähnlich gut stelle ich mir Primordial in Irland, Maiden in London, Springsteen in New Jersey oder den Kodex in Theuern vor.
 
Danke für den Zuspruch und die Ideen!
Selbstverständlich sind eure Beiträge (lang oder kurz) ausdrücklich willkommen, egal wie ihr das Thema für euch auslegt. Nicht zuletzt, weil ich in den nächsten Tagen vermutlich noch nichts beisteuern kann.
 
Hammer Threadidee. So von Fachkollege zu Fachkollege :)

Mir fallen spontan Agalloch ein, die mit The Mantle schon sehr gut die Landschaft des pazifischen Nordwesten der USA (Oregon, Washington) mit ihren kühlgemäßigten Küstenregenwäldern eingefangen haben. Merke: Regenwälder gibt es nicht nur in den Tropen.

Oder Hammerheart von Bathory, welches die Fjorde von Norwegen gut widerspiegelt (mir fällt spontan der von mir 2012 besuchte Sognefjord ein).

Agalloch ist bei mir eine zerbrochene Liebe. Früher innig geliebt und sicher eine meiner 5 Lieblingsbands überhaupt, bis Sänger Haughm im Social Media Größenwahn vollkommen übergeschnappt ist und sich zumindest für mich in die ewigen Jagdgründe gehitlert hat. Ab Marrow Of The Spirit habe ich dann das musikalische Interesse an der Band allmählich verloren (auch wegen der Rentiere im Swastika-Format).

Wenn ich aber zum Beispiel In The Shadow Of The Pale Companion höre oder The Melancholy Spirit, sehe ich vor meinem inneren geistigen Auge moosbewachsene, nasstriefende Küstenmammutbäume im Nebel und einen indigenen Schamanen, der dabei nackt im Bärenkostüm bei Vollmond um ein Feuer tanzt und Pfeife raucht
 
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^du sprichst mir aus der Seele. Gerade bei the mantle geht es mir genauso. Trotzdem hab ich lange mit mir gerungen ob ich den Mantle Patch nun wirklich aufnähen/ tragen möchte aufgrund der Äußerungen.
 
Mir fallen spontan Agalloch ein, die mit The Mantle schon sehr gut die Landschaft des pazifischen Nordwesten der USA (Oregon, Washington) mit ihren kühlgemäßigten Küstenregenwäldern eingefangen haben. Merke: Regenwälder gibt es nicht nur in den Tropen.
Das ist echt lustig. Ich habe das Album IMMER in den norden Skandinaviens verortet und viel später erst gechecked, dass die Band aus den US of A kommt. Für mich ist kaum ein Folk BM Werk so dermaßen Nord-Europa wie dieses.
 
Das ging mir tatsächlich nie so, wobei ich aber auch direkt bei Veröffentlichung wusste woher die Band stammt. Irgendwie war da immer ein Schuss mehr Melancholie und Bewußtsein um die Moderne drin (anstatt des manchmal etwas fröhlicheren skandinavischen Folk) aber auch ein gewisses urbanes Element. Vielleicht hat da auch nur das Artwork und die Fotos mit rein gespielt, aber ich empfinde The Mantle schon sehr deutlich passend zu einem regnerischen Herbsttag in Portland /Seattle/ Staat Washington.


Ein Kveldssanger oder Bergtatt ist da schon mehr in Norwegen zu Hause und ein Where the wood grouse plays in deutschen Wäldern. Vielleicht projiziere ich aber auch nur stark das Wissen um die Herkunft der Bands da rein.

Und genauso wirkt The Mantle auf mich immer mehr in der Jetztzeit angesiedelt anstatt in der Romantik oder noch früher.
 
Geht mir genauso, The Mantle klingt nach einem nassen, nebligen Morgen, ich hab eher eine Wiesenlandschaft mit Birken und feuchten Moorbinsen-Hügeln im Kopf, die könnte gleichermaßen in Karelien als auch in Form von Plateauregenmooren im Gebiet der Großen Seen in Nordamerika vorkommen.

Ab Februar hab ich Elternzeit, dann kann ich hier hoffentlich mal nen Einstieg machen. Natürlich sind weiterhin gerne Beiträge aller Art willkommen, mich erfrischt so etwas angesichts gegenwärtigen Gelabers andernorts total :top:
 
Ich mag wardruna sehr gerne,ist aber wahrscheinlich zu weit von der threadidee entfernt.
 
Nun, wie beginnt man ein solches Thema, wenn auf dem digitalen Notizzettel bereits 15 Regionen mit vielen Aspekten und einem Haufen Bands stehen, die nur noch niedergeschrieben und mit Bildern und Links illustriert werden möchten?

Ich dachte mir, entgegen der eigentlichen Thread-Idee beginne ich mit Songs, die nicht für eine einzelne Region stehen, sondern das Thema als Ganzes repräsentieren. Da musste ich eigentlich nicht lange nachdenken, zumindest zwei sind mir in dem Zusammenhang direkt eingefallen, die einigen hier im Forum sicherlich nicht unbekannt sein dürften. Falls ihr mehr dieser Sorte kennt, immer her damit.

Beide Songs sind von Bands, die sich intensiv mit der europäischen Geschichte und Kultur beschäftigen, ihre Wurzeln aber in stark naturbezogenen Themen haben. Und diese Songs zeugen von einem feinfühligen Weitblick auf das (landschafts)kulturelle Erbe europäischer Völker und sind gleichzeitig auch musikalisch (zumindest für mich) eines der absoluten Highlights der beiden Bands.

Aber genug der Vorworte, aufgrund der Bild- und Zeichenbschränkung mache ich einzelne Beiträge draus. Sie werden sich inhaltlich und stilistisch sicherlich unterscheiden und auch davon abweichen, was ich später eigentlich vorhabe (regionale Schwerpunkte). Wie schon gesagt soll das ohnehin keine One-Man-Show werden, jegliche Kommentare, Ergänzungen oder Weiterentwicklungen sind willkommen.
Ich habe übrigens einige Abbildungen und Quellen in Text-Links unterlegt, allerdings sind diese je nach Gerät und Browser nicht immer besonders gut sichtbar (bei mir minimal heller als normaler Text).

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Artworks wie dieses habe ich mit KI generiert (GPT 4.0), um das visuell ein wenig zu unterstützen.
 
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Arkona - На Моей Земле (Auf meiner Erde)​

Album: Goi, Rode, Goi (2009)
Youtube-Link

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Welches Lied kann schon damit aufwarten, dass es Texte auf russisch, schwedisch, litauisch, lettisch, deutsch und niederländisch enthält? Dieses Lied ist für mich aus vielerlei Gründen ein Meisterwerk: nicht nur wurden herausragende Musiker sozusagen an einen Tisch gebracht, es verschmelzt deren Beiträge im Grunde nahtlos und unauffällig miteinander zu einem 15-minütigen Gesamtwerk voller Leidenschaft und regionalen Besonderheiten aus Sicht der Musiker. Zudem bringt sich jede Band mit ihren stilistischen Wiedererkennungswert ein. Aber der Reihe nach.

Das Album selbst hat eine übergeordnete Storyline, die eigentlich einen eigenen Beitrag wert wäre, und das Lied befindet sich geradezu unauffällig an vierter Stelle des Albums, sticht aber aufgrund stilistischer Vielfalt und der Spieldauer klar heraus. Im Booklet beschreiben Arkona es folgendermaßen:

"This is a song about a warrior who leaves his motherland to seek happiness in other countries. He mees foreign folk and ask them what their happiness is about."

Wie der Liedtitel schon andeutet (Земле steht hier mehr für Erde im Sinne von "Land" oder "Grund und Boden") teilen die bereisten Völker seine Begeisterung für die heimatliche Landschaft, in welcher alle ihr Glück finden. Was das Lied für mich besonders macht, sind zwei Dinge: die musikalische Umsetzung der jeweiligen Regionen und vor allem auch, mit welchen Worten die heimische Landschaft beschrieben wird. Da ich gerne Karten mache und mich für Wappen interessiere, habe ich eine dazu angefertigt. Die Wappen beziehen sich auf die Herkunftsstadt oder Region der jeweiligen Bands, die im Song beteiligt sind.

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Wer sich schon einmal mit den Texten von Arkona auseinandergesetzt hat (und das ist nicht so einfach, da sie fast ausschließlich auf russisch sind und auch in den Booklets nicht immer abgedruckt sind), der kennt ihre poetische Grundstimmung. Überhaupt ist das etwas, was russischen Metal für mich auszeichnet (ich hoffe, in Zukunft auch diese Region gesondert behandeln zu können): So harsch und für uns fast schon barbarisch die Sprache klingt, so sanfte und kunstvolle Worte verstecken sich dahinter.
Link zum übersetzten Text
Das mag für uns schon an Kitsch grenzen und funktioniert vermutlich auch nur im Originalton (auf Deutsch wäre so ein Text in einem Metal-Song für mich schwer vorstellbar), zeugt aber vom hohen Stellenwert der Sprache in Arkonas Musik, die ich durchaus vielen russischen Bands zuschreiben würde.
Da über russische Landschaften und dem Geist, der ihnen inne liegt, in vielen anderen Arkona-Songs berichtet wird, überlässt Masha das Erzählen in diesem Lied fast gänzlich den eingeladenen Gästen. Auch die Auswahl an Gästen zeigt, dass Arkona sich bezüglich musikalischen Inhalten stärker am paneuropäischen Gedanken orientieren als sich als Teil Asiens zu verstehen. Nicht zuletzt ist Arkona ein Küstenteil von Rügen, auf dem sich bis ins 12. Jahrhundert die Jaromarsburg als Festung eines slawischen Stamms befand. In diesen Zeiten frage ich mich, wie die Band mit dem krassen Zerwürfnis zwischen Russland und Europa umgeht, aber das wäre Gegenstand einer anderen Diskussion.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der erste Krieger, der besucht wird, befindet sich in Schweden. Die ursympathischen Manegarm als eine der dienstältesten Folk Metal-Bands (Gründung 1995, mit Erik und Markus immer noch zu zwei Dritteln in Urbesetzung) dürfen sich also als erstes zum Thema äußern. Begleitet von der typischen Geige des mittlerweile ausgestiegenen Janne Liljeqvist vertonen sie, wo ihre Lebenskraft herstammt:

Hör Nerthus andas tungt
Svitjods ursjäl

Nordstjärnans bleka ljus
Gråben i nattens vind
Gryning över nordens mark
Korpvinge i Sunnas hav

Här vakar mina förfäder
Vid Enögas sida
Här offrar jag till gudarna
I mina rötters jord
Hören Sie Nerthus schwer atmen
Svitjods Urseele

Das blasse Licht des Nordsterns
Graue Beine im Nachtwind
Morgendämmerung über dem Land des Nordens
Rabenflügel im Sunna-Meer

Hier schauen meine Vorfahren zu
An Enögas Seite
Hier opfere ich den Göttern
Im Boden meiner Wurzeln

Mit Nerthus ist die in vielen germanischen Stämmen verbreitete "Mutter Erde" gemeint, Svitjod ist altnordisch für Schweden. Das Sunna-Meer liegt an der südöstlichsten Spitze Schwedens. Enöga (Einauge) dürfte ein Verweis auf Odin oder eine Abwandlung dessen sein. Ich lese aus der Schilderung einen starken Fokus auf Dunkelheit und das wenige Licht, das diese durch einzelne Sterne und die Dämmerung durchdringt. Überhaupt haben Manegarm immer schon mit dem Begriffs des Lichts gespielt, wenn man sich die Coverartworks und Titel (Debutalbum "Nordstjärnans tidsålder": Das Zeitalter des Nordsterns) ansieht. Stellvertretend für dieses Zusammenspiel könnte man dieses Bild heranziehen.

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Mit "Graue Beine im Nachtwind" kann ich irgendwie nichts anfangen, vielleicht kann da ein Muttersprachler aufklären, was damit gemeint sein könnte? Edit: Danke an @WitheringHeights für den Hinweis "Wolf"!
Musikalisch geht man feierlich und fröhlich zu Werke, aber auch immer mit einer gewissen Erdigkeit.

Der Protagonist im Lied erkennt die Schönheit Schwedens an, empfindet es aber als "fremd und kalt" und zieht weiter. Darauf hin landet er in Litauen, vertreten durch deren vermutlich bekannteste Folk Metal-Band Obtest. Die zuvor noch farbenfrohe Musik weicht einer etwas monotoneren und eher hypnotischeren Melodieführung, begleitet vom kräftigen und rhythmischen Klargesang, der inhaltlich ganz andere Kerbe einschlägt. Hier muss ich gestehen, zu wenig über die Mythologie des Baltikums zu wissen, um eine detaillierte Analyse vorzunehmen, aber das Pferd als Wappentier des Landes (da Volk war berüchtigt für seine Kavallerie), der Fokus auf Wälder (zweimal im Zusammenhang mit scheinbar endlosen Weiten) und der Gott Velinas, der als eine Art Schöpferwesen zwischen den Toten und den Lebenden hin- und herwandelt, sind eine doch recht bildhafte und repräsentative Auswahl. Dieses Bild eines litauischen Walds könnte diese Stimmung wohl ganz gut einfangen.

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Biogeographisch befinden wir uns wie auch schon Schweden in der Zone des borealen Primärwalds, daher ist die Erwähnung von Eichen nicht verwunderlich.
Würde mich gerne mit jemandem, der sich hier auskennt, noch über die Aspekte Brot und Stahl austauschen.

Bekraštės girios užaugino mus, vėjo žirgais į laisvę…
Duona juoda kaip žemė, tirštas putoja midus…
Žemynos sakalas saulėje saugo mūsų vaikus…
Velinas vienaakis moko mus plieną pabust…
Ąžuoliniai piliakalniai žvelgia į tolius….
Kiek akys mato – žemės mūsų senolių….
Grenzenlose Wälder haben uns erzogen, Windpferde zur Freiheit ...
Das Brot ist schwarz wie die Erde, der Met schäumt dick...
Der Kontinentalfalke beschützt unsere Kinder in der Sonne…
Der einäugige Velinas bringt uns den Stahl, um aufzuwachen ...
Eichenhügel blicken in die Ferne….
So weit das Auge reicht – das Land unserer Vorfahren...


Der Krieger zollt der Schönheit Litauens seinen Tribut, erwähnt dessen angenehme Helligkeit (im Vergleich zu Schweden?) und zieht weiter ins nördlich benachbarte Lettland, das von den großartigen Skyforger vertreten wird, vermutlich dem Urgestein baltischen Folk Metals schlechthin. Wer deren Texte ein wenig kennt, wird verstehen, wie anders dieser Raum gegenüber Skandinavien ist, wenn es um Mythologie geht. Andere Gottheiten, andere Erzählungen und gefühlt hat viel mehr einen Touch eines Märchens. Die Firmamente am Himmel spielen eine viel größere Rolle als eigene Wesen, die ich zu späterer Zeit hoffentlich ebenfalls in einem gesonderten Beitrag über das Baltikum näher in den Fokus nehmen können werde.
Hier bin ich nicht sicher, ob Google Translate hier besonders richtig lag, denn die Übersetzung lässt mich ziemlich ratlos zurück. Die dreimalige Erwähnung von Meer ist aber nicht verwunderlich, denn die Geschichte Lettlands ist durch Erkundungs-, Eroberungs- und Handelsfahrten stark mit der Seefahrt verwoben. Um nicht in größere Spekulationen zu verfallen, schließe ich hier mit einer bildhaften historischen Karte Nordeuropas aus dem Jahr 1539 (am besten in Fullscreen zu bestaunen).

Kas kait manīm nedzīvoti
Lielas jūras maliņā
Cik jūriņa viļņus meta
Tik izmeta sudrabiņu

Es apvilku ūdens svārkus
Sīkakmeņa kažociņu
Nu es iešu jūriņai
Ar Ziemeli spēlēties
Was ich noch nie erlebt habe
Am Rande eines großen Meeres
Wie viele Wellen warf das kleine Meer
Also habe ich das Silber weggeworfen

Ich habe einen Wasserrock angezogen
Kieselpelzmantel
Nun, ich gehe ans Meer
Mit Ziemeli spielen
 
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Beeindruckt von den Weiten Litauens zieht der Krieger weiter, denn das Land sei zwar schön, gehöre aber nicht ihm. Er möchte "weg vom Meer" und landet im heutigen Deutschland. Und wer könnte das Genre hier würdiger vertreten als Menhir aus Thüringen? Es ist zwar leider sehr still um die Band geworden, das letzte Album "Hildebrandslied" liegt nun schon 16 Jahre zurück, aber insgesamt waren alle 4 Werke stilprägend und musikalisch erstklassig. Lyrisch gibt man sich gewohnt bildhaft, beschrieben werden Berge und Täler, Wälder, Flusslandschaften, Ähren, Blumen und selbst Glocken am Bildnis einer jungen Frau. Könnte man jetzt als creepy abstempeln, wenn sowas aus dem Mund alter Herren kommt, im Kontext dieses Lieds aber auch einfach als Anlehnung and Dichtkunst im Stile germanischer Stämme oder deutscher Romantiker betrachten. Wer schonmal in Thüringen war, wird sicherlich zustimmen, dass es dort herrlich naturbelassene Flecken gibt.

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Thüringer Land, wie bist du so schön,
wie eine junge Maid.
Die Gliederlein sind Tal und Höh'n
Und Wiesenschmuck dein Kleid.

Die frische Waldluft ist dein Hauch,
dein Reden Vogelsang.
Dein Heim, das ist ein helles Au,
dein Kuss ist Glocke Klang.

Der Wald er ist dein Mantel grün,
dein Haarputz Ährengold.
Zum bunten Hause hier erblühn
die Blümlein zart und voll.

Es ist der Wiesenschmuck dein Kleid,
die Glieder, Tal und Höh'n.
Du bist wie eine junge Maid
Thüringerland, so süß.
-

Musikalisch sind die eineinhalb Minuten mit allem gefüllt, was ich an Menhir liebe: Heikos unverwechselbarer Klargesang, Akustikgitarren und pulsierenden Stromgitarren und den typisch aufheulenden Melodien. Wer hätte damals gedacht, dass das auf lange Zeit (im Grunde bis heute) das letzte musikalische Lebenszeichen der Band sein wird. Umso kostbarer finde ich den Beitrag, der sich wie die anderen nahtlos in den Song einreiht und subtil im Hintergrund von den Bagpipes Arkonas begleitet wird.
Der letzte Besuch führt den Protagonisten ins Gelderland in den Niederlanden, der Heimat Heidevolks, vertreten durch ihre beiden Sänger Mark und Joris, welcher einigen im Forum vielleicht durch seine heutigen Projekte :Nodfyr:, Bezwering, Wederganger oder Nagel bekannt sein dürfte. Die Band hatte meiner Meinung nach zu dieser Zeit ihre Hochphase erreicht und mittlerweile so viele Besetzungswechsel hinter sich, dass im Grunde kein Gründungsmitglied mehr beteiligt ist. Zudem ist sie hier im Forum oftmals eher Gegenstand von Treppenwitzen, weswegen ich mir weiter lobende Worte hier erspare und auf das Musikalische und Textliche eingehe: Ihr Alleinstellungsmerkmal liegt in den Texten im geldrischen Dialekt und dem zweistimmigen Männergesang, welcher auch hier zum Einsatz kommt, allerdings weniger melodiegewaltig als gewohnt und stärker auf Rhythmus und kräftigen Ausdruck konzentriert.

U volgde de zon, door uw goden begeleid
Westwaards bent u gereisd
Naar de grenzen van het land
Waar de zee de grond verzwelgt
Naar het land der drakenschrei
Het oord, met mijn aard vergroeid
Heeft uw pad u heengeleid
Welkom in mijn vaderland

Warm u aan de haard, mijn gast
En laaf u aan ons bier
Ver zijn eens ook wij gereisd
Maar ons geluk ligt hier
Waar mijn broeders rond het vuur
Drinken in ’t nachtelijk uur
Waar verhalen en gelach
Klinken tot het aanbreken der dag
Onze vreugde vinden wij
In de wouden, in de velden en op de hei
Onze vreugde vinden wij
Aan de oevers van de Rijn
Du bist der Sonne gefolgt, geleitet von deinen Göttern
Du bist nach Westen gereist
Bis an die Grenzen des Landes
Wo das Meer den Boden verschlingt
In das Land des Drachenschreis
Der Ort, verschmolzen mit meiner Natur
Hat Sie Ihr Weg dorthin geführt?
Willkommen in meiner Heimat

Wärme dich am Kamin, mein Gast
Und genießen Sie unser Bier
Auch wir sind weit gereist
Aber hier liegt unser Glück
Wo meine Brüder am Feuer waren
Nachts trinken
Wo Geschichten und Lachen
Musik bis zum Tagesanbruch
Wir finden unsere Freude
In den Wäldern, auf den Feldern und auf der Heide
Wir finden unsere Freude
Am Rheinufer

Landschaftlich ist man im Gegensatz zu den vier vorigen nun gänzlich in einer anderen Gegend angekommen, Wälder gab es durch den großen Flächendruck in den Niederlanden schon früh nur noch wenige und das Element Wasser war stets prägender für die regionale Kultur, ob von Meeresseite - gleichermaßen bedrohlich ("verschlingt") und als Tor zur Welt - oder in Form von vielen Flüssen und Grachten. Hier ein nettes Foto aus der Gegend.

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Bekanntermaßen sind die Niederländer Weltmeister darin, inmitten dieses Wassers zu leben, gleichzeitig sind sie sehr gesellig und halten sich gerne zuhause auf, wo "Bier, Feuer und Geschichten" warten, und so wird auch der Gast an den Kamin eingeladen, um diesen Geschichten zuzuhören. Musikalisch eher minimalistisch gestaltet ist in diesem Beitrag vielleicht noch der Einsatz der Maultrommel zu erwähnen. Das Bild des Drachens kann ich nicht so richtig zuordnen, auch da bin ich für Hinweise dankbar.

Der Krieger ist dankbar für die vielen Eindrücke anderer Kulturen und stellt fest, dass allen gemeinsam die Verbundenheit mit ihrem Naturraum sowie eine tiefe Leidenschaft ist, die regionale Identität stiftet. Er richtet den Blick zurück ("In den Ketten des Vergessens") und in die Zukunft ("Die kommende Kraft des Glücks") und kehrt nach Hause zurück.

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Nun, was bleibt nach so einer Reise? Erstmal nicht viel, außer dass sie zeigt, dass Landschaft, kulturelles Erbe und Musik eng miteinander zusammenhängen können.
Selbst wenn der Song euch nicht gefällt war es vielleicht trotzdem eine kleine Reise wert und macht Lust auf mehr, das hoffentlich regelmäßiger in diesem Thread folgt. Über den zweiten Song darf gerne weiter spekuliert werden.
Lasst mich wissen, was ihr davon haltet.
 
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