Stoned Jesus

Keksmann

Deaf Dealer
"Today we will continue studying the teachings of Saint Theresa.
And this is what the devil does. To beget his evil he obtains help from our virtues.
Even if the gain is small, his harvest is great.
But God in his infinite wisdom understands the wiles of the devil.
And so gives us the strength to face them with noble thoughts and prayer."

Mit diesem Zitat beginnt das 2010er Erstlingswerk „First Communion“ von Stoned Jesus, einer Band die in diesem Forum bisher viel zu wenig besprochen wurde!

I.
Stoned Jesus sind eine Stoner-Metal-Band aus Kiev rund um Gitarrist und Sänger Igor Sidorenko (manchmal auch „Ihor“ geschrieben, richtig wäre wohl „Ігор Сидоренк”). Ihr Stil wird auch dem Doom Metal, dem Stoner Rock, dem Sludge Metal oder dem Progressive Metal zugeschrieben. Man könnte auch noch "Grundge" erwähnen. Die Band ist nicht wirklich in einer einzigen Genre-Schublade unterzubringen und das Stoner-Image und der Bandname sorgen sicherlich dafür, dass einige potentielle Fans dieser Band erst gar keine Chance geben. Was genau bedeutet überhaupt Stoner-Rock? Ich habe die Bezeichnung schon für die unterschiedlichsten Gruppen gehört - von Sleep über Orange Goblin bis hin zu Clutch. Wenn ich so darüber nachdenke finde ich dass wir Manilla Road fortan auch als Stoner Rock bezeichnen müssen! Oder auch nicht. Alles was ich sagen möchte ist: gebt der Band eine Chance und tut das ganze nicht ungehört als „Kiffermusik“ ab.

„I am the Mountain“ gilt wohl als der absolute Hit der Band - mit 15 Millionen Klicks auf YouTube. Stoned Jesus sind aber alles andere als ein One-Hit-Wonder.

Ich möchte an dieser Stelle ein paar persönliche Geschichten erzählen (II.), die Diskografie der Band näher beleuchten (III.) und zu guter Letzt (IV.) über aktuelle Themen sprechen, denn die Band stammt aus der Ukraine und während ich diese Zeilen schreibe halten sich alle drei Mitglieder der Band auch in diesem vom Krieg heimgesuchten Land auf.



II.
Ich habe Stoned Jesus über YouTube kennen gelernt, das müsste 2012 oder 2013 gewesen sein. Der prollige Bandname und das fantastische Cover Artwork des ersten Albums haben mich neugierig gemacht. Das klang in meinen Ohren ziemlich cool und total nach Black Sabbath! Insbesondere „Black Woods“ hat eine Passage, bei der man denkt dass ein junger, zeitreisender Ozzy Osbourne einen Gastauftritt hätte.
(„Won’t somebody tell me wtf is going on? I think I'm in trouble, I don't know where I belong.“)

Ich habe das Video dann direkt meiner Freundin zukommen lassen, hauptsächlich weil diese selbst auf den Namen Jesus hört und ich das lustig fand (klingt komisch, aber mich nenen die Leute "Keksmann"). Eine Woche später war sie ein totaler Fan der Band und hat mich gefragt wie ich denn das zweite Album im Vergleich zum ersten finden würde. Meine Reaktion darauf: „Die haben ein zweites Album?“ o_O


Das erste mal live gesehen haben wir die Band dann Anfang 2014 in einem winzigen Schuppen in Solingen. Sagte ich Schuppen? Ich glaube das war eine Scheune oder so etwas!
(Habe gerade nachgeschaut und es handelt sich um einen Club namens „Waldmeister“.)
War ein grandioser Abend und ich kann mich erinnern, dass Stoned Jesus einen Cover-Song von Nirvana im Programm hatten und auch „Here come the robots“ und „YFS“ (Youth for Sale) wurden gespielt, zwei Songs die damals noch gar nicht veröffentlicht waren und weniger in die okkulte und mehr in die politische Richtung gingen. Sicherlich ein Zeichen der Zeit (2014).

Wir haben die Band danach noch öfters gesehen, aus irgend einem Grund immer in Köln: Im Underground (RIP!), dem Trafostation 61 Festival, dem Helios 37 und auch in der Live Music Hall. Gerade der Auftritt an der „Trafostation“ war ein unfassbar geiles Konzert aufgrund des Ambiente dieses kleinen Hippie-Festivals und der wesentlich größeren Gruppe an Kumpels, die dabei waren. Good Times!

Anfang Februar habe ich in Aachen im Musikbunker angerufen um nachzufragen ob denn das Stoned Jesus Konzert am 13.04. stattfindet oder nicht, denn die Band hatte diesbezüglich was auf facebook geschrieben, aber auf der Webseite vom Musikbunker war nichts zu sehen. „Ich wüsste nicht was dagegen spricht“, hieß es, „Also geplant isses schon, aber momentan kann man ja nie wissen. Wegen Corona.“.

Das eventuelle andere Gründe die Tour unmöglich machen würden, daran hat man vor einem Monat noch nicht gedacht.
 
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III.

FIRST COMMUNION


Satan, Satan, Satan, our lord and master!
I acknowledge thee as my god and prince.
I promise to serve and obey thee as long as i shall live.
I renounce the other god and all the saints!

First Communion ist eine absolute Black Sabbath Huldigung! Naja vielleicht nicht ganz so Oldschool, wie manch einer sich das jetzt erhofft, aber wenn dies das einzige Album der Band geblieben wäre, hätte ich den Thread ohne zu zögern in den Heavy / Doom Bereich gepackt. Die 4 überlangen Songs, stilvoll eingepackt in Audiosamples aus dem 1977er Film Alucarda, passen perfekt zusammen und ich kann nur dazu raten das Album komplett am Stück zu hören! Deshalb gibt es an dieser Stelle auch keine Anspieltips.

https://youtube.com/playlist?list=OLAK5uy_kbIAn4ULc399gMNzlhfQPQPnnQqPzVmYU

SEVEN THUNDERS ROAR



Seven Thunders Roar, over flooded shore
Pilgrim have you lost your way?​


Vergleichen wir mal die Cover-Artworks, denn diese beschreiben die Musik ziemlich gut. Wir sehen auf dem Cover… alles Mögliche? Einen amerikanischen Ureinwohner, Haare und Gestrüpp, wilde Tiere, einen brennenden Schädel (auf der Rückseite) und einen goldenen Hintergrund? Es ist gar nicht so leicht zu beschreiben was für Sinneseindrücke einem die Seven Thunders da um die Ohren ballert. Es ist jedenfalls alles etwas komplexer als „Totenkopf mit Schlangen“.;)
Zwar verlieren Stoned Jesus in ihrem zweiten Album ein gutes Stück ihrer Düsternis, aber der Doom-Anteil geht nicht vollständig verloren. Wir sind an dem Punkt angekommen, an dem die Band nicht mehr in eine Schublade passt. Der Opener „Bright Like the Morning“ könnte so fast im Radio laufen und das ist an dieser Stelle wirklich nicht als Beleidigung gemeint, während der 18-Minuten-Song „I am the Mountain“ an Epik kaum zu überbieten ist. I am the Mountain ist übrigens einer der ganz wenigen Songs in denen Igor so richtig ins Mikrofon brüllt (nicht sofort und auch nicht die ganze Zeit, sondern dann, wenn es darauf ankommt). So sehr ich das erste Album mag – das hier ist eine deutliche Weiterentwicklung und bis heute ein Fan-Favourite.

Neben dem Überhit I am the Mountain möchte ich noch den sturmigen Montag empfehlen, aber auch die Seven thunders ist ein Album, dass man im Idealfall von Anfang bis Ende, komplett am Stück genießt. Ich liebe den opener „Bright like the morning“.

https://youtube.com/playlist?list=OLAK5uy_ky2f33DpIeMoHPl5XGDlOBF5PwXcBj7RM
 
THE HARVEST



Poison is boiling in brainwashed minds
But eye for an eye makes the world go blind
Carry your cross, don't forget the nails
All I see now is Youth for Sale.

The Harvest beginnt mit dem lauten Ausruf „Jesus Christ!“ und haut einem dann ganz überraschend einen für Stoned Jesus ungewöhnlich wilden, schnellen, kurzen und knackigen Song um die Ohren, der erst gegen Ende ein kleines Bisschen MidTempo-mäßig abgroovt. Here come the Robots macht wirklich Spaß, bleibt aberstilistisch ein Ausreißer auf dem Album. Die anderen Lieder klingen zwar anders als die Seven thunders, aber ganz klar wie Stoned Jesus. Der fast 15 minütige, letzte Track des Albums „Black Church“ bietet dann erwartungsgemäß schweren, triefenden Doom mit okkulter Schlagseite.
Viel interessanter sind aber eigentlich die Lyrics von Here Come The Robots und YFS. Ich behaupte nicht, dass ich zuverlässig wiedergeben kann was genau Igor sich beim Schreiben der Texte gedacht hat (ich versuche immer noch herauszufinden, was Dio uns sagen wollte, als er von den Streifen des Tigers gesungen hat), aber es ist mehr als deutlich dass hier neben okkulten Klischees und persönlichen Emotionen plötzlich auch politische Themen eine wichtige Rolle spielen.

Anscheinend sollte das Material ursprünglich auf zwei Alben aufgeteilt werden. Ein klassisches, doomiges und eins mit den eher progressiveren, moderneren (undefinierbaren) Tracks.

Rituals of the Sun ist wohl mein Favorit auf dem Album, aber das ändert sich ständig. Ihr macht also auch hier nichts falsch, wenn ihr einfach das ganze Album hört!

https://youtube.com/playlist?list=OLAK5uy_msie0_FGf6YYgD8szQ2zWobQLrOYWQ_qk



PILGRIMS



Can't help myself from falling
Can't let me go, I'm too far out

Das vierte Album zeigt erneut eine deutliche Weiterentwicklung der Band. Neben wohlbekannten Klängen die wahlweise an Sabbath, Led Zeppelin oder Kyuss erinnern macht sich auch ein wenig Post-Rock oder sogar Shoegaze bemerkbar, zwei Musikstile die ich eigentlich auf den Tod nicht ausstehen kann, aber hier funktioniert es irgendwie. Die Songs Water me und Apathy kommen mit extrem wenig Lyrics aus, die sich endlos wiederholen. Das ist vielleicht nicht jedermanns Sache. Ich selber finde lediglich Water me ein kleines Bisschen zu lang, aber was verstehe ich schon von Musik?
Die Lyrics gehen wieder deutlich in Richtung „persönliche Gefühlseindrücke“ und beschreiben das Leben auf Tour. Stoned Jesus sind in den damals fast 10 Jahren Bandgeschichte enorm viel getourt und besonders der Opener „Excited“ nimmt deutlichen Bezug auf diese Zeit. „Feel“ hingegen beschreibt die paradoxe Isolation, die man als reisender Musiker verspüren kann und erinnert mich irgendwie an einen gewissen „Pink“ der einst eine Mauer bauen wollte um sich von der Außenwelt abzuschotten.
Ein wirklich starkes Album, aber schwerer zugänglich als die anderen. Bin mir auch gar nicht 100% sicher ob Post-Rock und Shoegaze auch nur ansatzweise die richtigen Bezeichnungen sind – es klingt auf jeden Fall alles viel moderner als zuvor.

Anspieltips: Ihr habt es geahnt: Hört Euch gefälligst das ganze Album an! :D
(Ansonsten wäre „Hands resist him“ ein guter Einstieg)

https://youtube.com/playlist?list=OLAK5uy_n0zHDtQV5icLaCcJzKEGQfX77ozAP9wro

UND SONST?
Darüber hinaus sind noch verschiedene Demos, Singles, Compilations und eine EP erschienen. Erwähnenswert finde ich auch Igors Nebenprojekt Arlekin, „a love letter to British neo-progressive rock scene of the 1980s“.

 
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IV.
Im März 2014 annektierte Russland gewaltsam die ukrainische Halbinsel Krim. Dies war ein Bruch mit völkerrechtlichen Verträgen und die UN-Generalversammlung verurteilte diese angeblich „vorübergehende Besetzung“ der Krim. Ich erwähne das an dieser Stelle noch einmal, weil für viele der Angriff auf die Ukraine unerwartet und mehr oder weniger „aus dem Nichts“ kam.

Stoned Jesus ist eine Band aus Kiev, Frontmann Igor Sidorenko stammt allerdings aus Lugansk, einem Gebiet weit im Osten des Landes welches seit 2014 von der Ukraine abgespalten ist und als De-facto-Regime, also als nicht anerkannter Staat gilt. Seitdem ist es nicht mehr ohne Probleme möglich gewesen dort ein- und auszureisen um zB Freunde oder Familie zu besuchen.

Seit 2014 befindet sich die Ukraine im Kriegszustand, der tatsächliche Angriffskrieg begann am 24. Februar 2022, als russische Truppen, in die „umkämpften Gebiete“, also die sogenannten „Volksrepubliken“ Lugansk und Donesz einmarschierten. Wladimir Putin bezeichnete diesen Angriffskrieg als „Operation zur Demilitarisierung und Entnazifizierung“ und versprach über die umkämpften Gebiete hinaus nicht weiter in die Ukraine eindringen zu wollen. Davon abgesehen dass sich dies als dreiste Lüge entpuppt hat (welch Überraschung!) ist der Begriff „Entnazifizierung“ extrem unangebracht, wenn man bedenkt dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ein Jude ist.

Seitdem stoßen russische Truppen immer weiter in das Land vor. Es gibt Berichte von verschiedenen Kriegsverbrechen und leider auch jede Menge Falschmeldungen. Beinahe die ganze Welt verurteilt diesen Krieg und damit auch ausdrücklich Wladimir Putin. Der sogenannte Westen hat Waffen an die Ukraine geliefert und humanitäre Hilfe geleistet, aber bisher nicht aktiv an diesem Krieg teilgenommen.

Ich möchte und kann hier nicht weiter ins Detail gehen (Stand 06.03.2022).
Wikipedia macht einen sehr guten Job für alle die mehr dazu wissen möchten.

https://de.wikipedia.org/wiki/Annexion_der_Krim_2014
https://de.wikipedia.org/wiki/Russischer_Überfall_auf_die_Ukraine_2022
https://de.wikipedia.org/wiki/Wolodymyr_Selenskyj


Die Band, um die es hier eigentlich geht, ist derzeit sehr aktiv auf Twitter und Igor postete schon vor dem russischen Angriff Videos über die derzeitige Situation. Gerade das „Live goes on“, „We’re alway ready“ – Video vom 22. Februar hat heute einen fiesen Beigeschmack. Ansonsten geht es um den Alltag im Krieg, russische Propaganda und um Spendenaufrufe für die Armee. Manche Tweets kommen eventuell etwas radikal rüber, gerade wenn es um die NATO geht, aber bitte fangt deswegen jetzt keine Diskussionen an. Im Endeffekt wollen wir doch alle das der Krieg so schnell wie möglich vorbei ist. Was genau dafür die richtige Strategie ist ist ein anderes Thema. Und wenn jetzt auch noch jemand der Meinung ist man müsse Putin in irgendeiner Weise verteidigen, dann möge er an seinem Kommentar ersticken.



 
Danke für den schönen Beitrag und die Banddiskografie!
Stoned Jesus hab ich damals live kennengelernt im Package mit Mars Red Sky und Belzebong. War ein toller Auftritt. In etwa zwei Jahre später waren sie schon die Headliner und ich habe bei der Abendkasse keine Karten mehr bekommen und bin vor verschlossenen Türen gestanden. Das war bei ihrer Tour mit Somali Yacht Club in der Stadtwerkstatt in Linz.
I am the mointain kenn ich natürlich und ein Freund von mir liebt den Song. Ich nehme deine Zeilen zum Anlass, mich mal näher mit dem Schaffen der Band zu befassen.
 
Das neue Album "Father Light" ist jetzt draußen und kann auf Youtube über das Plattenlabel Season of Mist komplett angehört werden.
 
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