Spatenpauli
Till Deaf Do Us Part
"Zusätzlich zu den 300 Euro pro Ticket kostet der Wohncontainer im »Moshtel«, den wir gemietet haben, 2300 Euro für zwei Personen und fünf Nächte."Nur vier Stunden, nachdem mein Vater und ich losgefahren sind, haben wir unsere Wacken-Bändchen am Arm. Ich fühle mich erleichtert, aber richtig freuen kann ich mich nicht. Für uns war es die kürzeste Anreise zum Wacken Open Air, die wir je hatten – während andere durch die Stau-Hölle gegangen sind und am Ende trotzdem umkehren mussten. Es ist nicht fair.
Aber von vorne: Starkregen hat vielen Fans das größte Heavy-Metal-Festival der Welt vermiest. Autos mussten von Traktoren einzeln auf das Gelände geschleppt werden. Schon Montagmittag wird ein Anreisestopp verhängt, der Dienstagabend bis zum Festivalende für alle Kraftfahrzeuge verlängert wurde. Anreisen per Auto oder Wohnmobil ist ab da nicht mehr erlaubt.
Seit Mittwochmorgen bekommen auch solche Metalheads kein Bändchen mehr, die im Stau um das Festivalgelände herum stehen – viele seit mehr als 20 Stunden. Auch, wer sich an die Anweisungen der Veranstalter gehalten hat und sich Dank der Tausenden Hilfsangebote aus den umliegenden Dörfern privat eine Unterkunft in der Nähe des Geländes gesucht hat, ist aufgeschmissen.
Die Bändchenausgabe ist gestoppt.
Enttäuschte Fans drehen um.
Wacken-Mitgründer Thomas Jensen hatte am Vorabend noch explizit gesagt, dass nur die Anreise mit Auto verboten sei – wer mit den Shuttle-Bussen vom Bahnhof Itzehoe, per Fahrrad oder zu Fuß kam, wurde eingelassen. Am Mittwochmorgen sagt Jensen dann in einer Videobotschaft: »Jetzt ist der Punkt erreicht, das Gelände kann nicht mehr Leute aufnehmen.« Schweren Herzens müsse man das Gelände zumachen, man habe alles versucht.
Mich erreicht die Nachricht, noch ohne Jensens Worte, pünktlich zum Aufstehen um 5 Uhr in der Wacken-App. Schade, denke ich, wir wollten gerade los.
Mein Vater ist über 60, normales Camping macht er nicht mehr mit. Deshalb haben wir »Glamping« gebucht. Das ist die Abkürzung für »glamourous camping« und bedeutet im Fall von Wacken oft so viel wie: Ich habe Rücken – und viel Geld.
Zusätzlich zu den 300 Euro pro Ticket kostet der Wohncontainer im »Moshtel«, den wir gemietet haben, 2300 Euro für zwei Personen und fünf Nächte. Dafür gibt es ein Bett, Duschen in der Nähe und es regnet nicht rein. Andere machen eine Fernreise, wir fahren nach Wacken.
Dienstagabend hatte es noch geheißen, dass Besucher des Moshtels und des Islands, wo es feststehende Zelte und Hütten zu mieten gab, noch anreisen dürfen. Sogar mit dem Auto. Wir fragen zwei Freunde von mir, die normal campen wollen, ob wir sie mitnehmen sollen. Sie wollen aber lieber bei ihrer Anreise-Gruppe bleiben und es Mittwochfrüh mit der Bahn versuchen. Vor dem Aufstehen nehme ich mir vor, dass wir in die Facebook-Gruppe schreiben und unsere Plätze im Auto anderen Fans anbieten. Dann lese ich vom endgültigen Einlassstopp.
Um kurz nach 5 Uhr rufen wir beim Moshtel an. Dort heißt es, dass sie sehr wohl noch Besucher aufnehmen. Ich wundere mich. Wir packen schweigend und fahren los.
Ich denke an die Tausenden Fans, die nun nach teils mehrtägiger Odyssee umdrehen müssen. Von denen einige schon Tausende Kilometer Flugreise hinter sich haben. Natürlich ist die Unterbringung von Gästen in feststehenden Zelten und Containern einfacher als auf freiem Feld. Die Toiletten im Infield werden wir trotzdem nutzen. Wir belasten die in Matsch versinkende Logistik.
Nach etwas mehr als einer Stunde Fahrtzeit stehen mein Vater und ich in der Autoschlange auf dem Feldweg, der zum »Moshtel«-Parkplatz führt. Es geht zügiger voran als in den Vorjahren, trotzdem bleibt zwischendurch Zeit zum Aussteigen und Quatschen mit den Nachbarwagen. »Die werden sich doch das Geld nicht entgehen lassen«, sagt jemand im Alter meines Vaters zur Frage, weshalb er glaubt, dass wir noch anreisen dürfen. Und die Kosten seien ja schon entstanden, die Container stehen bereit.
Auch die solidarische Metalgemeinde ist eine Zweiklassengesellschaft. Für zahlungswillige und -fähige Gäste ist mehr möglich. Es ist nicht überraschend. Sicherlich werden die Veranstalter alles in ihrer Macht Stehende getan haben, um diese Situation zu verhindern. Und natürlich geht die Sicherheit der Festivalbesucher, der Crews und Bands immer vor.
»Die Tickets werden refundiert, das ist ganz klar«, sagt Wacken-Mitgründer Thomas Jensen im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein. Wie die Rückerstattungen technisch abgewickelt werden, sei noch nicht klar.
Jetzt lächele ich doch
Trotzdem ist es traurig. Am Mittwochmorgen ist der Campground auffällig ruhig. Einige Ackerstücke sind gut begehbar. Auf einem langen Stück Weg waten alle durch rund 30 Zentimeter tiefen Schlamm.
Die Crew tut ihr bestes und fährt mit kleinen, offenen Fahrzeugen Rucksäcke, Koffer und Bierpaletten durch die Brühe zum »Moshtel«. Ein Luxus. Auf den Zwillings-Hauptbühnen beginnt der Soundcheck, vor unserem Wohncontainer zeigt die App meines Vaters in der Spitze 80 Dezibel. Jetzt lächele ich doch.
Alter....