Meine Musiksozialisation lief in den 90ern ab und meine Eltern haben mich hierbei auf jeden Fall total beeinflusst. Sie sind beide Berufsmusiker (klassisch/Kirchenmusik) und wir mussten/durften alle mindestens ein Instrument spielen und Musiktheoriekurse an der Musikschule belegen. Ich hatte Werkanalyse auch als ein Wahlfach in der Oberstufe. Das erklärt vielleicht meinen etwas kopflastigen Zugang zu Musik, der immer gleich die innere Mechanik eines Stücks zu sezieren versucht; ich kann das aber nicht abstellen.
Bei uns lief viel Klassik und meine Wochenenden begannen jahrelang immer damit, dass ich durch Bach-Etüden oder Chopin-Preludes geweckt wurde, weil mein Vater Klavier übte. In meiner Jugend habe ich auch häufiger Orgelkonzerte von ihm registriert (die Register bedient). Klavier und Orgel elektrisieren mich bis heute. Mit einer Orgel kannst du alles ausdrücken, die zarteste Wehmut, den gewaltigsten Gewittersturm; in Orgelkonzerten bin ich wie in Trance und dann hört sogar die Seziererei mal auf.
Musik war immer was Vordergründiges und Wichtiges bei uns und das eint uns heute auch noch, wo ich irgendwann in andere Gebiete abgetaucht bin.
Wir haben zwei Mark Taschengeld i.d. Woche bekommen, so dass das Selberkaufen von Musik nahezu ausgeschlossen war; das ging erst, als ich Ü16 war und mit Nebenjobs etwas eigenes Geld verdient habe. Die Musikabteilung in der Stadtbibliothek Leipzig ist daher meine Anlaufstelle zum Entdecken von Musik geworden und durch die Entdeckungen dort wurde ich mit ca. 13 Jahren zum Metaller, wobei das in den 90ern noch weitestgehend die True/Heavy/Power-Metal-Schiene war, der ganze extreme und düstere Stoff kam erst mit dem Studium in den 00ern. Weitere Sozialisationsstationen: Die "Metal Merchant"-Kataloge von Massacre Records (meine erste eigene CD-Sammlung umfasste im Wesentlichen nice-price-Angebote aus dem Stall von Massacre); die Radiosendung "Hart bis heavy" auf MDR Sputnik (Hieß die so? Lief immer Mittwochabend 22 oder 23 Uhr, habe jede Sendung auf Kassette aufgenommen, nachgehört und nach den Bands dann in der Musikbibliothek gesucht; die Tapes habe ich längst alle weggeschmissen).
Meine Eltern waren zunächst nicht sehr glücklich über die Entwicklung, aber als sie merkten, dass Widerstand zwecklos war, haben sie mich unterstützt. Ich ließ mir ungehindert die Loten wachsen. Ich stieg mit 15 oder so von Cello auf E-Bass um, natürlich auch mit Musikschulunterricht, Auftritten bei irgendwelchen Wettbewerben, Musikschulband und dem ganzen Kladderadatsch, ohne ging bei uns nicht. Sie halfen mir bei der Orga meiner ersten Konzertbesuche, die immer mit Zugfahrten von Leipzig nach Glauchau (Alte Spinnerei) verbunden waren; die Clubs in Leipzig vor Ort lernte ich erst später kennen, als meine Freunde auch begannen, Metal zu hören, und ich mir nicht alles selbst erarbeiten musste. Meine Eltern legten auch ein Wort für mich ein, als wir mit einer meiner ersten Bands einen kostenlosen Proberaum suchten und es wurde dann der Keller der Jungen Gemeinde in der Nachbarkirche. (Der war übrigens eine absolute Tortur, wir mussten sämtliches Equipment, auch das Schlagzeug, zu jeder Probe erstmal von Zuhause hertragen, fahren ging nicht, wir waren alle minderjährig. Wir wohnten zwar alle in der Gegend, aber das war nervig genug, zumindest der Hinweg. Beim Rückweg waren wir immer stinkbesoffen, da war dann alles wurscht, ging aber auch einiges kaputt dabei. Später haben wir im vierten Stock eines ganz normalen Wohnhauses in der Eisenbahnstraße geprobt, an heißen Sommertagen mit offenem Fenster, was gelegentlich die Nachbarn und in der Folge die Polizei auf den Plan rief, insbesondere bei den Sonntagsproben.)
Nur zu einem Besuch eines Konzerts meiner eigenen in den 90ern/ooern bespielten Bands (Thrash/Black/Groove, alles lokal und mini, nix Bekanntes) haben sie sich nie durchraffen können, was ich ihnen auch lange nachgetragen habe.
Ich hatte nie den Bedarf, mich mit meiner Musikwahl von meinem Elternhaus abzugrenzen, die Theorie mit der Abgrenzung innerhalb der eigenen Altersgruppe haut aber hin. Bei mir - und später, als ich meine Freunde soweit hatte, bei uns - waren das "die Hip-Hopper" in ihren Baggy Pants, den Ghetto-Blastern und der Rumrotzerei auf dem Schulhof. Als ich mir von meinen Ersparnissen 1999 meine erste Metal-Klamotte, einen Pulli von Seven Witches (Massacre, klaro), gekauft habe und damit das erste Mal öffentlich herumspazierte, war das schon ein bedeutsames Erlebnis, an das ich mich bis heute erinnere.