A-01:
Chrome – Isolation [Red Exposure | 1980]
Ein Mixtape in Zeiten des Lockdowns mit einem Lied namens "Isolation" zu beginnen, ist nun wahrlich nichts, worauf man stolz sein kann. Immerhin konnte ich der Versuchung widerstehen, die gleichnamige Joy Division-Nummer zu verbraten. Umso erleichterter bin ich, dass
@zopilote diesen plumpen Intro-Versuch noch mit dem Prädikat "subtil" versehen hat. Beabsichtigt hatte ich hiermit das Heraufbeschwören einer standbildartigen Grundstimmung, von der aus sich alles weitere entwickelt und verästelt.
Auf Chrome bin ich vor etwa einem Jahr gestoßen. Meine Faszination für die klassische Creed / Edge-Phase nimmt seither bei jeder Auseinandersetzung mit dem Schaffen dieser beiden Garagen-Aliens, die an ihre Haut nur radioaktives Wasser und LSD lassen, weiter zu. Vielleicht raffe ich mich irgendwann mal auf und eröffne einen Bandthread zu den zwei Avant-Chaoten.
A-02:
Der KFC – Wie lange noch? [Letzte Hoffnung | 1981]
Tja: "Wie lange noch?" Das wird man ja wohl noch fragen dürfen. Wobei wir es hier mit scheinbar völlig gleichgültigen Protagonisten zu tun haben, die eigentlich gar keine Pandemie benötigen, um Ungeduld mit Apathie zu vermengen. Proto-Corona-Punk sozusagen.
Und nun muss ich gestehen, dass ich abgesehen von den beiden Beiträgen zum
Verschwende Deine Jugend-Sampler nichts vom KFC kenne. Das entsprechende Album hatte ich schon ein paar Mal im Discogs-Einkaufskorb und habe dann doch wieder versäumt, Nägel mit Köpfen zu machen. Ach, irgendwann…
A-03:
Gang Of Four – At Home He's A Tourist [Entertainment! | 1979]
"At home he feels like a tourist. He fills his head with culture. He gives himself an ulcer." Das mag vielleicht dem ein oder anderen bekannt vorkommen. Neben der textlichen Komponente hat es der Song aber vor allem aufgrund seiner - so gerade noch unter Kontrolle gehaltenen - inneren Unruhe auf's Tape geschafft. Insbesondere die Tourette-artigen Gitarrenzuckungen, die den Song schließlich komplett zerficken (Verzeihung), sind hier der Sache zuträglich. "Two steps forward / Six steps back" - woll'n wir's mal nicht hoffen, nicht wahr?
Die Gang brilliert jedenfalls mit stark rhythmus-orientiertem (Post-)Punk, der einige Elemente aus dem Funk übernimmt und mit ätzender Gesellschaftskritik anreichert (was vermutlich die "Feuilleton-Vibes" erklärt, die
@zopilote hier wahrnimmt). Zunächst wollte ich eigentlich einen Song aus dem etwas gemäßigteren zweiten Album
Solid Gold der Briten auswählen, weil darauf die Angespanntheit noch etwas deutlicher zu spüren ist. Letztlich war dann der Songtitel ausschlaggebend. Dass die Red Hot Chili Peppers die Band immer wieder als Vorbild nennen, ist zwar betrüblich, sollte man Gang Of Four aber nicht anlasten.
A-04:
John Martyn – Solid Air [Solid Air | 1973]
Das zugehörige Album stand Pate für das Sampler-Cover, auf dem die besungene feste Luft abgebildet ist. Hier wird der Stillstand geradezu greifbar und man möchte spontan die Fenster zum Lüften aufreißen. John Martyn hat den Song für / über seinen Freund Nick Drake geschrieben, der sich damals von Depressionen geplagt in seine häusliche Umgebung und vor allem in sich selbst zurückgezogen hatte. Ein Durchdringen zu ihm war kaum mehr möglich. Bekanntermaßen nahm das kein gutes Ende. "I know you. I love you. And I can be your friend. I can follow you anywhere. Even through solid air."
Solid Air ist dann auch die einzige Platte, die ich von John Martyn kenne. Die Musik hat
@zopilote ja bereits vorzüglich umschrieben. Das ist jedenfalls eines meiner bevorzugten Alben, wenn Musik zum Runterfahren von Geist und Seele gefragt ist. Da macht es auch nichts, dass Martyn ein Lied über eine Biskuitrolle hier reingemogelt hat.
A-05:
Dackelblut – Sergé Bailmann [Fluten und Tauchen | 1997]
Den Dunst vom vorherigen Track noch vor Augen, fragt uns Jensen folgerichtig: "Verdammt noch mal – wann reißt es endlich auf? Seit drei Stunden hängt er blöde jetzt im Nebel rum." Auch wenn es in weiten Teilen um die Mühen eines Nordseefischers geht, ist am Ende klar, dass die Frage auch in Bezug auf das eigene Leben gestellt werden muss. Disclaimer: Die Textzeile "Sie kommen aus China. Sie kommen von überall." bitte ich ausdrücklich als zufälligen Beifang (...) ohne jegliche Schuldzuweisung zu verstehen…!
Zu meinem persönlichen Stellenwert dieses Albums wurde hier ja schon alles gesagt. Vielleicht kann ich noch ergänzen, dass die Vinyl-only-Veröffentlichungspolitik von Dackelblut für mich der letzte Anstoß war, um mir Mitte der 2000er dann auch mal einen Plattenspieler zuzulegen. Oma Hans waren mir seinerzeit schon ein Begriff. Aber die Beschreibungen zu Dackelblut versprachen die Existenz einer noch mächtigeren Band. Und genauso war es dann auch.
A-06:
JDH – Bademantel [Staub | 2018]
Klar, das
Stranger Things-Sample gibt zunächst ein ziemlich eindeutiges Setting vor. Aber: "Da ist Leben in den Wänden. Etwas greift dir durch die Mauern an die Kehle mit den Händen." Das weckt dann doch eher Erinnerungen an Polanskis
Ekel und qualifiziert den Song somit für dieses Tape. Der Titeltrack oder auch "Acedia" hätten hier ebenfalls eine gute Figur gemacht. Mir stand der Sinn aber mehr nach verwesendem Hasen.
Da ich praktisch keine Ahnung von Hip-Hop habe, halte ich mich hier mit einer tiefergehenden Einordnung mal besser zurück. Müsste ich einen Promosticker mit entsprechendem Alleinstellungsmerkmal für dieses Album entwerfen, würde auf diesem wohl stehen: "Texte super. Musik aber auch."
@1984: Gerade nochmal nachgeschaut: Mensch, der Klick-Counter bei youtube von "Schland" hat ja schon die magische Grenze von 700 überschritten…! Da ich schon länger nicht mehr nachgefragt habe: Karrieretechnisch geht’s jetzt aber so richtig ab bei den Jungs, oder? Bum Bum!
A-07:
Charles Mingus – Solo Dancer [The Black Saint And The Sinner Lady | 1963]
Wenn schon die imaginären Hände nach einem greifen, warum nicht beherzt zupacken und eine heiße Sohle auf's Parkett legen? Der heimliche Verehrer steht derweil mit tief ins Gesicht gezogenen Hut auf dem Bordstein einer verregneten New Yorker Seitenstraße und betrachtet wehmütig die sich durch das heruntergezogene Rollo bewegenden Schattenrisse.
Da ich praktisch keine Ahnung von Jazz habe, … Na, ein bisschen vielleicht. Aber das ist hier keine Voraussetzung, um einen Zugang zur Musik zu finden. Denn vieles macht einen (im durchaus klassischen Sinne) auskomponierten Eindruck und nur wenig wirkt improvisiert. Trotzdem ist das eine ziemlich lebhafte, ausdrucksstarke Angelegenheit, die man idealerweise am offenen Fenster in einer drückend-schwülen Sommernacht genießt.
A-08:
The Smiths – How Soon Is Now? [Hatful Of Hollow | 1984]
Jagut, ist selbsterklärend, nech? Ich habe mich extra für die längere Version entschieden, um die Warterei noch etwas nervenzehrender zu gestalten (*diabolisch lach*).
Morrissey tut ja seit geraumer Zeit alles, um einen davon abzuhalten, die alten Kamellen mal wieder aufzulegen. Wenn ich mich dann aber doch mal dazu überwinden kann, singe ich sofort wieder alles lauthals mit und wundere mich regelmäßig, wie Johnny Marr so manch einzigartigen Gitarrensound im Studio zusammengedengelt hat. Achja: So genau möchte man wahrscheinlich auch gar nicht wissen, was Morrissey zu dieser ganzen Corona-Geschichte zu sagen hat - bestenfalls womöglich: "Meet Is Murder". Smiley.
A-09:
Team Dresch – Fagetarian and Dyke [Personal Best | 1995]
Hier haben wir es mit einem faulen Ei zu tun. Denn der Song hat mit dem intendierten Überbau dieses Samplers rein gar nichts zu tun und verdient seine Berücksichtigung im Prinzip nur, weil es kein passenderes Bindeglied zwischen den Schmitzens ("I spent the last ten days of my life ripping off the Smiths.") und Tocotronic ("Die Sache mit der Team Dresch Platte") geben kann.
Also kurz zu Team Dresch: Hier finde ich es ein klein wenig schade, dass die gängigen Genre-Tags (Queercore, Riot Grrrl) sich aus außer-musikalischen Sphären ableiten und damit die Qualität der Musik (nämlich zorniger Punk und lärmiger Indie-Rock, der - wie in diesem Track - auch eine Portion wuchtige Heaviness beinhalten kann) für meinen Geschmack etwas zu sehr in den Hintergrund drängen.
A-10:
Tocotronic – Sag alles ab! [Kapitulation | 2007]
"Sag alles ab. Geh einfach weg. Halt die Maschine an und frag nicht nach dem Zweck." Alles paletti also. Leider erfahren wir im weiteren Verlauf auch, dass wir nie wieder in die Schule gehen müssen. Das ist wohl positiv gemeint - ich bin dagegen immer sehr gerne zur Schule gegangen, so dass das für mich die eigentliche traurige Botschaft dieses Songs darstellt. :-(
Ich erwähnte es an anderer Stelle schon einmal, aber wenn man sich
Kapitulation in diesen Zeiten anhört, ist es wirklich verblüffend, wie sehr fast jeder Song ein Kommentar zum aktuellen Stand der Dinge zu sein scheint. Je mehr ich darüber nachdenke, umso fester gelange ich zur Überzeugung, dass das Killervirus nicht wie landläufig berichtet von Bill Gates in die Welt gesetzt wurde, sondern das Labor des Grauens vielmehr in einer Hamburger Schule zu finden sein muss…!
A-11:
Fugazi – Waiting Room [Fugazi EP | 1988]
Tja, nun sitzen wir da so im Wartezimmer. Und warten. Und warten. Und warten. Auf dies und auf das. Zum Beispiel auf eine Fugazi-Reunion.
Eine klassische Zwischen-den-Stühlen-Band, die ich irgendwie viel zu selten höre. Wenn ich die Platten mal herauskrame, bevorzuge ich die spröderen Sachen aus der späten Bandphase. Das letzte Album
The Argument dürfte daher mein Favorit sein. Insofern hätte es mich schon sehr interessiert, wo die weitere Reise der Band danach hingegangen wäre.
Soweit erstmal zur A-Seite. Später mehr.