Nochmal ich. Auch wenn es wahrscheinlich niemand mehr hören mag, ein paar Worte zu den beiden letzten IQ-Alben. Wieder einmal nehme ich die "Frequency" als Aufhänger. Irgendwo im Netz, ich glaube, in einem engl.sprachigen Forum, hat jemand geschrieben, die Keyboard-Sounds auf "Frequency" seien allererste Sahne. Der Typ hat recht, das sind sie. Und zwar leider im Gegensatz zu denen, die wir auf "Road Of Bones" und "Resistance" hören.
Mike Holmes arbeitet akribisch an seiner Musik - allerdings seit etlichen Jahren vorwiegend am Rechner. Er nutzt Kompositionsprogramme, mit denen er alle Instrumente, die bei IQ auftauchen, modellieren kann. Sogar seine Gitarren, die beim Schreiben am Rechner neben ihm stehen. Diese Programme schaffen das teilweise so "gut", daß manche Instrumental-Spuren dann sogar auf dem fertigen Mix aus dem Computer stammen und nicht von physischen Geräten, die mit real aufweisbaren Schwingungen arbeiten. Das stört mich.
Die beiden mit Abstand besten Songs der beiden jüngsten IQ-Alben sind für mich die jeweils letzten Songs der jeweils ersten Discs, "Until the end" und "For another lifetime". Das sind beides absolute Großtaten und beide tauchen bei mir mit Sicherheit in einer Top10 der Band auf. Sie sind sehr progressiv, schrecken dabei sogar nicht vor befremdlichen Klangclustern zurück (welche Mainstream-Hörer gewiß erstmal abschrecken), haben allerdings genauso viele wundervolle Melodien, die total in die Tiefe gehen. Dafür liebe ich diese beiden Songs sehr. Ich habe immer wieder Tränen in den Augen, wenn ich den dritten Teil von "Until the end" höre (der Songs ist in vier fast genau gleichlange Parts aufgeteilt, jeweils ca. drei Minuten, der dritte ist derjenige von "Stand down your defences" bis "Bring you back home", also BEVOR das Piano allein einsetzt). Bei "For another lifetime" geht mir das ganz genauso, es gibt hier sogar noch mehr musikalische Passagen, bei denen man innerlich auf die Knie geht.
Aber der Sound ist leider auf beiden Platten nicht sonderlich natürlich. Beide Alben (ROF und RES) leiden an extremer Kompression. Wer sich das anschaulich machen möchte, höre noch einmal den Song "Road of bones". Die Stelle im sorgfältigen Spannungsaufbau, in der geheadbangt werden kann, wo also alle beteiligten Instrumente in die Vollen gehen und viel lauter werden, wird... als ganzes... nicht lauter. Leider. Nur rummsiger, verwaschener, konturloser und matschiger. Und sogar von den Lautstärkespitzen noch zurückgenommener, einfach weil man die durchschnittliche Lautstärke angehoben hat und die Spitzen dafür runterfahren mußte. Man hört das ganz exakt heraus, es müßte eigentlich jedem von Euch auch schon aufgefallen sein (die Stelle kommt bei 5:55 im Song).
Das ist... schade. Sehr schade, denn die Musik ist exzellent. Ich glaube, Mr. Mike Holmes tut sich keinen Gefallen damit, alles und jedes aus dem IQ-Katalog selbst zu mischen. Der Mann ist keine zwanzig mehr und sein Gehör wird nicht das allerbeste sein. Holmes hat einige IQ-Alben in den neuen Mixes durch extreme Kompression (sive Loudness War) regelrecht hingerichtet. "Ever" ist in der Jubiläumsbox von 2018 absolut ungenießbar. "The Wake" im 2010er Remaster eine Einladung für Schwindelempfiundungen und Übelkeit, hervorgerufen durch Terror des auditorischen Cortex. Und das betrifft besonders auch "Resistance". Holmes täte gut daran, bei einem evtl. neuen Album in viereinhalb Jahren oder einer weiteren Überarbeitung des Band-Katalogs einen professionellen Audio Engineer mit der Aufgabe zu betreuen.
Was mich bei "For another lifetime" zusätzlich noch stört (jetzt komme ich wieder zurück zum Anfang meines Sermons), sind eben die Instrumentenstimmen aus dem Rechner. Warum? Warum investiert man zweieinhalb Jahre Zeit und Kraft und Kreativität in neue Musik, um sie dann klingen zu lassen, als sei sie einer Sardinenbüchse entsprungen? Das Theremin - ist kein echtes Theremin. Die Orgel - keine reale Orgel. Die Frauenstimmen kommen nicht von anwesenden Menschen und selbst das Klavier ist eigentlich ein Keyboard. Ich finde das betrüblich.
Wenn man Zeit und Geld in eine Produktion steckt, warum kann man dann nicht eine Thereminspielerin einfliegen lassen, die mal eben ihren Part in physischen Schwingungen im Raum lebendig werden läßt? Selbst bei einem elektronischen Instrument wie dem Theremin klingt das bedeutend besser, weil ein Mikrophon den Raum aufgezeichnet hat, und das ist für das menschliche Ohr etwas vollkommen anderes, als wenn man vorgefertigte Sounds, die natürlich ebenfalls extremer Kompression unterliegen, von Speicherplätzen abruft.
Und es gibt so tolle Thereminspielerinnen. Die kosten nicht die Welt, die wollen keine abnormalen "Gagen". Die wollen nur Musik machen und sind dankbar über jeden Auftrag, der ihnen das professionelle Spiel ihres Instruments weiter gestattet. Die Frauenchorstimmen - herrje, ja wenn man keine echten einspielt, wearum läßt man´s dann nicht einfach bleiben? So wie auf "Frequency", da gibt es nur total sporadisch Frauenchöre aus der Dose, ansonsten gibt es das, was Keyboards halt am besten können: Genuine Keyboardsounds. Und die sind auf "Frequency" saugeil.
Diese ganze Philosophie, daß man alle Klänge, die man braucht, aus einem Kasten haben kann, die finde ich bei IQ wirklich nicht besonders hilfreich. Mir zumindest hilft das alles nicht, ihre Musik als organisches, natürliches Klangangebot zu decodieren. Über mir werden stattdessen breiige Bombastbomben abgeworfen, denen ich nicht selten eher ausweichen möchte, als sie lustvoll um mich herum zerplatzen zu lassen (was ja wohl die Intention gewesen sein wird).
Mike Holmes ist für mich eines der größten Songwritinggenies unserer Zeit. Aber er ist momentan nicht auf der richtigen Fährte. Seine Ideen gehen in der billigen Produktion eher unter, als daß sie sich entfalten könnten. Ich glaube, das ist mit ein Grund, warum auch hier im Thread schon einige meinten, live würden die Songs für sie besser funktionieren als auf der Konserve.