100. PROCOL HARUM - Shine On Brightly (1968)
Ich habe oft überlegt, welches Album ich als das erste "richtige" Progressive Rock-Album der Musikgeschichte ansehe und
"Days Of Future Past" (1967) von THE MOODY BLUES fällt dabei knapp raus, da vor allem die A-Seite trotz einiger Klassik-Elemente teils noch sehr nahe an der Beat-Musik der frühen bzw. mittleren 60er liegt (dennoch ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zum Prog Rock). Auch die frühen Alben von THE MOTHERS OF INVENTION sehe ich noch nicht so richtig als Progressive Rock, auch wenn diese schon eine große stilstische Vielfalt und Komplexität bieten (außerdem bereits 1966 ein Konzeptalbum).
Letzteres trifft auch auf FAMILYs
"Music In A Doll House" (1968) zu. Allerdings haben all diese Alben etwas nicht, was dieses zweite Album von PROCOL HARUM hat: ein überlanges Stück, das mit über 17,5 Minuten fast die gesamte B-Seite ausfüllt!
Es beginnt mit einem atmosphärischen, größtenteils gesprochenen Intro, und wird nach ca. 1:45 Minuten plötzlich dramatisch rockig, nur um dann zu ruhig-melancholischen Klavierklängen wieder zu einem gesprochenen Text zurückzukehren. Glockenschläge leiten dann einen verrückten Part mit Zirkusmusik ein (GENESIS dürften hier auch Inspiration gefunden haben). Darauf folgen Orgelklänge und Gesang, zu denen sich dann auch noch die E-Gitarre gesellt (von der Atmosphäre her werden hier auch schon spätere Genesis-Longtracks vorweggenommen). Ein schräger Gitarrenteil mit bedrohlich wirkenden Orgelklängen leitet dann in einen sich langsam aufbauenden Part über, bei dem die Melodie wieder auftaucht, die wir bereits kurz nach Anfang des Stückes gehört haben. Danach wird es noch einmal langsamer, aber sehr dramatisch, fast soundtrackartig.
Nach kurzer Pause kommt noch ein epischer, erst von Klavier, später mehr von einem Chor getragener Teil, der das Stück abschließt.
Ihr merkt schon, es handelt sich hierbei eher um eine Art Suite, als um einen üblichen Song, aber sowas hat sich in der Prog-Rock-Geschichte ja danach durchaus zu einer Tradition entwickelt (von GENESIS und anderen Bands kennen wir sowas ja auch).
Hier könnt ihr den Longtrack hören:
https://www.youtube.com/watch?v=SmGaDL-mcs4
Die A-Seite ist konventioneller aufgebaut, mit kürzeren Stücken in der Tradition des Debütalbums (die meisten hier sollten davon den Song
"A Whiter Shade Of Pale" kennen). Aber mit
"Skip Softly (My Moonbeams)" gibt es auch noch einen trotz seiner nicht einmal 4 Minuten Spieldauer sehr unkonventionell aufgebauten Song, der einen mit verschiedenen Taktarten und Geschwindigkeiten durch ganz verschiedene Stimmungen führt. Auch der Mittelteil von
"Ramblin' On" (sowie die gelegentlichen, leichten Klassik-Einflüsse in anderen Stücken der A-Seite) klingt schon sehr nach 70er Progressive Rock.
Ich glaube wirklich, dass der Einfluss dieses Albums vor allem auf GENESIS nicht überschätzt werden kann, auch wenn ich nichts diesbezüglich gelesen habe (kenne aber auch kaum Interviews von der Band).
Die nächsten Reviews werde ich dann in Dreier-Schritten veröffentlichen (evtl. die ersten drei Plätze wieder einzeln), aber das wird jetzt erst einmal länger dauern...