Sentinels Reviews 2020

Stevie Nicks - Live In Concert: The 24 Karat Gold Tour
VÖ: 30.10.2020

Teil 1/3

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„Der Sentinel schreibt doch immer, er reviewt kein Album, das er nicht minimum zehn bis 15 Mal gehört hat – und dann kommt eine Besprechung zu einer erst gestern erschienenen Platte – verstößt er also gegen seine eigenen Regeln oder ist er wieder Rezensent auf einer Online-Plattform und erhält vorab Promos, hat das Ding also bereits länger?“ Dazu: ja, ich verstoße einmalig gegen meine eigenen Regeln – eine Erläuterung folgt sogleich – und nein: ich habe das Album auch erst seit gestern, also: Reviews von mir gibt es nur hier im Forum. Sowieso, dieses „Alben schon Wochen oder Monate vorher haben“ macht ja auch nicht glücklicher und ich vermisse es in keinerlei Hinsicht. (Wohl aber vermisse ich XXL-Rock als Online-Präsenz, doch das ist ein anderes Thema.)

Es ist hier im Forum kein Geheimnis, dass es sich bei Fleetwood Mac um meine absolute Lieblingsband handelt – und die profane Bezeichnung „absolute Lieblingsband“ wird dem tatsächlichen Status in meinem Leben und Herzen sogar kaum gerecht. Ich finde jeden Teil meiner eigenen Persönlichkeit in dieser Band gespiegelt: in ihrer Geschichte mit all den unfassbaren Irrungen und Wirrungen, ihren Dramen, ihren Widersprüchlichkeiten, Brüchen, Kämpfen, dem Herzschmerz, ganz großer Liebe und ganz großer Hassliebe, Affären, sexuellen Eskapaden noch und nöcher, Co-Abhängigkeit, gebrochenen Herzen, verletzten Egos, Machtmissbrauch, megalomanischer Selbstzerstörung, Kokain und Alkohol, Sucht und Entzug, nicht genutzten Chancen, das Erleben des „top of the world“-Zustands sowie anschließend auch des gaaanz tiefen Falls nach unten... Ich könnte noch lange weiter aufzählen. Doch dies alleine wäre natürlich nicht ausreichend, fände ich mich selbst nicht neben dem komplett emotionalen Andocken an den „Mythos Fleetwood Mac“ auch noch allumfänglich in jeder einzelnen Musiknote sowie jedem einzelnen Text wieder.

Komplett schrecklich war und ist bis heute der Rauswurf von Gitarrist Lindsey Buckingham vor drei Jahren, welcher die echten Hardcore-Fleetwood Mac-Fans fast ausnahmslos in zwei verfeindete Lager aufgespalten und im Pro-Lindsey-Lager einen tollwütig-fanatischen Hass gegen Stevie Nicks erzeugt hat – eine perfekt dokumentierte Werkschau zum Thema: „Wie Gemeinschaften im digitalen Zeitalter in einem Zustand völliger Selbstzerfleischung vor die Hunde gehen“ - alles, was hier im Deaf Forever-Universum passiert ist, ist harmlos dagegen (traurig, aber wahr) – nachlesbar etwa im „The Ledge“-Forum, wo enorm viele User seitdem nur noch blankes Vitriol über Stevie Nicks und Mick Fleetwood sowie deren Forums-Fürsprecher ergießen.

Ich gehöre zu keiner der zwei Extrem-Gruppierungen, aus reinem Selbstschutz – denn ich kann nicht zulassen, dass meine Liebe zu dieser Band implodiert. Dennoch ist auch mein Verhältnis zur Band und Stevie seitdem nicht mehr das Gleiche. Weder Stevie Nicks noch Lindsey Buckingham sind innerhalb der klassischen „Rumours“-Besetzung ersetzbar. Ich verstehe Stevie; das Verhältnis zwischen ihr und Lindsey ist seit ihrer Trennung in den Siebzigern geprägt von hochtoxischen Ausbrüchen, irgendwann will man dann einfach nicht mehr – soweit okay. Aber ich liebe und verehre auch Lindsey – als Teil der Band sowie auch solo. Und außerdem: diese Band und ihr Vermächtnis sind weit größer als die Summe ihrer Teile – auch, wenn für mich jeder dieser „Teile“ immer noch größer ist als alles andere der kompletten Musikwelt – das Vermächtnis; es ist schwer beschädigt. Nicht für den „casual fan“, welchem eh egal ist, wer da außer Stevie Nicks mit auf der Bühne steht... Aber für die echten Fans ist dies ein seit Jahren schwelendes und wohl nicht wirklich überwindbares Trauma, Tag für Tag immer wieder aufs Neue in Grabenkämpfen zwischen den Lagern ausgefochten. Ich nehme daran nicht aktiv teil, bin lange schon nur noch passiver Mitleser dieser Foren, doch ebenfalls längst nicht in einem Zustand des inneren Friedens mit dem Zustand „meiner“ Band. Sollte es doch irgendwann noch einmal eine Versöhnung samt letzter Tour geben – dann passt im jetzt hypothetisch angestellten Rückblick alles und ergibt Sinn im immerwährenden Drama dieser Band, nur leider: die Zeit arbeitet gegen Fleetwood Mac.

Stevie Nicks IST allerspätestens im vergangenen Jahrzehnt ganz endgültig und unumkehrbar der (in finanzieller „big machine“-Hinsicht) komplett unentbehrliche Teil von Fleetwood Mac geworden, welcher den Großteil der Ticketverkäufe innerhalb der breiten Masse der Konzertgänger generiert: dieses komplette „power-switching“ im Gesamtbandgefüge geschah insbesondere auch durch den Megaerfolg dieser hier als Livedokument besprochenen Solo-Tour sowie ihrer Aufnahme als Solokünstlerin in die Rock 'N Roll Hall Of Fame, welche sie zur ersten und bislang einzigen wiederholt dort vertretenen Frau gemacht hat. Ebenfalls enorm wichtig war zudem ihre Fähigkeit, im Lichte der medialen Aufmerksamkeit präsent zu bleiben (man denke nur an die dritte und achte Staffel von „American Horror Story“ oder ihre medienwirksamen Freundschaften zu jungen Künstlern wie Harry Styles). Zuguterletzt das jahrelange Drama um ein letztes Fleetwood Mac-Album, welches dann aufgrund der Weigerung von Stevie, Songs beizusteuern, nur unter dem Titel „Buckingham McVie“, gänzlich ohne ihr Mitwirken erschienen und folglich kommerziell deutlich unter Wert gelaufen ist - spätestens da war die Machtumkehr besiegelt.

Dies macht sie (leider) zur unumstößlichen Herrscherin im Bandkosmos; ihr Wort ist Gesetz. Lindsey schneidet live bei MusiCares 2018 hinter ihrem Rücken Grimassen, während sie eine Rede hält? Letzter Tropfen auf dem heißen Stein: er muss weg, gekündigt noch nicht mal durch die Band selbst, sondern durch einen Anruf von Irving Azoff. Anschließend das mediale Verbreiten von Lügen über die zugrundeliegenden Umstände des Splits insbesondere durch Stevie und Mick, welche mittlerweile durch etliche Interviews als aufgedeckt und entlarvt erscheinen müssen.

Wäre die Band 20 bis 30 Jahre jünger, dann wäre nichts davon tragisch: das zwischenmenschliche Drama gehört unumstößlich zu Fleetwood Mac und wenn ich persönlich ein Teil der Band wäre, dann wäre sicherlich auch keine Änderung im Ablauf der vergangenen Dinge eingetreten. Doch leider sind sämtliche Bandmitglieder längst in ihren Siebzigern, und dies macht die Geschehnisse der letzten drei Jahre ganz bedrohlich: auf eine Versöhnung samt damit einhergehender Tour zu hoffen, ist dadurch enorm unwahrscheinlich. Natürlich hoffe ich darauf... Als unverbesserlicher Fan habe ich vor zwei Jahren natürlich trotz Grummeln im Bauch die spöttisch als „Fakewood Mac“ betitelte Tour mit Mike Campbell und Neil Finn gesehen, aber als letztes Fleetwood Mac-Konzert meines Lebens empfände ich es als dieser Band und meiner Liebe zu ihr einfach unwürdig.

(Obwohl es – und das muss ich einfach gestehen – wundervoll war, den Crowded House-Klassiker „Don't Dream It's Over“ live mit Fleetwood Mac erleben zu dürfen! Nicht wundervoll war demgegenüber, dass es das einzige Fleetwood Mac-Konzert meines Lebens war, bei dem Mick am Ende nicht: „The Maaaac... Will be Back!“ gerufen hat, was ich als katastrophales Zeichen gewertet und folglich schockiert das Berliner Waldstadion verlassen habe – ich habe die Band seit 2009 auf jeder Tour mehrfach gesehen und IMMER war dies das Ende jedes Konzerts.)

Bla Bla Bla... Sorry, ich labere hier gerade ohne Punkt und Komma und es hat nur am Rande etwas mit diesem Live-Album zu tun.

Also nun zur hier relevanten „24 Karat Gold“-Stevie-Nicks-Solo-Tour: es war mir seinerzeit terminlich unmöglich, auch nur zu einem einzigen Gig dafür in die USA zu fliegen, und dieser Fakt hat mich belastet und innerlich regelrecht zerrissen. Ich habe damals sogar erwogen, meinen Job dafür aufs Spiel zu setzen, mich letztlich aber dagegen entschieden – von irgendwas muss ich ja leben... Ich sollte dazu erwähnen, dass Stevie Nicks zuletzt Ende der Achziger in Deutschland aufgetreten ist und bis auf ein paar wenige Konzerte in London solo seither nie mehr in Europa zu Gast war. Für mich war also klar: ich werde Stevie nie solo erleben dürfen.
 
Stevie Nicks - Live In Concert: The 24 Karat Gold Tour
VÖ: 30.10.2020

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Teil 2/3

So, und nun könnt ihr euch vorstellen, was dann hier im Hause Sentinel los war, als EIN zusätzlicher Termin dieser Tour in London, im Hyde Park, angekündigt wurde: ich bin ausgeflippt! Damals war die Welt schließlich auch noch heil – der Rauswurf von Lindsey Buckingham bei Fleetwood Mac hatte noch nicht stattgefunden. Ich war völlig aus dem Häuschen, zumal der Termin auch noch genau in meinen damaligen Sommerurlaub fiel. Sofort kaufte ich mir ein Ticket für ganz vorne vor der Bühne, orderte die Flüge und baute mir noch einen kompletten England-Urlaub von zweieinhalb Wochen Länge drum herum (eine halbe Woche London und im Anschluss daran zwei Wochen mit einem Mietwagen durch Devon und Cornwall).

Ich stand noch nie in meinem Leben so lange an wie an diesem Tag im Hyde Park (nun gut, meistens sitzt man ja doch eher – wenn auch mit Unterbrechungen – an). Dazu muss ich erwähnen, dass ich es zwar gewohnt bin, stundenlang vor Einlass zu warten – meine liebsten Konzerte sind nämlich die meiner Megastars, welche mich mein Leben lang begleiten; und das sind genau diese Tourneen, die hier im Forum überwiegend verabscheut werden, welche nur durch zigtausender Venues führen und für welche man hunderte oder teilweise sogar tausende von Euro pro Karte zahlen muss. Ich aber will diese Menschen sehen, ich will sie außerdem noch mit direktem Augen- und Blickkontakt erleben und vor allem auch möchte ich keine Wichser vor mir stehen haben, welche ihre beschissenen Smartphones in die Luft halten. Also MUSS ich bei jedem dieser Konzerte immer in der ersten Reihe stehen – auch schon wegen der Entlastung meines Rückens etc. durch das Abstützenkönnen auf dem Absperrungsgitter. Etwas anderes kommt für mich überhaupt nicht in Betracht und dafür erbringe ich dann auch gerne sämtliche erforderlichen Opfer. Jedoch: normalerweise reicht es, wenn man ab 15 Uhr vor den Hallen und Arenen ansteht. Ich gehe ja nicht auf Teenie-Konzerte, wo die Kids bereits Tage vorher vor dem Eingang zelten. HIER war das jedoch tatsächlich anders, und ich ahnte es bereits im Vorfeld. Ich meine, dass ich das Hotel um 9 Uhr morgens verlassen habe; fußläufig waren es höchstens 20 Minuten, bis ich vor dem Ticketschalter stand (ja, obwohl ich es sofort online gekauft hatte, musste ich es als „EU-Ausländer“ gegen Vorzeigen meines Ausweises sowie der Kaufbestatigung morgens im Hyde Park abholen – ihr könnt euch nicht vorstellen, WAS FÜR EINE ANGST ich hatte, dass etwas schiefgelaufen sein könnte und da dann kein Ticket für mich bereit liegt und ich ergo nicht auf das Konzertgelände komme...). Der Ticketschalter öffnete um 11 Uhr (glaube ich zumindest – und ihr seht: schon dort stand ich deutlich vor der erfolgten Öffnung an...) und danach hieß es: zum richtigen Eingang rennen, welcher natürlich auch wieder ein gutes Stück entfernt war. Und ich weiß es noch wie heute, dass ich am liebsten losgeschrien hätte, denn ich war dann höchstens Nummer 20 in der Schlange für den vorderen Bereich – natürlich war damit klar, dass ich trotzdem in Reihe 1 stehen würde, aber eben nicht exakt in der Mitte, was selbstredend mein absoluter Herzenswunsch gewesen war – also ganz genau vor Stevie. Und das alles nur wegen diesem beschissenen Dreck mit dem Ticket, welches mir nicht per Post zugestellt worden war, sondern erst am Schalter abgeholt werden musste, während Engländer, die ihre Tickets natürlich vorher bereits erhalten hatten, bereits am echten Einlass anstehen konnten! Das war so unfair und einfach nur scheiße...

Im Endeffekt war ich dann vorne rechts, aber nicht zu weit rechts, noch nahe genug – doch was heißt schon „nahe genug“ - denn ich habe tatsächlich noch nie einen so breiten Pressegraben wie an diesem Tag erlebt, was etwas ärgerlich war. Aber ich will nicht schimpfen; ich war vorne – und es war schlicht wundervoll. Es war eines der besten und schönsten und wichtigsten Konzerte meines gesamten Lebens und lediglich mein erstes Fleetwood Mac-Konzert überhaupt – 2009 in der Wembley Arena in London auf der „Unleashed“-Tour – ist mir noch wichtiger (obwohl damals Christine McVie natürlich gefehlt hat – zum Glück durfte ich nach ihrer Rückkehr Mitte der 2010er die Band mehrfach im „Five Fireflies“-Komplettzustand erleben).

Es gab mehrere Vorbands im Hyde Park, ich weiß gar nicht mehr, wer alles – die Lumineers waren auf jeden Fall mit dabei, und ich fand sie genau so furchtbar, wie dieser eine „Hey! Ho!“-Hit, den die zu Beginn der 2010er mal hatten, bereits erahnen ließ. Es gab jedoch auch einen Voract, welchen ich gut fand – ich sollte das irgendwann mal im Internet raussuchen. Stevie Nicks war nur Co-Headliner, danach trat Tom Petty auf – und wie die Zeit leider gezeigt hat, war es der letzte europäische Auftritt vor seinem Tod wenige Monate danach.

Ich hatte damals Sorge, dass Stevie eine deutlich reduzierte Setlist im Vergleich zum US-Leg der Tour bringen würde, da sie eben nicht Headliner war – doch nein, zum Glück, was für ein Segen! - fast alles war da: das mit Gold nicht aufwiegbare Medley aus „Bella Donna“ und „The Wild Heart“, „Crying In The Night“ vom wunderbaren „Buckingham Nicks“-Album (1973) [durch welches Mick Fleetwood initial auf Lindsey als möglichen neuen Gitarristen aufmerksam geworden war, woraufhin Lindsey forderte: „Mich gibt es für Fleetwood Mac nur, wenn ihr mich im Doppelpack mit Stevie nehmt!“], „Moonlight“ - welches mein persönlicher Höhepunkt des Abends war, „If Anyone Falls“ - einer meiner liebsten Synth-Songs überhaupt, „Gold And Braid“ - ein Song, den ich vorher gar nicht mal soooo sehr geliebt habe (er ging für mich im direkten Vergleich zu den anderen Raritäten auf Disc 3 des „Enchanted“-Box Sets von 1998 immer etwas unter), welchen ich aber spätestens seit der „Vorbereitung“ auf dieses Konzert ebenfalls unumstößlich verehre, „Enchanted“ - ein Lied, welches in seiner Positivität überhaupt nicht vollkommener denkbar wäre, da schlicht perfekt, „Edge Of Seventeen“ - den kennen wohl auch hier viele und dazu muss ich wohl nichts schreiben, Magie pur! – nichts davon hätte bzw. habe ich jemals auf einem Fleetwood Mac-Konzert erlebt, und ich bin SO dankbar, dass ich all das unmittelbar erleben und erspüren durfte. Tatsächlich eines der ganz wenigen Konzerte in meinem Leben, bei dem ich mir nicht gestattet habe, meine Tränen der Ergriffenheit einfach wegzublinzeln – obwohl sogar noch Tageslicht herrschte und ich mir dergleichen ansonsten vor den Menschen im Publikum um mich herum eigentlich nicht erlaube. Ich hasse das, denn Konzerte – und zwar GERADE diese riesigen Mega-Konzerte (aus den oben erläuterten Gründen) sind für mich nicht weniger als Gottesdienste, durch und durch spirituelle Erlebnisse – da stehen die Menschen, die mehr Teil von mir selbst sind als so gut wie jeder echte Mensch in meinem Leben, weil sie mich emotional viel mehr gepackt und erschüttert haben UND weil sie viel länger schon Teil meines Lebens sind UND weil sie das im Vergleich zu „echten“ Menschen, bei denen man ja nie weiß, wann man wieder verarscht, verstoßen und weggeschmissen wird, auf ewig bleiben werden. Da möchte ich dann vor Ergriffenheit heulen, aber ich mag es einfach nicht, dies vor anderen – auch noch fremden – Menschen zu tun. Da bin ich einfach zu stolz, leider!, denn es ärgert mich immer wieder – nach jedem einzelnen dieser Konzerte. Es ist einfach scheiße, in diesem emotionalen Overkill Emotionen zurückzuhalten, nur, weil einem Hans und Erna links sowie Hinz und Kunz rechts nebenan so auf den Sack gehen.

Und gerade, weil ich mir diesen ergriffenen, aus eben genannten Gründen leider nur fast alle Dämme brechenden Direktkontakt mit den Musikgöttern meiner Welt sowie des reinen, puren Direktkontaktes mit denjenigen Liedern, welche als „Soundtrack meines Lebens“ nur höchst unzulänglich kategorisiert sind, nicht NOCH MEHR von äußeren Störfaktoren beflecken lassen will, hasse ich nichts mehr als mich volllabernde Menschen – bereits in der Warteschlange, aber natürlich insbesondere im Venue dann links und rechts oder auch hinter mir stehend. Ganz selten kann das mal echt toll sein (bei Guns 'N Roses 2018 in Mannheim stand ich neben einem so megasympathischen und super-lieben Typen und dessen ebensolcher Freundin, was mir das Konzert tatsächlich zusätzlich bereichert hat – ich wünschte, wir hätten Nummern ausgetauscht und wären in Kontakt geblieben! – doch sonst mache ich zu oft Negativerfahrungen in dieser Hinsicht. Ganz übel war diesbezüglich ein Ozzy Osbourne-Konzert, wo ich ausnahmslos von Vollidioten umringt viele qualvolle Stunden vor dem Einlass ertragen musste.)
 
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Stevie Nicks - Live In Concert: The 24 Karat Gold Tour
VÖ: 30.10.2020

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Teil 3/3

Am Übelsten finde ich Menschen, die während des Konzertes plötzlich mit mir zu reden beginnen, also während die Band gerade spielt... Zum Einen verstehe ich dann natürlich kaum ein Wort, insbesondere aber gehe ich doch nicht auf Konzerte, um mich mit zufälligen Begegnungen zu unterhalten – ich gehe da VERFICKT noch mal hin, um im Idealfall in einer zwei- bis dreistündigen Symbiose mit meinen Göttern und ihren Liedern zu verschmelzen... Ich will da singen, tanzen, jubeln, klatschen, die Welt um mich herum vergessen – und mich nicht mit Friedel Fridolin von umme Ecke darüber austauschen müssen, welches Album er warum und weshalb besser findet. Mich nervt es auch tierisch, dass die meisten dieser Leute einfach nur raushängen lassen wollen, was sie alles wissen. Oft erzählen die dann jedoch faktischen Unsinn, verwechseln Alben, Titel, Jahre und Namen oder schockieren unvermittelt mit ihrer vorher nicht erkennbaren Liebe zu Rammstein oder Helene Fischer... Ich mag das alles einfach nicht, ich bekomme da die Krise, es ist für mich wie die chinesische Wassertropfenfolter.

Vor kurzem erst hatte hier im Forum jemand geschrieben, dass alle wohl gar nicht glauben würden, wie oft er schon jemanden von hier auf Konzerten gesehen, aber nichts gesagt hat – da musste ich so unglaublich in meinen Bart hineinschmunzeln, denn bei mir ist das ebenso. Die einzige Ausnahme war tatsächlich bei einem Voivod-Konzert 2015 oder 2016 im Schlachthof in Wiesbaden, als ich noch vor Beginn draußen an meinem Bier nuckelnd auf einer Stufe saß und unvermittelt cpoetter vorbei lief – da hat es mich überkommen und ich habe ihn gerufen, aber er hat es nicht gehört – ich war auch bereits einige Zeit am Hin- und Herüberlegen gewesen, ob ich mich überhaupt erkennbar machen will; bis dahin war er natürlich schon ein gutes Stück weg... Ich meine, ihn später noch einmal drinnen mit anderen Forumsleuten gesehen zu haben, aber ab da war ich eh nur noch im Modus „Ab nach vorne und jetzt nur noch Voivod!“. Unglaublich, was ich hier gerade alles zusammenlabere, was überhaupt nichts mehr mit einer normalen Rezension dieses Live-Albums von Stevie zu tun hat.

Zurück in den Hyde Park: okay, auch da musste ich meine Zeit mit schrecklichen Leuten verbringen, abgesehen von einem netten Stevie-Fan aus Südamerika, den ich lustigerweise aus dem „The Ledge“-Forum kannte, was sich aber erst in unserem Gespräch herausgestellt hat. Leider jedoch stand direkt links neben mir eine unfassbar nervige, englische Wuchtbrumme, die später bei Tom Petty unaufhörlich auf und ab gehüpft ist (sie dachte wohl, sie wäre bei Biohazard...) was das Fußteil der Absperrung während des kompletten Konzertes unaufhörlich so zum Beben brachte, dass ich mehrfach kurz davor war, sie grün- und blau zu würgen... Und wie die mir sowieso damals den ganzen Tag lang das Ohr blutig gelabert hatte – das war wirklich nicht mehr feierlich. Noch heute denke ich mit Schrecken an diese Person zurück. Ganz am Schluss hatte sie sogar noch die Frechheit, mich um Geld für ein Taxi bis ganz ans andere Ende von London anzuschnorren. Unfassbar. Noch unfassbarer ist, dass ich ihr tatsächlich 60 oder 70 Pfund gegeben habe – einfach nur, um sie endlich los zu werden. Denn am Ende hätte sie es noch fertig gebracht und mich gefragt, ob sie in meinem Hotelzimmer schlafen darf – und spätestens DANN hätte ich sie wirklich besinnungslos gewürgt, diese dumme Plunz! ;-)

Trotzdem: ich werde nie aufwiegen können, was für ein unbezahlbares Privileg es war, „Stop Draggin' My Heart Around“ - Stevies ersten Solohit von 1981 – im tatsächlichen Duett mit Tom Petty erleben zu dürfen. Ich hätte mir gewünscht – und dies ist das Einzige, was ich diesem Live-Album ankreiden kann! - dass es das Hyde Park-Konzert enthalten würde (was es nicht tut – und man verzeihe mir, dass ich beides in diesem Review konsequent und kopflos miteinander vermenge, aber es ist einfach die gleiche Tour). Tom war einer der engsten Menschen in Stevies Leben – das behaupte ich hier nicht einfach so, sondern dies ist allgemein bekannt und über die Jahrzehnte hinweg ausreichend belegt und dokumentiert – umso trauriger ist es, dass dann nicht der letzte gemeinsame Auftritt der beiden als Vermächtnis dieser Tour veröffentlicht wurde. Vielleicht eines Tages, hoffentlich auch in Kombination mit einer Blu Ray oder DVD? Ich wünsche es mir von ganzem Herzen. Dann wären auch „Dreams“ und „Outside The Rain“ mit an Bord, die hier auf diesem Live-Album leider nicht enthalten sind, in London aber gespielt wurden.

Schade war jedenfalls damals im Hyde Park, dass Tom und Stevie nicht die Chance genutzt und noch mehr ihrer gemeinsamen Songs gespielt haben – zumindest „Insider“ (Tom Petty - „Hard Promises“, 1981) und „I Will Run To You“ (Stevie Nicks - „The Wild Heart“, 1983) hatte ich im Vorfeld (neben dem als 100 % sicher gesetzten „Stop Draggin' My Heart Around“) fest eingerechnet gehabt – leider vergeblich. Ich will jedoch in keinster Weise mäkeln – es war einfach nur alles wundervoll und verzaubert; alleine auch schon diese wundervoll gestaltete Bühne mit den riesigen Bäumen links und rechts am Rand.

Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich außerdem „Gypsy“ - immerhin einer der zehn wichtigsten Songs meines Lebens! – in einer dessen Brillianz endlich Gerechtigkeit widerfahren lassenden Live-Version gehört – bei Fleetwood Mac funktioniert er live leider nie wirklich. Dafür fehlt aber logischerweise einfach die Stimme von Lindsey Buckingham im „Lightning strikes / Maybe once / Maybe twice“-Part. Trotzdem: super und jenseits dieses minimalen Einwandes als Live-Song endlich so himmlisch, wie es ihm gebührt. Lobend erwähnen muss ich außerdem „Belle Fleur“, welcher für mich sowohl als Demo als auch auf dem „24 Karat Gold“-Album eher durchschnittlich ist, live jedoch eine gänzlich andere Dynamik entwickelt und mithin endlich strahlen darf – zumindest auf dieser Platte hier, laut Setlist.com wurde er seinerzeit in London nicht gespielt und ich habe auch keine diesbezügliche Erinnerung in meinem Kopf.

Klar, die Setlist ist perfekt, ganz ehrlich – man hätte sie sich selbst in den wildesten Träumen damals, vor dieser Tour nicht vorstellen können! Die Reaktionen auf den Fanseiten waren seinerzeit wie elektrisiert – und ich war es ebenfalls. Ich bin es noch heute! Was für ein Segen, was für ein unbezahlbares Geschenk! Ich persönlich hätte sie – wie wohl jeder andere Fan – dennoch minimal anders gestaltet und somit für mich noch perfekter gemacht - „New Orleans“, „Belle Fleur“, „Starshine“ und „If You Were My Love“ raus (die vier einfach deshalb, weil ich andere Songs aus Stevies Schaffen noch lieber gehört hätte); „Rhiannon“ und „Stand Back“ ebenfalls raus (da schon oft genug live bei Fleetwood Mac erlebt – die auch gespielten „Gold Dust Woman“ und „Landslide“ zwar ebenfalls, aber die dürfen trotzdem nicht fehlen!) - und statt dieser sechs geschassten Lieder bitte „Sara“, „Sisters Of The Moon“, „Talk To Me“, „Gold“ (der US-Top-5-Hit mit John Stewart aus dem Jahr 1979 - dabei wäre ich GESTORBEN!!!), „Annabel Lee“ und „24 Karat Gold“ dazu... Naja, und eigentlich zusätzlich ebenfalls noch „Italian Summer“, „Mable Normand“, „The Highwayman“, „Battle Of The Dragon“, „When I See You Again“, „Seven Wonders“, „Destiny Rules“, „Crystal“, „Frozen Love“, „Thousand Days“, „Christian“ (okay, jetzt werde ich vollkommen unrealistisch, da dies bis zum heutigen Tage nur ein als uraltes Demo zirkulierender Song ist – aber ich träume ja gerade ohnehin nur wieder wüst vor mich hin...)

In diesem Jahr 2020 erscheinen gleich mehrere Live-Alben zu Touren, welche ich gesehen habe – gerade neulich erst „Live From The Forum MMXVIII“ der Eagles (da war ich 2019 in München mit dabei); in ein paar Wochen Voivod... Es ist so schön, zu diesen wertvollen Tagen Zeitkapseln in Form all dieser Veröffentlichungen nachgeliefert zu bekommen. Stevie überragt für mich persönlich natürlich alles andere haushoch. Nichtsdestotrotz hoffe ich nach wie vor, dass irgendwann der – für mich persönlich – „real stuff“ in Form des Hyde Park-Konzerts inklusive Tom Petty nachgeliefert wird, doch bis dahin gehe ich auch glückselig in vorliegendem Livealbum auf.

Lange Rede, kurzer Sinn: Stevie ist der Soundtrack meines Lebens; alle Fleetwood Mac-Alben, alle Solo-Alben... Insofern, und um zum Anfang dieser „Besprechung“ zurückzukehren: dieses Live-Album konnte bei mir natürlich gar nicht verlieren, es sei denn vielleicht, es hätte den Klang eines rumpeligen, alten Demos bekommen. Hat es natürlich nicht, von daher: yeah! Mehr Durchläufe sind somit – in diesem speziellen Fall – ausnahmsweise nicht nötig, bevor ich meine Meinung hiermit öffentlich mache.

Ihr alle, welche ihr da erschöpft bis zum Ende hin tapfer mitlesend durchgehalten habt (wahrscheinlich niemand – was wenig verwunderlich in Anbetracht dieses Monstrums nicht enden wollender Textmasse ist), kauft aber natürlich bitte erst sämtliche Studioalben, sofern noch nicht vorhanden: „Rumours“, „Tusk“, „Fleetwood Mac“, „Tango In The Night“, „Mirage“, „Buckingham Nicks“ (bis heute leider nur als Bootleg im CD-Format erhältlich, obwohl es bald 50 Jahre alt wird...), „Bella Donna“ und „The Wild Heart“ wären gleichermaßen Starterkit als auch das absolute Minimum an Grundausstattung.
 
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@Sentinel : ein schlichtes aber umso herzlicheres Dankeschön für diese Worte! :verehr::verehr::verehr:

LP kommt erst im Januar, solange darbe ich vor mich hin... :hmmja:

Aber ich freue mich! :jubel:
 
@Sentinel : ein schlichtes aber umso herzlicheres Dankeschön für diese Worte! :verehr::verehr::verehr:
LP kommt erst im Januar, solange darbe ich vor mich hin... :hmmja:
Aber ich freue mich! :jubel:

Es ist immer wieder schön, wenn ich merke, dass ich nicht der einzige Fan hier im Forum bin - von daher auf jeden Fall auch dir ein ganz großer Dank! :)
Oh ja, der Januar ist wirklich noch eine Weile hin... Aber immerhin kannst du in der Zwischenzeit die ganzen Studioalben hören, auf dem Live-Album ist ja per se nichts Neues enthalten - das wäre natürlich der absolute Oberknaller gewesen!
 
@Sentinel: Ich habe alle drei Teile deines Texts mit großer Begeisterung gelesen, auch wenn ich von Fleetwood Mac nur die obligatorischen Hits und von Stevie Nicks solo bewusst gar nichts kenne. Aber es hat mir einfach Spaß gemacht. Vielen Dank für diese Leidenschaft, davon lebt das Forum.
 
@Sentinel: Ich habe alle drei Teile deines Texts mit großer Begeisterung gelesen, auch wenn ich von Fleetwood Mac nur die obligatorischen Hits und von Stevie Nicks solo bewusst gar nichts kenne. Aber es hat mir einfach Spaß gemacht. Vielen Dank für diese Leidenschaft, davon lebt das Forum.

Ich danke dir ganz enorm für diese schöne Rückmeldung und freue mich wirklich sehr darüber! :)
 
@Sentinel :
Selten so ein leidenschaftliches und mitreissendes Review gelesen.
Danke dafür!!!
Auch wenn ich Stevies Solowerk bei weitem nicht so beeindruckend
finde wie die Mac Sachen, hat es sehr viel Spaß gemacht diese Abhandlung
( ein Review ist es aufgrund der Länge definitiv nicht mehr ;) ) zu
lesen:top::top::top:
 
@Sentinel :
Selten so ein leidenschaftliches und mitreissendes Review gelesen.
Danke dafür!!!
Auch wenn ich Stevies Solowerk bei weitem nicht so beeindruckend
finde wie die Mac Sachen, hat es sehr viel Spaß gemacht diese Abhandlung
( ein Review ist es aufgrund der Länge definitiv nicht mehr ;) ) zu
lesen:top::top::top:

Dann benenne ich diesen Thread - falls es demnächst bei den Livealben der Eagles, Voivod oder auch "MTV Unplugged" von Pearl Jam ähnliche Ausmaße wie hier annehmen sollte - in "Sentinels Abhandlungen 2020" um. :D

Spaß beiseite: ich danke ebenfalls - und freue mich, wieder mit dir zu schreiben; ist ja echt schon ein paar Jährchen her mittlerweile... :)
 
Vielen Dank fürs Teilhaben lassen an deinen Emotionen. So ein bisserl stand man beim Lesen mit am Absperrgitter. Danke für!
Und für Unwissende: MAC und Nicks können fast alles!!!
 
Zwar hab ich mich zugegebenermaßen noch nicht wirklich intensiv mit FLEETWOOD MAC befaßt ( genauer gesagt kenn ich nur das "Tango In The Night" - Album ), nichts desto trotz hat die Stimme von Stevie Nicks ( von der sich meiner Erinnerungnach irgendwo im Haus eine Best Of befinden müsste ) eine nahezu magische Wirkung auf mich. Als junger Stepke war es ihr Beitrag auf dem "HEAVY METAL"- Soundtrack, der mich geflasht hat, in "Little Lies" warte ich immer nur auf den Moment, bis ihre Stimme einsetzt.... somit wäre diese Live-Scheibe echt eine Überlegung wert.
 
@Sentinel: Wow! Großartig geschrieben, dieses 3-teilige Mammut-Plädoyer für Fleetwood Mac in Teilen und Stevie Nicks inkl. aktuellem Live-Output im Besondern.

Ich habe bislang beide Künstler (sowohl Fleetwood Mac als auch Fräulein Nicks solo) bislang nur gestreift und nie in der Tiefe verfolgt, einige Tonträger besitze ich indes doch und höre diese auch sehr gern. "Tango in the Night" habe ich mir als Teenager schon allein aufgrund des traumhaft schönen Covers auf MC (!) gekauft und es bis heute nicht bereut. Dazu kommen Dinge wie "Rumours" oder auch "Tusk", auch "Behind the Mask". Von Stevie selbst habe ich nur eine Best-of, was schon schade ist, wobei Deine Zeilen hier klar Appetit auf mehr machen.

Was ich aber stets bewundert habe: die Stimme von Stevie Nicks, dieses rauchige, eher ungewöhnlich rauhe Stimmorgan einer Frau, das man aus Tausenden anderer Stimmen heraus erkennt, gepaart mit einer absoluten Power-Melodik, die in dieser Form nur sie zustande bringt. Nicks kann Pop wie Rock intonieren, es klingt nie irgendwie "falsch", sondern stets absolut authentisch (jaja, ich weiß, diese Begrifflichkeit wurde hier nicht selten mal debattiert) und immer so, als gebe sie 100%. Starke Frau.
 
Als junger Stepke war es ihr Beitrag auf dem "HEAVY METAL"- Soundtrack, der mich geflasht hat

"Blue Lamp" ist aber auch wirklich ganz toll! :)

Zu deinem letzten Satz: ja, dieses neue Live-Album ist sicher ein guter Einstieg. Bei mir lief die ganze Woche über kaum etwas anderes. Wenn du das Gefühl hast, das könnte etwas für dich sein, dann greif unbedingt zu!
 
Was ich aber stets bewundert habe: die Stimme von Stevie Nicks, dieses rauchige, eher ungewöhnlich rauhe Stimmorgan einer Frau, das man aus Tausenden anderer Stimmen heraus erkennt, gepaart mit einer absoluten Power-Melodik, die in dieser Form nur sie zustande bringt. Nicks kann Pop wie Rock intonieren, es klingt nie irgendwie "falsch", sondern stets absolut authentisch (jaja, ich weiß, diese Begrifflichkeit wurde hier nicht selten mal debattiert) und immer so, als gebe sie 100%. Starke Frau.

Erst mal: danke!

"Tango In The Night" habe ich ebenfalls als MC (und auch als CD, Vinyl sowie in der Porno-Deluxe-Edition... :D ). Ich liebe und hüte es wie einen Schatz. Das Lindsey Buckingham-Gitarren-Solo in "Isn't It Midnight" ist mein liebstes Solo überhaupt. :verehr:

Ich liebe, was du über die Stimme von Stevie schreibst. Ich hoffe, dass niemals eine Sängerin auf der Bildfläche erscheinen wird, die ähnlich klingt - diese Stimme ist einzigartig und soll es einfach immer bleiben.
 
Havukruunu - Uinuos Syömein Sota
VÖ: 14.08.2020

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Richtig auf Havukruunu aufmerksam wurde ich Ende 2017, als Alan Averill und Robert Müller das damalige Album „Kelle surut soi“ in ihren Jahresendlisten hatten. Zwar war mir bereits vorher die Verpackung des Debütalbums „Havulinnaan“ (2015) bekannt, welche mich mit ihrer „gehörnter König“-Ästhetik von Beginn an begeistert hatte – mehr jedoch nicht, ich kannte keine Reviews und habe seinerzeit auch nicht aktiv danach gesucht.

Leider kam es Ende 2017 nicht zu einem Kauf – in den Jahresendlisten der Zeit wimmelte es einerseits an Nennungen, welche ebenfalls noch ins Haus mussten: Malokarpatan, Hällas, Krolok, Mork, White Ward sowie etliche andere mehr; der wirkliche Grund jedoch war schlicht und ergreifend, dass ich das Album zu diesem Zeitpunkt bei keinem Mailorder mehr im Sortiment fand. Und, seufz: ich weiß noch, dass ich lange danach gesucht habe... Die komplette Havukruunu-Diskografie erwarb ich schließlich erst in diesem Frühjahr via Discogs; eben genannte Alben sowie auch die „Rautaa ja tulta“-EP von 2015.

Nun bin ich ein Musikhörer, der sich aus Prinzip nicht mehrere Alben einer Band als Erstlauschungen innerhalb eines kurzen Zeitraums einverleibt – nein, ich möchte Alben als Einzelkunstwerke genießen und auch so kennen lernen. Ich möchte, dass die Alben „meiner“ Bands mich über verschiedene Jahre und Lebensphasen hinweg begleiten. Was ich ausdrücklich nicht mag und möchte, ist, mir gesamte Diskografien oder mehrere Alben eines Künstlers oder einer Band auf einmal „reinzuballern“. Ein Album ist für mich ein Gesamtkunstwerk, welches sich meine Beschäftigung damit ganz exklusiv verdient hat. Zu viele Köche verderben den Brei, mehrere Werke einer Band gleichzeitig zu entdecken ist für mich das Äquivalent zu gierigem All-you-can-eat und verleidet mir den Zauber, die Magie. Ich würde schließlich auch keine teure Flasche eines besonders edlen Alkohols auf Ex trinken. Genuss durch Bedacht, Entschleunigung und Wertschätzung ist da eher mein Ding. Da ich wusste, dass in diesem Sommer noch das dritte, hier rezensierte Album erscheinen würde, habe ich die zuvor veröffentlichten, akustischen Leckereien mithin noch nicht geöffnet. Eines jedoch ist nach „Uinuos Syömein Sota“ ganz klar: ich freue mich darauf, irgendwann – Schritt für Schritt – in der Diskografie von Havukruunu zurückzureisen. Und ich bin froh darüber, dass ich die Werke hier habe.

Nun zu diesem Album – dem Erstkontakt der Band mit meinen Ohren. Kein weiteres Vorgeplänkel: ich liebe es, wie hier hemmungslos und entfesselt drauflos gespielt und soliert wird. Und ich liebe es, wie hier hemmungslos und entfesselt gesungen wird. Vor allem aber liebe ich es, wie hemmungslos und entfesselt massiv Havukruunu dabei klingen.

„Uinuos Syömein Sota“ leitet meine Fantasie auf sturmgepeitschte, felsige Erde: hier brechen sich alles zermalmende Wellen an schroffen, zerklüfteten Küsten, während auf deren Spitze kriegerische Heere mit maximal scharfen Schwertern aufeinander einschlagen und die Hufe der Kriegsrösser neben Blitz, Donner und Wellengewalt noch deutlich zu hören sind.

Havukruunu transportieren den Geist des goldenen Jahrzehnts des Heavy Metal, der Achtziger Jahre, unprätentiöser und ungleich begeisternder in die Jetztzeit als alles andere, das ich in diesem Jahr vernehmen durfte. Ihre massiv-heidnischen Black Metal-Riffkaskaden sind gänzlich unverkrampft und in erster Linie frei und ungehemmt. Die Melodien scheinen weder einem Schema-F-Baukasten für alternde Schematiker entsprungen noch klingen sie nach dem ungenügenden Bemühen solcher, welchen es schlicht an Authentizität mangelt. Sturmgepeitscht, wellenumtost, massiv und frei – so muss man „Uinuos Syömein Sota“ kategorisieren, so hat man sie sich als noch nicht Eingeweihter vorzustellen. Diese Musik ist enthusiastisch und ungemein frisch. Hier wird noch für echte Werte und Ideale in die Schlacht geritten, hier ist man noch hungrig und rechtschaffen.

Die immer wieder auftauchenden Männerchöre sind phänomenal, im Kurzsong „Jumalten hämär“ gar noch ein Jota mehr als zu Beginn der Platte bereits. Die Gitarren: ein Traum. Man beachte in diesem Kontext ganz besonders das geniale Finale von „Vähiin päivät käy“, doch auch sonst zieht sich dieser Zauber durch das komplette Album. Die tollen Speed Metal-Einflüsse – etwa in „Pohjolan tytär“ – bringen extreme Euphorie und Frische.

Ich würde „Uinuos Syömein Sota“ ausnahmslos jedem Metal-Fan ans Herz legen – kaum jemand dürfte davon enttäuscht sein. Ohne jegliche Übertreibung ein Album, welches in einer gerechten Welt ein allgemeingültiger und szeneeinender Klassiker des Jahres 2020 sein müsste.
 
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Die steht noch auf meiner Liste und ich bin sehr heiß drauf die zu hören. Derzeit haben FW und Solstafir noch den Vorrang. :D
Deine Abhandlung zum All You Can Hear der Bands stimme ich übrigens zu. Ich hab wahnsinnig viele Alben auf der Liste stehen, die ich noch hören will. Aber ich taste mich da bei vielen Bands mit zig Alben immer nur ganz langsam vorran, gehe meist auch chronologisch vor. Das erzeugt eine Art von Magie und Verständnis für die Musik, die weit über mein Hörkonsum hinaus ging, den ich noch mit Anfang20 gepflegt habe als ich mir die Diskographien von The Gathering und Rush mit einmal reingegönnt habe.

Zum Review selbst: Sehr schöne Bilder die du da wieder zauberst. Als damals der Vorabtrack auf Bandcamp (meine ich...) zu hören war, ging mir das ähnlich. Die Band wirkt sehr "frei" und komplett ohne Druck einfach das machen zu können, was sie will.
 
Ich hab wahnsinnig viele Alben auf der Liste stehen, die ich noch hören will. Aber ich taste mich da bei vielen Bands mit zig Alben immer nur ganz langsam vorran, gehe meist auch chronologisch vor. Das erzeugt eine Art von Magie und Verständnis für die Musik

Ganz meine Worte - wir verstehen uns! :) Klar, jeder soll es so halten, wie er will, aber ich habe dieses "komplette Diskographien en bloc verschlingen" wirklich noch nie verstanden und das persönlich nur in den allerfrühesten Monaten nach meiner Metal und Hardrock-Sozialisation 1991 praktiziert. Ich finde, dadurch geht zu viel unter bzw. verloren.
 
Havukruunu - Uinuos Syömein Sota
VÖ: 14.08.2020

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Richtig auf Havukruunu aufmerksam wurde ich Ende 2017, als Alan Averill und Robert Müller das damalige Album „Kelle surut soi“ in ihren Jahresendlisten hatten. Zwar war mir bereits vorher die Verpackung des Debütalbums „Havulinnaan“ (2015) bekannt, welche mich mit ihrer „gehörnter König“-Ästhetik von Beginn an begeistert hatte – mehr jedoch nicht, ich kannte keine Reviews und habe seinerzeit auch nicht aktiv danach gesucht.

Leider kam es Ende 2017 nicht zu einem Kauf – in den Jahresendlisten der Zeit wimmelte es einerseits an Nennungen, welche ebenfalls noch ins Haus mussten: Malokarpatan, Hällas, Krolok, Mork, White Ward sowie etliche andere mehr; der wirkliche Grund jedoch war schlicht und ergreifend, dass ich das Album zu diesem Zeitpunkt bei keinem Mailorder mehr im Sortiment fand. Und, seufz: ich weiß noch, dass ich lange danach gesucht habe... Die komplette Havukruunu-Diskografie erwarb ich schließlich erst in diesem Frühjahr via Discogs; eben genannte Alben sowie auch die „Rautaa ja tulta“-EP von 2015.

Nun bin ich ein Musikhörer, der sich aus Prinzip nicht mehrere Alben einer Band als Erstlauschungen innerhalb eines kurzen Zeitraums einverleibt – nein, ich möchte Alben als Einzelkunstwerke genießen und auch so kennen lernen. Ich möchte, dass die Alben „meiner“ Bands mich über verschiedene Jahre und Lebensphasen hinweg begleiten. Was ich ausdrücklich nicht mag und möchte, ist, mir gesamte Diskografien oder mehrere Alben eines Künstlers oder einer Band auf einmal „reinzuballern“. Ein Album ist für mich ein Gesamtkunstwerk, welches sich meine Beschäftigung damit ganz exklusiv verdient hat. Zu viele Köche verderben den Brei, mehrere Werke einer Band gleichzeitig zu entdecken ist für mich das Äquivalent zu gierigem All-you-can-eat und verleidet mir den Zauber, die Magie. Ich würde schließlich auch keine teure Flasche eines besonders edlen Alkohols auf Ex trinken. Genuss durch Bedacht, Entschleunigung und Wertschätzung ist da eher mein Ding. Da ich wusste, dass in diesem Sommer noch das dritte, hier rezensierte Album erscheinen würde, habe ich die zuvor veröffentlichten, akustischen Leckereien mithin noch nicht geöffnet. Eines jedoch ist nach „Uinuos Syömein Sota“ ganz klar: ich freue mich darauf, irgendwann – Schritt für Schritt – in der Diskografie von Havukruunu zurückzureisen. Und ich bin froh darüber, dass ich die Werke hier habe.

Nun zu diesem Album – dem Erstkontakt der Band mit meinen Ohren. Kein weiteres Vorgeplänkel: ich liebe es, wie hier hemmungslos und entfesselt drauflos gespielt und soliert wird. Und ich liebe es, wie hier hemmungslos und entfesselt gesungen wird. Vor allem aber liebe ich es, wie hemmungslos und entfesselt massiv Havukruunu dabei klingen.

„Uinuos Syömein Sota“ leitet meine Fantasie auf sturmgepeitschte, felsige Erde: hier brechen sich alles zermalmende Wellen an schroffen, zerklüfteten Küsten, während auf deren Spitze kriegerische Heere mit maximal scharfen Schwertern aufeinander einschlagen und die Hufe der Kriegsrösser neben Blitz, Donner und Wellengewalt noch deutlich zu hören sind.

Havukruunu transportieren den Geist des goldenen Jahrzehnts des Heavy Metal, der Achtziger Jahre, unprätentiöser und ungleich begeisternder in die Jetztzeit als alles andere, das ich in diesem Jahr vernehmen durfte. Ihre massiv-heidnischen Black Metal-Riffkaskaden sind gänzlich unverkrampft und in erster Linie frei und ungehemmt. Die Melodien scheinen weder einem Schema-F-Baukasten für alternde Schematiker entsprungen noch klingen sie nach dem ungenügenden Bemühen solcher, welchen es schlicht an Authentizität mangelt. Sturmgepeitscht, wellenumtost, massiv und frei – so muss man „Uinuos Syömein Sota“ kategorisieren, so hat man sie sich als noch nicht Eingeweihter vorzustellen. Diese Musik ist enthusiastisch und ungemein frisch. Hier wird noch für echte Werte und Ideale in die Schlacht geritten, hier ist man noch hungrig und rechtschaffen.

Die immer wieder auftauchenden Männerchöre sind phänomenal, im Kurzsong „Jumalten hämär“ gar noch ein Jota mehr als zu Beginn der Platte bereits. Die Gitarren: ein Traum. Man beachte in diesem Kontext ganz besonders das geniale Finale von „Vähiin päivät käy“, doch auch sonst zieht sich dieser Zauber durch das komplette Album. Die tollen Speed Metal-Einflüsse – etwa in „Pohjolan tytär“ – bringen extreme Euphorie und Frische.

Ich würde „Uinuos Syömein Sota“ ausnahmslos jedem Metal-Fan ans Herz legen – kaum jemand dürfte davon enttäuscht sein. Ohne jegliche Übertreibung ein Album, welches in einer gerechten Welt ein allgemeingültiger und szeneeinender Klassiker des Jahres 2020 sein müsste.
Herzlichen Dank @Sentinel. Ohne deinen überschwänglichen Text hätte ich niemals in dieses Album reingehört. In den letzten Jahren war ich diesem finnischen Viking/Pagan Metal total überdrüssig geworden. Selbst meine Faves Moonsorrow hatten in meinen Ohren alles gesagt und gespielt. Aber "Uinuos Syömein Sota" ist wirklich total geil! Toller Tipp! Werde ich mir auf jeden Fall besorgen.
 
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Herzlichen Dank @Sentinel. Ohne deinen überschwenglichen Text hätte ich niemals in dieses Album reingehört. In den letzten Jahren war ich diesem finnischen Viking/Pagan Metal total überdrüssig geworden. Selbst meine Faves Moonsorrow hatten in meinen Ohren alles gesagt und gespielt. Aber "Uinuos Syömein Sota" ist wirklich total geil! Toller Tipp! Werde ich mir auf jeden Fall besorgen.

Das freut mich total! Das Album hat wirklich eine größere Hörerschaft verdient und ich würde tatsächlich die Prognose wagen, dass es fast allen hier im Forum gefallen müsste. Andererseits bin ich aber natürlich auch froh darüber, dass die Band nach wie vor "Underground" ist - im Sortiment von Nuclear Blast beispielsweise möchte ich sie eher ungern
sehen. :)
 
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