SIDE B
1. Marilyn Manson - Lunchbox [1994]
"Next motherfucker's goin' to get my metal!" Ich habe jüngst einen Trip in die Untiefen der 90er unternommen und entweder festgestellt oder mich erinnert, dass es auch da Schönes zu entdecken gibt. Der spätere King of Elternschreck und Teenage Angst hatte ein paar ganz spannende Musiker in seiner Bande, und auch ein paar gute Ideen. In dem Track geht's um das Verbot von metallenen Jausendosen, weil die am Schulhof als Waffe eingesetzt werden könnten. MM zeichnet sich auch wieder einmal als ein Produkt einer Gesellschaft, in der die Frage nach Bewaffnung auf dem Schulhof für Jugendliche eine relevante ist. "I got my lunchbox and I'm armed real well!"
2. The Prodigy - Intro zu 'Music for the Jilted Generation' [1994]
Weil es danach ganz anders weitergeht, brauchte es hier einen Übergang, für den sich wiedermal ein geklautes Intro gut eignete. Der paranoide Schriftsteller, der sicher an einem brandgefährlichen Text schreibt, weswegen *sie* ihn mundtot machen wollen, passt zum Thema. Das "I've decided to take my work back underground" wollte ich als augenzwinkernden Hinweis darauf verstanden wissen, dass mit Musik von Chartstürmern wie Manson nun erstmal Schluss ist.
3. Burl Ives - Ghost Riders in the Sky [1949]
Ich bin kein Country- und Western-Boy, no Sir. Allerdings habe ich diesen bekannten Traditional in Richtung seiner Ursprünge verfolgt und meine, in dieser, einer der ersten Aufnahmen Perfektion gefunden zu haben. Das Lied erzählt die Geschichte eines Cowboys, der eines Abends alleine auf der Weide steht und im Himmel das erblickt, was in der europäischen Folklore wohl als "Die wilde Jagd" bekannt ist. Geisterhafte Reiter, ruhelose Sünder, die bis in alle Ewigkeit die Herde des Teufels durch die Lüfte treiben müssen. "They got to ride forever on that range up in the sky, on horses snortin' fire, as they ride on, hear their cries!" Die sage ich jetzt einmal sehr bildliche Sprache, bei der man schon einen gotischen Stich vor Augen hat, wird erst durch die tolle Stimme von Burl Ives wirklich zu einer Angelegenheit. Wie er die geisterhaften Schreie der Reiter nachahmt und das Lied dadurch so düster macht, wie es dem Inhalt auch entspricht, finde ich grandios.
Dasselbe Thema wurde übrigens von Motörhead in "Iron Fist" besungen, da habe ich sozusagen ein Faible für
4. Formel 1 - Willste nich 'uffstehn [1982]
Der beste deutschsprachige Metal-Track hat gleichzeitig auch die besten deutschen Twin-Gitarren aller Zeiten. Formel 1 ist die bekannteste Metalband der DDR, aber ausgerechnet auf ihrer einzigen zu jeder Zeit gut erhältlichen LP "Live im Stahlwerk" ist dieser Track nicht vorhanden. Wie genial die Gitarren in dem Song sind, kann man gar nicht überschätzen. Aber besonders angetan hat es mir auch hier der Text: in schönstem Berlinerisch handelt das Lied davon, wie der Protagonist in einer fremden Wohnung aufwacht. Es ist superfrüh und er muss in die Arbeit, die ganze Woche, so ne Scheisse. Und das Mädel neben ihm will einfach nicht aufstehen. Er findet sich in der Wohnung aber einfach nicht zurecht - gibt's Brot, Butter, wo sind die Kaffeetassen? Mädel, hilf mir doch mal. Mann, wird das super wenn die Woche vorbei ist und wir uns mal bei mir treffen können. Dort kenne ich dann wenigstens die Küche. Über sowas sollten Heavy Metal Bands singen! Beste!
5. Reverend Horton Heat - That's Showbiz [1996]
Kennt man die als Metalhörer? Vielleicht für ihren Song "Death Metal Guys". Eine recht erfolgreiche Rockabilly-Truppe jedenfalls. Hier gibt es hauptsächlich eine starke Basslinie, ein bisschen Geklimper und dazu Sprechgesang, der auf sehr pathetische Art die Beschwerlichkeiten und Härte des Showbiz beklagt; aus der Perspektive von einem, der es geschafft und verdient hat, und der sich zum Schluss noch bei den "little people" bedankt, die ihn zu dem gemacht haben was er ist. Es ist nicht wirklich Satire, aber ich höre da einen augenzwinkernden, herrlich bitteren Humor heraus. Muss man vermutlich selbst gehört haben um sich ein Bild zu machen.
6. ACxDC - Milk Was a Bad Choice [2012]
Kurzer Powerviolence-Ausbruch, wo ich mir an dieser Stelle gerne zu dem Übergang gratulieren möchte, denn der ACxDC-Track (sprich: Antichrist Demoncore) beginnt mit der praktisch gleichen Art lamoryanten, schmierigen Las Vegas-Showbiz-Gelaber, mit dem der Reverend Horton Heat-Track endet.
7. Japanische Kampfhörspiele - Koscher [2004]
"Hardcore aus der ersten Welt" war ein wichtiges Teenager-Album für mich. Diese eigene Grundstimmung, richtig fertig mit der Welt zu sein haben JaKa für mich danach nicht mehr erreicht. Auf die Platte hat mich erst das Outro gebracht, das ich gerne auf dem Tape gehabt hätte. Da redet so ein Alter, der vielleicht aus "Full Metal Village" gesampelt wird (?), mit zittriger Stimme über ein Soundtrack-Sample aus "Die fabelhafte Welt der Amelie", so Yann Tiersen-Geklimper: "Ich kann in so einer Welt nicht leben wo alles zerstört wird / Ich kann in so einer Welt nicht leben wo alles zerstört wird / Ich kann ..."
8. Venetian Snares - Második Galamb [2005]
Es ist immer schwer, der Versuch zu widerstehen unbedarften Hörern und Hörerinnen was aus der fabelhaften Welt des kanadischen Breakcore-Künstlers Aaron Funk um die Ohren zu hauen. Wenn man sie nicht gänzlich verschrecken will, nimmt man das ungarische Album, sozusagen das Master of Puppets des Breakcore (Pfui!). Ist ein Wahnsinnsalbum, das halt bei aller Bekanntheit für mich in punkto Atmosphäre und Musikalität in diesem Genre (bei dem ich nur an der oberflächlichsten Oberfläche kratze) nicht mehr erreicht wurde. "Második Galamb" ist darauf der krasseste Track, weil er wortwörtlich beginnt sich selbst zu verschlingen und am Ende gar nichts mehr über ist. Beunruhigend.
P.S.: wäre die Stimmung und der Aufbau nicht schon schlimm genug, gibt es auch noch Text. Es geht wohl um eine Frau, die eine schwierige Beziehung zu einer Taube zu unterhalten scheint und von dieser aus ihrem Leben verstoßen wurde. Talk about Themenbezug!
9. Tathandlung - Die Kunst des negativen Denkens (Das Flug Remix) [2011]
Tathandlung machen so eine Art 8-Bit-Nintendo Elektropunk, oft politisch, eigentlich nie gut, außer es mischen sich andere Künstler ein, wie in diesem Fall. Geht nach vorn, gleichzeitig melancholisch, und baut auf einem Sample aus dem gleichnamigen Film des norwegischen Regisseurs Bård Breier auf. Bösartige Komödie, in der es um eine Gruppe Schwerbehinderter geht, die ihren Selbstmord planen. Damit sollte alles gesagt sein
10. Danger Dan - Ich werde mich isolieren [2012]
Bestimmt einer der ersten Tracks, der für das Mixtape feststand. "Ich habe in euren Kreisen nach Liebe gesucht, doch fand zwischen Leinenhosen, Dinkelbrot und Bio-Produkten nur
NICHTS! GAR NICHTS!"
11. John Williams - The Long Goodbye [1973]
Filmmusik-Legende John Williams hat für den Robert Altman-Noir "The Long Goodybe" (dt. "Der Tod kennt keine Wiederkehr") einen sehr smooth-jazzigen Soundtrack komponiert, der an einigen Stellen richtig zwingend wird und sich wie ein roter Faden durch den Film zieht, würde sogar sagen: dem Film sein Thema gibt. Es ist die Verfilmung einer Geschichte um den Detektiv Philip Marlowe (Elliot Gould, super), der aber bei Altman kein knallharter Checker und kein Dirty Harry ist, sondern ein recht verwirrter Typ und Hänger, der in erster Linie durch das nächtliche und mörderische Los Angeles stolpert, um Futter für seine wählerische Katze zu besorgen. Als ich den Film vor einem Jahr gesehen habe, wurde mir bewusst, dass dieser Marlowe auch Vorbild für meinen Lieblingsromandetektiv, nämlich Kinky "Big Dick" Friedman, gewesen sein muss. Wieder was gelernt!
Ja, so schleicht sich das Ende irgendwie aus, ohne eine großen Knall. "The Long Goodbye" ist wirklich lange und wirklich ein Goodbye. Das Bild vom langen Abschied, der bis zum bitteren Ende ausgefochten werden muss, hat mir bezüglich des Themas gut gefallen. Metal gab's eigentlich keinen, das war mir dann für ein Metalforum nicht waghalsig genug. Danke für die Aufmerksamkeit!