Nägelchen
Till Deaf Do Us Part
E. M. Forster: "Die Maschine steht still."
Im Original:
"The Machine Stops" (Novelle, 1909)
Thematik:
Es handelt sich hierbei im Wesentlichen um eine Erzählung, die sich konzeptuell bereits mit einem ganzen Verbund an Entwicklungen beschäftigt, die wir heute im Einzelnen mit so unterschiedlichen Begriffen wie "Internet der Dinge" bzw. "Smart Environment", "Soziale Netzwerke" oder auch "Künstliche Intelligenz", im Sozialverhalten jedoch auch mit "Cocooning" oder "Hikikomori" bezeichnen.
Nach der zweiten industriellen Revolution, kurz vor der Automatisierung, und noch lange vor der Digitalisierung entstand diese visionäre Fiktion einer hochtechnisierten, technologiegläubigen, wohlstandsverwahrlosten Gesellschaft von einander und ihrer Natur körperlich weitgehend entfremdet "vergeistigter" (aber deswegen nicht unbedingt rationaler) Individuen, die ihren letzten Zusammenhalt bezieht aus einer weitgehend immateriell geprägten Kultur der Kommunikation von "Ideen" unter Aufsicht, Planung und Versorgung der titelgebenden "Maschine".
Im Handlungsverlauf tritt neben die reine Beschreibung von Funktionen der "Maschine" skizzenhaft auch eine Art Technikgeschichte, die die Vorgeschichte ihrer Entwicklung und auch die allmählichen Auswirkungen ihres Bestehens auf Individuen und Gesellschaft nachvollziehbar macht, sowie auch einen schleichenden Kult der "Maschine", welcher zu autoritären Glaubenssätzen führt, zunächst andeutet und schließlich auch explizit beschreibt.
Umsetzung:
Man könnte diese Novelle auch genauso gut eine lange Kurzgeschichte in drei Kapiteln nennen. So erschien denn die Erzählung zunächst anno 1909 in einer Zeitschrift, bevor schließlich erst im Jahr 1928 das erste Mal ein Nachdruck als Buch erfolgte.
Die dystopische story wird chronologisch, multiperspektivisch, teils allwissend narrativ, teils dialogisch konfrontativ kontrastierend, weitgehend empathisch, bisweilen aber auch sarkastisch und fast schon satirisch zugespitzt entfaltet.
Nach meinem Empfinden spricht aus ihr eine Art zynischer Humanismus, wie man ihn - freilich in etwas anderer Form - auch in den Werken von Kurt Vonnegut jr. findet.
Im ersten Kapitel
(The Air-Ship / Das Luftschiff)
lernen wir die bei Schriftlegung noch utopisch anmutende Welt der Handlung durch die Wahrnehmung einer in ihr aufgewachsenen, ziemlich nüchtern wirkenden Mutter kennen, die den Anruf ihres in Relation zu ihr selbst eher anachronistisch verschroben bis romantisch überspannt wirkenden Sohnes erhält. Dieser weigert sich, mit seiner Mutter über eine angeblich wichtige Angelegenheit rein medial zu kommunizieren und verlangt danach, von ihr auf der anderen Seite der Welt besucht zu werden, was dann neben den state of the art der Kommunikationstechnik auch eine Beschreibung der Transportgeschichte der Zukunft treten lässt.
Wie schon H. G. Wells in "The War in the Air" (1908), belässt es auch E. M. Forster in "The Machine Stops" also nicht bei einer reinen Zukunftsbeschreibung, sondern erzählt auch, welche Dynamiken diese Zukunftsvision erst hervorbrachten, was eine in sich futuristisch äußerst weit von der eigenen Welt entfernte Fiktion wieder deutlich näher an die eigene Gegenwart der Autoren rückkoppelt. Sowohl Wells als auch Foster berücksichtigen dabei sowohl technische als auch gesellschaftliche Aspekte dieser Entwicklungen.
Im zweiten Kapitel
(The Mending Apparatus / Der Korrekturapparat)
wechselt die Perspektive zwischen der der Mutter und der ihres Sohnes, bei dem diese mittlerweile angekommen ist, und dessen Wahrnehmung aufgrund dessen, dass er ihr nun von seiner Skepsis gegenüber der "Maschine" sowie einer Exkursion in deren Außenwelt berichtet.
Hier prallen dann die unterschiedlichen Ideologien von Mutter und Sohn zunehmend härter aufeinander: Er erklärt "den Menschen" zum Maßstab aller Dinge und bezieht sich dabei in erster Linie auf seine Körperlichkeit, die ihm ein aufregend faszinierendes, von der Maschine unabhängiges Gefühl von Räumlichkeit und Zeitlichkeit zurückgegeben habe; sie hingegen empfindet ein starkes moralisches und auch körperliches Unbehagen bei der Vorstellung, mit primitiven, unzeitgemäßen, unvergeistigt "ideenlosen", zeitraubend unnötigen Verhaltensweisen den Geist und die Funktion der Maschine zu unterlaufen. Beide werfen sich Glauben bzw. Aberglauben vor; er ihr eine irrationale Verehrung der Maschine, sie ihm einen spirituellen Aberglauben an eine überholte Naturverbundenheit sowie irrationale Risikobereitschaft.
Im zweiten Kapitel spielt dann auch auf mehreren Ebenen die "Wiederherstellung" eine Rolle:
Zum einen begegnen sich Mutter und Sohn zum ersten Mal wieder auf direkter, zwischenmenschlicher, räumlicher Beziehungsebene anstatt auf der medial moderierten, auf abstrakte Avatare reduzierten Ebene einer terminierten, virtuellen Konferenzschaltung zum knappen "Ideen"-Austausch; neben die Information tritt die Relation.
Zum anderen geht es um die Wiederherstellung des Religiösen inmitten einer nahezu "rein" technischen Umgebung mit künstlicher Beatmung, künstlicher Nahrung, künstlicher Kommunikation: Einerseits offenbart sich im gesellschaftlichen "Mainstream" eine Vergötterung der Technologie, die sich in kommunikativer und sozialer Kompartmentisierung, in Verehrung der "Maschine" als Sinngebungs- und Sicherheits-Garant, in Fetischisierung des Maschinenhandbuchs, in einer von jeglicher Sinnlichkeit abstrahierenden Ritualisierung eines kommunikativ-medialisierten, aus Kolportage und Remixen bestehenden "Ideen"-Kults äußert; andererseits ergeht sich der "verlorene" Sohn in einer Verklärung seiner berauschenden, extatischen Erfahrung im Aufsuchen, Entdecken, Erleben und Erspüren der gesellschaftlich weitgehend tabuisierten, zur Gefahrenzone erklärten, als strafendes Exil sanktionierten Außenwelt - die ihm als mystischer Ruf, Sehnsuchtsheimat und Verbundenheitsort mit den "Geistern der Vorfahren" erscheint.
Vor allem aber geht es um den Wiederherstellungsapparat der "Maschine" selbst; zum einen auf gesellschaftlicher, ideologischer, religiöser, verwaltungstechnischer Ebene, wo Beharren auf Eigenart, Personifikation, Natur, Körperlichkeit, Unmittelbarkeit als Behinderung, Feindlichkeit, Frevel gegenüber Effizienz, Fortschritt, Mäßigung und "Maschine" betrachtet und als ungehörig, unmaschinell, unnötig, unsinnig stigmatisiert und schlimmstenfalls durch "Heimatsentzug", Exil, sozialen wenn nicht gar realen Tod geahndet werden; zum anderen um den vollautomatisierten Korrekturapparat der "Maschine" bzw. des maschinistischen Systems selbst; sei es als bürokratischer Apparat mit Fachidiotentum, Funktionalismus und Verantwortungsdiffusion; sei es als Selbststabilisierung durch die Verplanung, Verunsicherung, Verwaltung, Verzärtelung von Menschen als Verfügungsmasse; sei es durch automatisierte maschinelle Selbsterhaltungs-, Selbstreparatur-, Sozialkontroll-Funktionen.
Im dritten Kapitel
(The Homeless / Die Heimatlosen)
erfolgt dann in weitgehend unpersönlichem Stil eine Schilderung vom endgültigen Kippen des im zweiten Kapitel angebahnten Konflikts ins Dystopische: Die Revolte des Sohnes führt nach einer von innen heraus erfolgten Beschädigung der Außenhülle des ursprünglich als Nest, Schutz- und Versorgungs-Raums konzipierten "Maschinen"-Kokons zu seiner endgültigen Umgestaltung in einen goldenen Käfig, ein Gefängnis, einen totalitären Maschinengottesstaat.
Doch der primitivistische Sohn der maschinengläubigen Mutter wird mit seiner Prophezeiung rechtbehalten, als die Maschine nach vollendeter Ausbeutung natürlicher Ressourcen schließlich zum Stillstand kommt.
Gesamteindruck:
Diese Geschichte mag heutzutage vom reinen Plot her keine Überraschungen mehr bieten, ist aber sowohl stilistisch beeindruckend modern als auch thematisch hochaktuell und gesellschaftlich relevanter als jemals zuvor.
Die Entwicklung der Erzählperspektive von exemplarisch individuell über dialogisch konfrontativ hin zu systemisch abstrahiert sowie des Erzähltons von nüchtern über erregt bis kaltschnäuzig holt die Leserschaft aus ihrer unmittelbaren Gegenwart über eine Projektion ihrer technischen Sehnsüchte und Träume ab in die Zukunft, zieht sie durch zwei aufeinanderfolgende "Reiseerzählungen" empathisch in den Bann ihres kontinuierlichen world buildings, erhöht die Spannung geschickt durch eine sich zunehmend einschleichende Thematisierung ebenso schleichend erfolgender kultureller Verluste durch die technologische Bereicherung, und entlädt die durch einen Generationenkonflikt sowie durch Dissidententum in einer zunehmend als verantwortungslos sowie para-religiös fanatisiert entlarvten Gesellschaft aufgebaute Spannung schließlich beinahe abrupt in einer zunächst aus zynisch distanzierter Erzählhaltung heraus rapide vorangetriebenen, dann jedoch wieder in individuelle Agonie "herangezoomten" Katastrophe.
Verblüffend ist dabei
erstens, wie treffend und weitsichtig der Autor zeitgenössische technische Entwicklungen und Trends (Automatisierung, Cinematographie, Edutainment, globale Telegraphie, Lebensmittelchemie, Linientransportwesen, Maschinisierung, Planwirtschaft, Radiotechnik, Rechenmaschinen, Telephonie, zentralisierte Energieversorgung sowie Rohrpost über großstädtische Distanzen) in eine vollständig global integrierte Zukunft extrapolieren konnte;
zweitens, wie scharfsichtig er dabei psychische und soziale Folgewirkungen dieser seinerzeit noch in den Kinderschuhen steckenden Entwicklungen prognostizierte (Entkopplung wissenschaftlicher Disziplinen und Sparten-Gelehrtheit; Informations-Recycling und Remix-Kultur; Rückgang von kommerziellen Geschäftsreisen sowie individuellem "Reisefieber"; Technologiefetisch; Umweltverschmutzung; emotionale Vereinzelung bei gleichzeitiger Vernetzung der Menschen; Kurzvorträge anstelle von Fachliteratur; Zuwachs bildungs-, kommunikations-, unterhaltungs-, verwaltungs-, ideologie- und dienstleistungs-orientierter bei gleichzeitigem Rückgang agrarischer, Handels- und handwerklicher, industrieller und staatsmännischer Beschäftigungen);
und drittens, dass er schon vor dem Höhepunkt des industriellen Zeitalters, vor dem Bestehen interkontinentaler Energieversorgung, vor dem Niedergang der Monarchien und des kolonialen Zeitalters, vor der Gründung des Völkerbundes und der Welthandelsverbände, vor den ersten Linie(nflügen und-so-weiter, nicht bloß bereits eine post-industrielle, energetisch, informatisch, politisch und wirtschaftlich vollends globalisiert integrierte Welt mit einer ausgeprägten Freizeitkultur ohne die Härten körperlicher Arbeit imaginierte - sondern diese darüberhinaus uns so gar nicht als noch relativ weit entfernte Glücksverheißung etwa in den buntesten Farben ausmalte - aber ganz im Gegenteil als eine bereits drohend ihr Haupt reckende und quasi uniform grau in grau auf uns zu kommende Gefahr für die gesamte Menschheit vorzeichnete.
Im Original:
"The Machine Stops" (Novelle, 1909)
Thematik:
Es handelt sich hierbei im Wesentlichen um eine Erzählung, die sich konzeptuell bereits mit einem ganzen Verbund an Entwicklungen beschäftigt, die wir heute im Einzelnen mit so unterschiedlichen Begriffen wie "Internet der Dinge" bzw. "Smart Environment", "Soziale Netzwerke" oder auch "Künstliche Intelligenz", im Sozialverhalten jedoch auch mit "Cocooning" oder "Hikikomori" bezeichnen.
Nach der zweiten industriellen Revolution, kurz vor der Automatisierung, und noch lange vor der Digitalisierung entstand diese visionäre Fiktion einer hochtechnisierten, technologiegläubigen, wohlstandsverwahrlosten Gesellschaft von einander und ihrer Natur körperlich weitgehend entfremdet "vergeistigter" (aber deswegen nicht unbedingt rationaler) Individuen, die ihren letzten Zusammenhalt bezieht aus einer weitgehend immateriell geprägten Kultur der Kommunikation von "Ideen" unter Aufsicht, Planung und Versorgung der titelgebenden "Maschine".
Im Handlungsverlauf tritt neben die reine Beschreibung von Funktionen der "Maschine" skizzenhaft auch eine Art Technikgeschichte, die die Vorgeschichte ihrer Entwicklung und auch die allmählichen Auswirkungen ihres Bestehens auf Individuen und Gesellschaft nachvollziehbar macht, sowie auch einen schleichenden Kult der "Maschine", welcher zu autoritären Glaubenssätzen führt, zunächst andeutet und schließlich auch explizit beschreibt.
Umsetzung:
Man könnte diese Novelle auch genauso gut eine lange Kurzgeschichte in drei Kapiteln nennen. So erschien denn die Erzählung zunächst anno 1909 in einer Zeitschrift, bevor schließlich erst im Jahr 1928 das erste Mal ein Nachdruck als Buch erfolgte.
Die dystopische story wird chronologisch, multiperspektivisch, teils allwissend narrativ, teils dialogisch konfrontativ kontrastierend, weitgehend empathisch, bisweilen aber auch sarkastisch und fast schon satirisch zugespitzt entfaltet.
Nach meinem Empfinden spricht aus ihr eine Art zynischer Humanismus, wie man ihn - freilich in etwas anderer Form - auch in den Werken von Kurt Vonnegut jr. findet.
Im ersten Kapitel
(The Air-Ship / Das Luftschiff)
lernen wir die bei Schriftlegung noch utopisch anmutende Welt der Handlung durch die Wahrnehmung einer in ihr aufgewachsenen, ziemlich nüchtern wirkenden Mutter kennen, die den Anruf ihres in Relation zu ihr selbst eher anachronistisch verschroben bis romantisch überspannt wirkenden Sohnes erhält. Dieser weigert sich, mit seiner Mutter über eine angeblich wichtige Angelegenheit rein medial zu kommunizieren und verlangt danach, von ihr auf der anderen Seite der Welt besucht zu werden, was dann neben den state of the art der Kommunikationstechnik auch eine Beschreibung der Transportgeschichte der Zukunft treten lässt.
Wie schon H. G. Wells in "The War in the Air" (1908), belässt es auch E. M. Forster in "The Machine Stops" also nicht bei einer reinen Zukunftsbeschreibung, sondern erzählt auch, welche Dynamiken diese Zukunftsvision erst hervorbrachten, was eine in sich futuristisch äußerst weit von der eigenen Welt entfernte Fiktion wieder deutlich näher an die eigene Gegenwart der Autoren rückkoppelt. Sowohl Wells als auch Foster berücksichtigen dabei sowohl technische als auch gesellschaftliche Aspekte dieser Entwicklungen.
Im zweiten Kapitel
(The Mending Apparatus / Der Korrekturapparat)
wechselt die Perspektive zwischen der der Mutter und der ihres Sohnes, bei dem diese mittlerweile angekommen ist, und dessen Wahrnehmung aufgrund dessen, dass er ihr nun von seiner Skepsis gegenüber der "Maschine" sowie einer Exkursion in deren Außenwelt berichtet.
Hier prallen dann die unterschiedlichen Ideologien von Mutter und Sohn zunehmend härter aufeinander: Er erklärt "den Menschen" zum Maßstab aller Dinge und bezieht sich dabei in erster Linie auf seine Körperlichkeit, die ihm ein aufregend faszinierendes, von der Maschine unabhängiges Gefühl von Räumlichkeit und Zeitlichkeit zurückgegeben habe; sie hingegen empfindet ein starkes moralisches und auch körperliches Unbehagen bei der Vorstellung, mit primitiven, unzeitgemäßen, unvergeistigt "ideenlosen", zeitraubend unnötigen Verhaltensweisen den Geist und die Funktion der Maschine zu unterlaufen. Beide werfen sich Glauben bzw. Aberglauben vor; er ihr eine irrationale Verehrung der Maschine, sie ihm einen spirituellen Aberglauben an eine überholte Naturverbundenheit sowie irrationale Risikobereitschaft.
Im zweiten Kapitel spielt dann auch auf mehreren Ebenen die "Wiederherstellung" eine Rolle:
Zum einen begegnen sich Mutter und Sohn zum ersten Mal wieder auf direkter, zwischenmenschlicher, räumlicher Beziehungsebene anstatt auf der medial moderierten, auf abstrakte Avatare reduzierten Ebene einer terminierten, virtuellen Konferenzschaltung zum knappen "Ideen"-Austausch; neben die Information tritt die Relation.
Zum anderen geht es um die Wiederherstellung des Religiösen inmitten einer nahezu "rein" technischen Umgebung mit künstlicher Beatmung, künstlicher Nahrung, künstlicher Kommunikation: Einerseits offenbart sich im gesellschaftlichen "Mainstream" eine Vergötterung der Technologie, die sich in kommunikativer und sozialer Kompartmentisierung, in Verehrung der "Maschine" als Sinngebungs- und Sicherheits-Garant, in Fetischisierung des Maschinenhandbuchs, in einer von jeglicher Sinnlichkeit abstrahierenden Ritualisierung eines kommunikativ-medialisierten, aus Kolportage und Remixen bestehenden "Ideen"-Kults äußert; andererseits ergeht sich der "verlorene" Sohn in einer Verklärung seiner berauschenden, extatischen Erfahrung im Aufsuchen, Entdecken, Erleben und Erspüren der gesellschaftlich weitgehend tabuisierten, zur Gefahrenzone erklärten, als strafendes Exil sanktionierten Außenwelt - die ihm als mystischer Ruf, Sehnsuchtsheimat und Verbundenheitsort mit den "Geistern der Vorfahren" erscheint.
Vor allem aber geht es um den Wiederherstellungsapparat der "Maschine" selbst; zum einen auf gesellschaftlicher, ideologischer, religiöser, verwaltungstechnischer Ebene, wo Beharren auf Eigenart, Personifikation, Natur, Körperlichkeit, Unmittelbarkeit als Behinderung, Feindlichkeit, Frevel gegenüber Effizienz, Fortschritt, Mäßigung und "Maschine" betrachtet und als ungehörig, unmaschinell, unnötig, unsinnig stigmatisiert und schlimmstenfalls durch "Heimatsentzug", Exil, sozialen wenn nicht gar realen Tod geahndet werden; zum anderen um den vollautomatisierten Korrekturapparat der "Maschine" bzw. des maschinistischen Systems selbst; sei es als bürokratischer Apparat mit Fachidiotentum, Funktionalismus und Verantwortungsdiffusion; sei es als Selbststabilisierung durch die Verplanung, Verunsicherung, Verwaltung, Verzärtelung von Menschen als Verfügungsmasse; sei es durch automatisierte maschinelle Selbsterhaltungs-, Selbstreparatur-, Sozialkontroll-Funktionen.
Im dritten Kapitel
(The Homeless / Die Heimatlosen)
erfolgt dann in weitgehend unpersönlichem Stil eine Schilderung vom endgültigen Kippen des im zweiten Kapitel angebahnten Konflikts ins Dystopische: Die Revolte des Sohnes führt nach einer von innen heraus erfolgten Beschädigung der Außenhülle des ursprünglich als Nest, Schutz- und Versorgungs-Raums konzipierten "Maschinen"-Kokons zu seiner endgültigen Umgestaltung in einen goldenen Käfig, ein Gefängnis, einen totalitären Maschinengottesstaat.
Doch der primitivistische Sohn der maschinengläubigen Mutter wird mit seiner Prophezeiung rechtbehalten, als die Maschine nach vollendeter Ausbeutung natürlicher Ressourcen schließlich zum Stillstand kommt.
Gesamteindruck:
Diese Geschichte mag heutzutage vom reinen Plot her keine Überraschungen mehr bieten, ist aber sowohl stilistisch beeindruckend modern als auch thematisch hochaktuell und gesellschaftlich relevanter als jemals zuvor.
Die Entwicklung der Erzählperspektive von exemplarisch individuell über dialogisch konfrontativ hin zu systemisch abstrahiert sowie des Erzähltons von nüchtern über erregt bis kaltschnäuzig holt die Leserschaft aus ihrer unmittelbaren Gegenwart über eine Projektion ihrer technischen Sehnsüchte und Träume ab in die Zukunft, zieht sie durch zwei aufeinanderfolgende "Reiseerzählungen" empathisch in den Bann ihres kontinuierlichen world buildings, erhöht die Spannung geschickt durch eine sich zunehmend einschleichende Thematisierung ebenso schleichend erfolgender kultureller Verluste durch die technologische Bereicherung, und entlädt die durch einen Generationenkonflikt sowie durch Dissidententum in einer zunehmend als verantwortungslos sowie para-religiös fanatisiert entlarvten Gesellschaft aufgebaute Spannung schließlich beinahe abrupt in einer zunächst aus zynisch distanzierter Erzählhaltung heraus rapide vorangetriebenen, dann jedoch wieder in individuelle Agonie "herangezoomten" Katastrophe.
Verblüffend ist dabei
erstens, wie treffend und weitsichtig der Autor zeitgenössische technische Entwicklungen und Trends (Automatisierung, Cinematographie, Edutainment, globale Telegraphie, Lebensmittelchemie, Linientransportwesen, Maschinisierung, Planwirtschaft, Radiotechnik, Rechenmaschinen, Telephonie, zentralisierte Energieversorgung sowie Rohrpost über großstädtische Distanzen) in eine vollständig global integrierte Zukunft extrapolieren konnte;
zweitens, wie scharfsichtig er dabei psychische und soziale Folgewirkungen dieser seinerzeit noch in den Kinderschuhen steckenden Entwicklungen prognostizierte (Entkopplung wissenschaftlicher Disziplinen und Sparten-Gelehrtheit; Informations-Recycling und Remix-Kultur; Rückgang von kommerziellen Geschäftsreisen sowie individuellem "Reisefieber"; Technologiefetisch; Umweltverschmutzung; emotionale Vereinzelung bei gleichzeitiger Vernetzung der Menschen; Kurzvorträge anstelle von Fachliteratur; Zuwachs bildungs-, kommunikations-, unterhaltungs-, verwaltungs-, ideologie- und dienstleistungs-orientierter bei gleichzeitigem Rückgang agrarischer, Handels- und handwerklicher, industrieller und staatsmännischer Beschäftigungen);
und drittens, dass er schon vor dem Höhepunkt des industriellen Zeitalters, vor dem Bestehen interkontinentaler Energieversorgung, vor dem Niedergang der Monarchien und des kolonialen Zeitalters, vor der Gründung des Völkerbundes und der Welthandelsverbände, vor den ersten Linie(nflügen und-so-weiter, nicht bloß bereits eine post-industrielle, energetisch, informatisch, politisch und wirtschaftlich vollends globalisiert integrierte Welt mit einer ausgeprägten Freizeitkultur ohne die Härten körperlicher Arbeit imaginierte - sondern diese darüberhinaus uns so gar nicht als noch relativ weit entfernte Glücksverheißung etwa in den buntesten Farben ausmalte - aber ganz im Gegenteil als eine bereits drohend ihr Haupt reckende und quasi uniform grau in grau auf uns zu kommende Gefahr für die gesamte Menschheit vorzeichnete.
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