Musik und Authentizität

Da sagst du was Wahres. Aber sollte nicht auch die Form des Geschriebenen in gewisser Weise das widerspiegeln, was man im Text verhandelt; gerade wenn es um Fragen der Kunst und allgemein der Ästhetik geht? Oder ist das für eine einfache Forumskommunikation zuviel der Zumutung und zu anstrengt/anstrengend?

Ich will nicht polemisieren und glaube dir sofort, dass deine Zuneigung für diese Sprachästhetik und ihre Möglichkeiten sozusagen aufrichtig ist. Das wäre für mich aber keine Frage der Zumutung und Anstrengung, sondern ganz einfach der Politik (der Form, der Sprache) - gar nicht so unpassend, wenn es um gesellschaftliche Fragen wie Kunst und Ästhetik geht.
 
sicherlich ist die Frage, was Authentizität jetzt ausmacht oder nicht, schwierig zu beantworten. für mich persönlich kann ich das an 2 Bands sehr gut ausmachen, ganz einfach weil ich beide für den Inbegriff dessen halte.

Overkill - haben sich nie verbogen, immer Ihren Stil durchgezogen. waren auch dann auf Tour wenn der Wind hart blies und es eigentlich nix zu holen gab...war denen egal. wo andere Bands, gerade in den Neunzigern, sich rar gemacht hatten...da sind die Jungs regelmässig auf Tour gewesen und haben auch Veröffentlichungstechnisch nicht nachgelassen. die hatten einfach Bock auf Ihre Musik und alles was damit zu tun hat (Tour, Interviews usw.)

Deep Purple - im Grunde genau das gleiche wie bei Overkill, wenn auch auf einem anderen Level. haben das gemacht was gemacht werden musste und haben es durchgezogen. die waren sich auch nicht zu schade Abstriche zu machen was die Grösse der Gigs usw. angeht.

das ist für mich der Inbegriff von Authentizität und wahrer Hingabe an die Musik. keine der beiden Bands habe ich jemals in Interviews jammern gelesen, Kopf hoch und durch...verfickten Respekt!
Gerade über sowas kann man aber diskutieren - gerade auch weil, z.B. "Größe der Gigs" ein Umstand ist, den die Bands selber ja gar nicht beeinflussen, sondern in dem sich Erfolg oder Misserfolg mit den jeweils gewählten musikalischen und außermusikalischen Mitteln widerspiegeln. Natürlich wirkt es sympathischer und ergo authentischer, wenn man sich hinterher als der standfeste Verlierer, der niemals aufgegeben hat, präsentieren kann. Das erlaubt es umgekehrt sogar noch, die Versuche, bei denen man sich erfolglos irgendeiner Mode angebiedert hat, schönzureden (was natürlich andererseits überhaupt nicht nötig gewesen wäre, wenn man damit denn eben den erhofften Erfolg gehabt hätte...). Und Jammern? Selbst das kann man noch als "streitbar, direkt und nie ein Blatt vor dem Mund" verkaufen - manche Leute mögen wahrscheinlich schon Markus Jüllichs letztjährige Aufreger-Aktion als "authentisch" empfinden.

Nun aber ausgerechnet zu den von dir genannten Bands: Overkill beispielsweise waren ja auch nicht frei von Einflüssen. "I Hear Black" beispielsweise wird ja gerne als Rückbesinnung auf bluesig-rockig-doomige, i.e. Black-Sabbath-beeinflusste Klänge interpretiert, die Overkill im Soge des Erfolgs von Metallicas "Black Album" (und vielleicht sogar des Grunge) angeschlagen hätten - natürlich erfolglos, aber das Kalkül muss wohl da gewesen sein. Ebenso hängt "From The Underground... And Below" sowie "Necroshine" bis heute dieser Industrial/Neo-Thrash-Ruch an, also wiederum eine Anbiederung an etwas, das damals - im Gegensatz zu Overkill - kommerziell erfolgreich war (Pantera, Fear Factory). Später gab's dann Ende der 00er Jahre dieses Retro-Thrash-Revival, in das Overkill mit "Ironbound" perfekt passen.

Und Purple? Ian Gillan wird ja nicht müde zu betonen, die Band habe damals die unterschiedlichsten Hintergründe der jeweiligen Mitglieder berücksichtigten müssen, weshalb auch so außergewöhnliche Nummern wie "Anyone's Daughter" auf den Platten gewesen seien. Und trotzdem: Die zunehmende Funk- und Soul-Tendenz auf den Alben mit Hughes, Coverdale und später Bolin kann man sicher nicht damit erklären, das wirkt eher wie eine Art bewusste Entwicklung. Genau, wie umgekehrt die 80er-Rückkehr mit Hochglanz-Bombastrock sicherlich auch zu einem Gutteil auf Kalkül basiert haben dürfte (man vergesse nicht, dass insbesondere Lord und Gillan [zu Zeiten der Ian Gillan Band] wenige Jahre zuvor noch ganz andere Musik gemacht hatten. Und dann noch die ersten Alben mit Steve Morse später, die ebenfalls nicht frei von Trends waren...

Na ja, "Authentizität" ist auch hier offenbar wieder eine auf ziemlichem romantischen Wunschdenken basierende Zuschreibung. Und auch hier lässt sich mit genug gutem Willen noch alles einem positiven Image anhängen. Statt "Anbiederung" kann man auch sagen: Die Band versteht es eben, mit der Zeit zu gehen bzw. modern/jung und damit "relevant" zu bleiben - das sind alles so ein oft und gerne von diversen Szene-Sprachrohren verwendeter Trend-Floskeln. Und das ist vielleicht auch der Kern dieses Problems: "Authentizität" kommt niemals von innen, sondern wird viel zu oft von außen zugeschrieben und behauptet. Das alleine macht es schon schwierig, sowas überhaupt als "Wert" zu akzeptieren.
 
Das sehe ich nicht so. Genausowenig, wie jedes Bild, Gemälde, Foto, jede Statue, jedes Haus und jeder Text Kunst ist.

Im speziellen Fall des Metal in so ziemlich all seinen Schattierungen würde ich wohl auch eher von einer Art trivialer, dabei kultisch aufgeladener Kulturware mit Sublimierungspotenzial und, in seltenen Fällen, Kunstanspruch sprechen.

Edit: Das Album MoRT von Blut aus Nord würde mir als Beispiel für eine ambitionierte Band einfallen, die ihren Kunstanspruch tatsächlich einzulösen vermag.
 
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Edit: Das Album MoRT von Blut aus Nord würde mir als Beispiel für eine ambitionierte Band einfallen, die ihren Kunstanspruch tatsächlich einzulösen vermag.

Genau dieses Album hatte ich unter anderem im Kopf, als ich meinen stilistisch wohl etwas missglückten :)Sermon über Authentizität verfasste. Auch für mich eine Paradebeispiel für geglückte Kunst.
 
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Gerade über sowas kann man aber diskutieren - gerade auch weil, z.B. "Größe der Gigs" ein Umstand ist, den die Bands selber ja gar nicht beeinflussen, sondern in dem sich Erfolg oder Misserfolg mit den jeweils gewählten musikalischen und außermusikalischen Mitteln widerspiegeln. Natürlich wirkt es sympathischer und ergo authentischer, wenn man sich hinterher als der standfeste Verlierer, der niemals aufgegeben hat, präsentieren kann. Das erlaubt es umgekehrt sogar noch, die Versuche, bei denen man sich erfolglos irgendeiner Mode angebiedert hat, schönzureden (was natürlich andererseits überhaupt nicht nötig gewesen wäre, wenn man damit denn eben den erhofften Erfolg gehabt hätte...). Und Jammern? Selbst das kann man noch als "streitbar, direkt und nie ein Blatt vor dem Mund" verkaufen - manche Leute mögen wahrscheinlich schon Markus Jüllichs letztjährige Aufreger-Aktion als "authentisch" empfinden.

Nun aber ausgerechnet zu den von dir genannten Bands: Overkill beispielsweise waren ja auch nicht frei von Einflüssen. "I Hear Black" beispielsweise wird ja gerne als Rückbesinnung auf bluesig-rockig-doomige, i.e. Black-Sabbath-beeinflusste Klänge interpretiert, die Overkill im Soge des Erfolgs von Metallicas "Black Album" (und vielleicht sogar des Grunge) angeschlagen hätten - natürlich erfolglos, aber das Kalkül muss wohl da gewesen sein. Ebenso hängt "From The Underground... And Below" sowie "Necroshine" bis heute dieser Industrial/Neo-Thrash-Ruch an, also wiederum eine Anbiederung an etwas, das damals - im Gegensatz zu Overkill - kommerziell erfolgreich war (Pantera, Fear Factory). Später gab's dann Ende der 00er Jahre dieses Retro-Thrash-Revival, in das Overkill mit "Ironbound" perfekt passen.

Und Purple? Ian Gillan wird ja nicht müde zu betonen, die Band habe damals die unterschiedlichsten Hintergründe der jeweiligen Mitglieder berücksichtigten müssen, weshalb auch so außergewöhnliche Nummern wie "Anyone's Daughter" auf den Platten gewesen seien. Und trotzdem: Die zunehmende Funk- und Soul-Tendenz auf den Alben mit Hughes, Coverdale und später Bolin kann man sicher nicht damit erklären, das wirkt eher wie eine Art bewusste Entwicklung. Genau, wie umgekehrt die 80er-Rückkehr mit Hochglanz-Bombastrock sicherlich auch zu einem Gutteil auf Kalkül basiert haben dürfte (man vergesse nicht, dass insbesondere Lord und Gillan [zu Zeiten der Ian Gillan Band] wenige Jahre zuvor noch ganz andere Musik gemacht hatten. Und dann noch die ersten Alben mit Steve Morse später, die ebenfalls nicht frei von Trends waren...

Na ja, "Authentizität" ist auch hier offenbar wieder eine auf ziemlichem romantischen Wunschdenken basierende Zuschreibung. Und auch hier lässt sich mit genug gutem Willen noch alles einem positiven Image anhängen. Statt "Anbiederung" kann man auch sagen: Die Band versteht es eben, mit der Zeit zu gehen bzw. modern/jung und damit "relevant" zu bleiben - das sind alles so ein oft und gerne von diversen Szene-Sprachrohren verwendeter Trend-Floskeln. Und das ist vielleicht auch der Kern dieses Problems: "Authentizität" kommt niemals von innen, sondern wird viel zu oft von außen zugeschrieben und behauptet. Das alleine macht es schon schwierig, sowas überhaupt als "Wert" zu akzeptieren.

ich würde die Begrifflichkeit Authentizität auch eher auf die Person/en beziehen. das hat sicherlich auch etwas mit ihrer Musik zu tun (logisch), aber in erster Linie mit ihrer Standfestigkeit. beide von mir genannten Bands sind am Ball geblieben und haben Musik veröffentlicht obwohl der Markt dafür weg war (Overkill) oder kleiner geworden ist (Deep Purple).

das manchmal Kalkül eine Rolle spielt mag durchaus sein. aber welche Band mit vielen veröffentlichten Alben kann sich davon freisprechen. ich gehe sogar soweit das ich denke das es manchmal einfach sein muss aus dem Korsett auszubrechen. gerade bei Overkill hört man immer das es Overkill sind, von daher sind die Trademarks jederzeit vorhanden gewesen. wurden halt nur geupdated, aufgefrischt oder was auch immer. die Jungs haben ja nach The Years Of Decay ziemlich aufgeräumt und den Sound etwas verändert, zumindest in meiner Erinnerung. ich habe die Band in den Neunzigern vor 20 Leuten live gesehen und trotzdem haben die Gas ohne Ende gegeben...sah für mich so aus als ob sie immer noch Bock auf ihre Mucke hatten.

Lemmy hat im laufe der Jahre auch den Sound von Motörhead verändert, da wäre niemand auf die Idee gekommen ihn oder die Band als nicht Authentisch zu bezeichnen. wäre auch doof, weil er es einfach war. das gleiche empfinde ich bei Overkill auch.
 
@subcomandante Wie so häufig ein sehr interessanter, aber kaum lesbarer Beitrag von dir :D Ein paar Punkte wollte ich kurz noch mal aufgreifen:

Diesem Kult um Authentizität, der vor allem in subkulturellen Jugendszenen um sich greift, den man zuvor aber schon in romantischen Strömungen, in Eigentlichkeitsphilosophien oder eben auch in Sartres Existenzialismus antrifft, mag ich nicht viel abgewinnen, was vor allem daran liegt, dass Authentizität in einer dialektischen Volte gerade vorgibt, nicht das zu sein, was sie ist: Schein.

Der Schein, von dem du sprichst, kommt doch aber erst dann zum Tragen, wenn die hier diskutierte Authentizität nach außen gerichtet ist, oder? Wenn wir bei der Musik als Beispiel bleiben, dann denke ich schon, dass Authentizität erreicht werden kann, wenn dem Musiker wirklich scheißegal ist, was andere von seiner Musik denken. Das hat in meinen Augen auch nichts damit zu tun, dass "nach außen hin" veröffentlicht wird. Die Substanz kommt aus der Stellung zum eigenen Schaffen. Alles andere sind "Abfall"produkte. Diese Stellung zum eigenen Schaffen kann sich natürlich mannigfalit ausdrücken (Unterhaltung, Lehre, Diskurs, was auch immer).

Authentizität in der Kunst (und damit natürlich auch im Metal) ist vor allem auch eine eindeutige Korrespondenz des Ausdrucks mit dem Ich; sie ist damit wohl auch eine Reaktion auf spätmoderne Anforderungen an das soziale Selbst

Da ich gerade ein wenig Jung lese, muss ich natürlich fragen, ob du die Sache mit dem Ich und dem Selbst etwas näher ausführen kannst. Das Ich repräsentiert ja "nur" den bewussten Teil des Menschen, quasi das Resultat aus Tradition und Rezeption dieser. Das Selbst wiederum beinhaltet auch den unbewussten Teil, und erst durch die Kombination dieser beiden ergibt sich ein ganzheitliches Bild vom Menschen (Musiker). Von daher denke ich, dass es durchaus ausreichend authentisch wäre, wenn man sich musikalisch-textlich mit den unbewussten Aspekten des Lebens oder seiner selbst auseinandersetzt. Gerade im Black Metal ja ein vielerorts abgehandeltes Thema, wie ich finde.

Wenn Authentizität eine Korrespondenz von Ausdruck und Ich ist, wenn Authentizität mithin für Echtheit, Unverfälschtheit, Treue mit sich selbst steht, dann ist sie weiters auch immer mit der Notwendigkeit verbunden, festzustellen, was dieses Ich eigentlich ist. Sie ist Selbstforschung, Selbstbefragung, sie ist die vergebliche Suche nach einem Wesenskern der Identität, den es so nicht gibt. Wenn das Ich ein sich in steter Entwicklung befindliches Artefakt sozialer und kultureller Einflussgrößen ist (die wiederum soziale Prozesse und eben nicht petrifizierte Hypostasierungen darstellen), dann ist diese Suche um die wahre Natur des Ichs eine vergebliche; sie ist wieder ein undurchschauter, falscher Schein, der auch deshalb und vor allem deshalb ein falscher ist, weil er die gesellschaftlichen Zusammenhänge nicht durchschaut, weil er etwas will, was es nicht geben kann, weil er Natur will und Kultur meint.

Wie gesagt, ich halte es für verkehrt oder zumindest verkürzend, nur nach dem Ich zu fragen. Um das "Selbst" muss es gehen. Und das kann absolut authentisch in der Musik abgehandelt werden.
 
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