Ijon, ich will es dir und vor allem den anderen ersparen, seitenweise hin und her über "Barbie" zu debattieren. Das Netz ist voller Filmsequenzen und ich habe auch dort einen recht ernüchternden Einblick in den Film bekommen. Du selbst hast wenige Seiten zuvor noch zugegeben, dass der Film seine Botschaft mit dem Holzhammer verteilt. Und das findest du intellektuell ersprießlich? Tatsächlich könnte ich mir den Film ansehen, um mich hier berechtigter auszulassen als ich es jetzt tue. Das stimmt. Denn du hast schon Recht - wenn einer daherredet und sich nicht auskennt, hat er sich selbst ein Ei gelegt. Und tappt von einem Fallstrick in den nächsten. Und ich würde das selbstverständlich auch ausnutzen. Das Ding, das ich allerdings meine zu sehen, ist, dass du meiner Erfahrung nach doch eher jemand bist, für den immer die Politik zuerst kommt. Und dann erst die Kunst oder der Film. Und bei mir ist es genau andersrum. Für mich kommt sowohl beim Film als auch bei der Musik immer erst die Kunst. Und dann die Politik. Obwohl man das natürlich nie trennen kann. Es geht mir aber um den Fokus, den ich setze. Ein Film kann
superlinks sein und dabei einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Oder
reaktionär. Und trotzdem für mich ein Fest. Zugegeben finden sich unter meinen Lieblingsfilmen auffallend viele Filme, die man landläufig als
links bezeichnen würde. Aber so ist das eben für mich. Erst die Kunst, dann die Politik! Dieses dauernde Politisieren wegen jedem Furz langweilt mich heutzutage fast zu Tode. Obwohl ich freilich ein politisch interessierter Mensch bin. Aber diese Polit-Brille, die manche den ganzen Tag aufhaben und nie abnehmen wollen oder können, macht doch blind. Für die Kunst. So sehe ich das jedenfalls. Und um den Bogen zu deinem "Barbie" zu spannen, der bei dir Dauerthema zu sein scheint: Wäre die Botschaft dieses Films eine exakt gegenteilige... wären die Männer also dort die Chefs im Land und die Frauen an ihren Platz verbannt... würdest du den Film genauso geil finden? Na, Hand aufs Herz? Oder ist es eben vor allem die Botschaft, die dich so abholt? Und nicht die "Filmkunst". Denn da erwarte ich mir nur ein von der Optik her mit Sicherheit gelungenes Style-over-Substance-Produkt. Wie etwa "300". Wie findest du den? Optisch immerhin auch toll. Botschaft ist auch Holzhammer. Aber eben eine völlig andere Botschaft... Ja, ich müsste den Barbie mal sehen, damit ich in der Position bin, qualifiziert zu urteilen. Punkt geht an dich. Ob dir das dann aber so viel besser gefiele, wage ich arg zu bezweifeln.
300 halte ich für ein super Beispiel. Ich mag den Film sehr gerne. Der hat natürlich eine völlig dünne Story, aber diese wird konsequent und bis ins letzte Detail so durchgehauen und das in einer völlig überzogenen Optik. Mad Max Fury Road, wäre genau das gleiche nur mit weniger Politik. Ich liebe beide Filme.
Das Ding ist, 300 glorifiziert die faschistischen Spartiaten und deren Kriegslust zwar komplett, aber das ganze ist so völlig überzogen und drüber, dass da völlig klar ist, dass das nie ernst gemeint ist. (Das irgendwelche Genies wie die Identitären Bewegung, sich das dann trotzdem als Symbol nehmen, bleibt nicht aus...das sind halt komplette Blitzbirnen)
Barbie hätte ich natürlich nicht so gefeiert, wenn dessen Botschaft das Gegenteil gewesen wäre. Das liegt aber nicht daran, dass der Film nur die Botschaft ist, sondern sie ist ein essentieller Teil des Films. Keine Ahnung, ob ein anderer Barbiefilm mich ähnlich begeistert hätte, aber es hätte sicher noch tausende Möglichkeiten gegeben, dass umzusetzen. So wie Gerwick es umgesetzt hat, hat die Botschaft aber dazu gehört.
Das ich bei dem Film inzwischen ein Fanboy geworden bin, gebe ich gerne zu. Mich hat tatsächlich lange kein Film mehr so begeistert aus dem Kino kommen lassen, wie Barbie. Das liegt aber an allem was der Film zu bieten hat. Er ist von vorne bis hinten wunderschön und ähnlich konsequent durchdesigned wie 300 oder Fury Road. Ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl, dass wegen irgendeines Klischees, einer Konvention, oder Sehgewohnheiten Kompromisse eingegangen wurden. Er hat eine völlig originelle Story, die sich auch nicht wirklich klassifizieren lässt und an so vielen Ecken mit allen möglichen erzählerischen Wänden und Erwartungen bricht, dass ich mich gewundert habe, dass es am Ende alles so gut zusammen passt. Die beiden Hauptcharaktere sind jetzt schon absolute Ikonen. Es gibt mehrere Gänsehautszenen und noch mehr die sich nachhaltig festgesetzt haben. Dazu noch der glorreiche Soundtrack und der besten Musical Nummer seit langer Zeit. Das alles zu dem genialen Set und Kostüm-Design und der Kamera von Rodrigo Prito (u.a. Wolf of Wallstreet, Irishman und Killers of the Flowermoon).
Und ja, ich sagte, der Film arbeitet oft mit dem Holzhammer. Aber ich sagte auch, dass das nur eine von vielen Ebenen ist. Diese vielen Ebenen ist eine der Dinge, die ich an einem Film für intellektuell ersprießlich halte.
Das alles kommt zu der Botschaft, noch dazu.
Um noch kurz was zu dem Teil von
@Hugin zu erwähnen: Barbie hat übrigens keine Story. Barbie ist einfach nur eine Puppe, ohne Geschichte. Alles was es dazu an Geschichte gibt, sind Projektionen und Narrative der Gesellschaft. Das sehe ich als weiteren gewichtigen Grund dafür, dass bei Barbie eine irgendwie politische Botschaft mit zum Film gehört.
Was ich da auf der anderen Seite inzwischen fast Holzhammer-artig empfinde ist diese ganze "dröhn"-Epik von Oppenheimer und Dune. Gefühlt muss in jedem Streifen dieser Dröhn-Sound kommen, damit auch jeder weiß wie super episch und wichtig alles gerade ist. (Ich mag sowohl Oppenheimer, als auch Dune, als auch Dröhn-Sounds).
Ich verstehe die ganze Diskussion nicht. Klar passen sich Filme immer dem Zeitgeist an. Das Internet hat die Masse mittlerweile so trainiert, dass man das Hirn ausschalten muss um die Unterhaltungsfilme unkritisch zu konsumieren. Aber für den Filmliebhaber ist das doch genauso wie für den Musikliebhaber: Wenn man gute Filme sehen möchte, muss man einfach länger dafür recherchieren und suchen. Filme wie Der Leuchtturm, Hereditary, Terrifier, Get Out, Us, Nope. Midsommar, Everything Everywhere All at Once, Ex Machina, Minari, Conjuring, The Green Knight, Mid90s, The VVitch, Sicario, Blade Runner 2049, Smile, Dunkirk, Dune, … entschädigen doch für jeden dämlichen CGI-Popcorn Blockbuster mit schlechtem Drehbuch.
Also die meisten davon liefen doch aber alle groß im Kino und waren auch durch Trailer, etc. angekündigt. Für den Rest reicht es aber auch, wenn man Cinema Strikes Back auf Insta abonniert hat. Und die sind bei Funk. Also als große Geheimtipps würde ich die meisten davon jetzt.
Die "Früher war alles besser" Mentalität ist eine zweischneidiges Schwert und wird oft mit "Früher war ich begeisterungsfähiger und leichter zu beeindrucken" verwechselt.
Ich würde eher sagen früher war nicht alles besser aber Vieles. Im hier diskutierten Kontext stimmt das schon irgendwie, den gerade im Bereich Film wiederholt sich vieles
nur noch. So Klopper wie T2, Jurassic Park usw. gibt es nicht mehr.
Beide sind gute Beispiele dafür, wie man digitale Effekte und praktische vermischt, selbige sparsam einsetzt und dadurch unglaublich beeindruckende Filme machen kann.
Sowohl bei T2 als auch bei Jurassic Park saß ich mit offenem Mund im Kino. Was heute so so unter den beiden Marken veröffentlicht wird spottet jeder Beschreibung.
Warum nur? Nun, schlechte Drehbücher, nervige Charaktere und ein Effekte Overkill. Das Problem heutiger Blockbuster.
Trotzdem habe wir noch potenzielle Klassiker wie Oppenheimer, Dune, Arrival usw. und dafür bin ich dankbar. Aber was unterscheidet die von hirnlosem Marvel und Disney Content?
Richtig, gute Drehbücher, tolle Charaktere und den Focus auf die Geschichte und nicht auf die Effekte oder irgendwelche Holzhammer Botschaften. Merkt ihr was?
Barbie lasse ich hier außen vor, da ich den weder gesehen noch großes Interesse daran habe.
@Ijon Tichy du sagst auf meinen Post hin, dass früher Frauen trottelig dargestellt wurden und das auch nicht besser war. Nun, das wurden sie eben nicht! Ausnahmen gibt es natürlich.
Gestern "The Abyss" gesehen. Da war der Frauencharakter auf Augenhöhe mit dem männlichen Cast. Selbstbewusst, stark und charismatisch. Der männliche Cast war es aber auch auch.
Das war eigentlich nie wirklich anders. Psycho... Bates Mutter, Ripley, Prinzessin Leia, Sarah Connor, Red Sonja usw. Wer evolutionär bedingte anatomische Unterschiede anzweifelt und eine daraus
folgende sinnvolle Rollenverteilung anprangert, dem kann ich halt auch nicht helfen. Aber selbst da gab und gibt es genug Diversität. Man denke nur an Goldeneye und Famke Jansen, die fast Bonds
Nüsse geknackt hätte
vor 30 Jahren. Der aktuelle Trend geht da völlig in die falsche Richtung, wirkt aufgesetzt und unglaubwürdig.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich da von Ausnahmen im Gegensatz zu der Regel sprechen würde, aber trottelig ist in dem Fall wohl auch nicht das richtige Wort. Es geht mehr um eine Art Trophäe. Die mag nicht direkt trottelig sein, aber sie ist eben auch nicht wichtig genug für eine eigene -vom Mann unabhängige- Handlung. Und da sind Ripley und Sarah Connor definitiv eher die Ausnahmen.
Körperliche Überlegenheit ist dabei aber auch nur eines von vielen Merkmalen.
Ansonsten halte ich tatsächlich gar nichts von dieser künstlichen intellektuellen Überhöhung von Oppenheimer und Co.
Was sind denn die tollen Charaktere aus Oppenheimer und welche charakterlichen Eigenschaften haben die so?
Und wieso sind Marvel Filme im Gegensatz zu Dune so hirnlos? Dune ist am Ende auch nur die Story von dem Typen der sich einem archaischen Volk anschließt und die dann aus einer Knechtschaft führt. Sieht alles geil aus und ist monumental gefilmt, aber wieso kann man das nicht einfach für sich geil finden, anstatt es künstlich zu überhöhen, indem man etwas anderes abwertet?
Ich saß bei Endgame genauso mit offenem Mund im Kino und das Ding hat nach wie vor Kinogeschichte geschrieben, weil es sowas gigantisches wie das MCU noch nie zuvor gab.
Arrival wäre hier die einzige Ausnahme, weil es da tatsächlich um einen Film geht, der seine Probleme nicht durch stumpfe Gewalt löst, sondern durch eine höhere Kommunikationsform und eine nie zuvor gezeigte, intelligente Form der Zeitreise. Ebenfalls geiler Film, aber es sollte offensichtlich sein, dass es völlig unsinnig ist, deshalb alle Filme die es nicht so handhaben, schlecht zu reden.