Lesen will gelernt sein
Ich sagte doch, dass in den allermeisten Fällen spätestens nach 6, 7 Alben (und nicht nach dem ersten Demo) die Luft raus ist. So gut wie alle Bands verlieren mit den Jahren schlicht und einfach das jugendliche Feuer (biologisch wohl unvermeidbar), viele zudem auch die Unbeschwertheit der Anfangstage (dadurch bedingt, dass die Band oftmals zum Beruf geworden ist) - eben all das, was dafür sorgt, dass die ersten Platten einer Band oftmals die leidenschaftlichsten sind. Und nichts anderes sollte Musik sein: vertonte Leidenschaft.
Wir können an großen Bands nehmen, wen wir wollen. Mit den wirklich essentiellen Alben hört es doch relativ schnell auf, meist noch im ersten Jahrzehnt des Bestehens:
Iron Maiden: Nach "Somewhere in Time" (respektive "Seventh Son ...") braucht man nichts mehr (6 Alben).
Metallica: Mit viel Wohlwollen 5 vernünftige Alben, danach Schicht.
Slayer: Ich war nie der große Slayer-Freund, aber allerspätestens nach "Seasons in the Abyss" war ja wohl Sense, oder? (5 Alben)
Manowar: Wirklich geil war es nur bis "Sign of the Hammer", wenn man ein Auge zudrückt, kann man noch die nächsten beiden Alben dazu nehmen. (6 Alben)
Judas Priest: Sind eine kleine Ausnahme, da sie bis "Defenders ..." (10 Alben) respektive "Painkiller" (13 Alben) durchgehalten haben. Wobei da auch schon einige weniger überzeugende Platten dazwischen waren.
Im extremeren Metal-Bereich ist die Sache noch deutlicher als im klassischen Metal-Sektor: Bei vielen Black- und Death-Metal-Truppen war nach maximal 3 oder 4 Alben die Luft raus. Um nur mal einige bekanntere Namen zu nennen: Entombed bis "Wolverine Blues" (3 Alben), Cannibal Corpse bis "The Bleeding" (4 Alben), Morbid Angel bis "Covenant" (3 Alben), Impaled Nazarene bis "Suomi Finland Perkele" (3 Alben), Katatonia bis "Discouraged Ones" (3 Alben), Therion bis "Lepaca Kliffoth" (4 Alben), Tiamat bis "Wildhoney" (4 Alben), Samael bis "Passage" (4 Alben) usw. ff.
Ich sage damit nicht, dass alle späteren Alben dieser Bands der totale Müll sind - aber den Frühwerken können sie doch in 99 % der Fälle nicht das Wasser reichen. Ja, sicher gibt es ein paar wenige Ausnahmen. Aber hierbei handelt es sich um Bands, die sich in stilistischer Hinsicht meist mehrfach gehäutet haben und dabei trotzdem (oder gerade aufgrund all dieser Veränderungen!) glaubwürdig und interessant geblieben sind, bspw. Darkthrone oder Paradise Lost.
Grand Magus: Haben doch erst 7 Alben draußen, sind damit noch zu jung. Außerdem: Welches der letzten Werke war denn bitte so toll? Ich erinnere mich an die "Triumph and Power", die hatte gerade zwei gute Lieder (Titelstück sowie "On Hooves of Gold").
Bolt Thrower: Nach "War Master"/"The 4th Crusade" doch nur lieblos selbst kopiert. Die letzten Alben braucht wirklich keine Sau, oder?
Enslaved: Opus magnum ist hier doch ziemlich eindeutig die "Frost". Als Übergangsalben sind zwar selbst "Monumension" und "Below the Lights" noch halbwegs reizvoll, aber die letzten 4, 5 Alben waren doch echt zum Einschlafen.
Primordial: Hatten ihre stärkste Phase meiner Meinung nach mit "A Journey's End" und "Spirit The Earth Aflame". Die Alben danach zwar nett, aber zunehmend austauschbar. Zudem wäre bspw. die vielgelobte "The Gathering Wilderness" auch erst die 5. Platte. Die letzten beiden Alben (ab der "Redemption ...") zeigen jedenfalls eine deutliche Abwärtsentwicklung.
Opeth: Hat sich für die letzten 4, 5 Alben noch irgendwer außer beinharten Fanboys interessiert? Muss völlig an mir vorbeigegangen sein. Nach "Blackwater Park" hatten die Herren alles gesagt.
Ach ja, Overkill: Mit zweitklassigem Thrash habe ich mich nie befasst, nicht meine Baustelle
@Thergothon :
Ich möchte doch nochmal etwas ausführlicher auf die von dir genannten Bands eingehen, da ich denke, dass du schon ein paar Sachen mit deinen Beiträgen berührt hast, die durchaus diskussionswürdig sind. Leidenschaft, jugendliches Feuer vs. bloßer "Job" bzw. Existenzsicherung inkl. "die können ja nix anderes machen". Aber ich denke auch, dass du da vielleicht etwas zu undifferenziert rangehst.
Erst einmal denke ich, dass man keiner Band zum Vorwurf machen kann, wenn sie ihr jugendliches Feuer im Studio oder auf der Bühne mit den Jahren verliert. Man nennt das altern. Soll vorkommen. Auch wenn uns die Werbung das tagtäglich als "Makel" verkaufen will. Und manchmal habe auch ich das Gefühl, dass dieser natürliche Vorgang auch im Metalsektor fast schon "verboten" ist. Klar, in unserer Musik ist es sicher schwieriger in Würde zu altern, als z.B. im Bluessektor. Metal ist ja nun schon ziemlich mit jugendlichen Furor indentifiziert und in den vergangenen Jahrzehnten hatten wir noch nicht so das "Problem", dass Bands plötzlich "wegsterben", da unsere Musik doch noch RELATIV jung war. Das ist mittlerweile anders und das wird sicher auch noch zu interessanten Entwicklungen führen, wenn die großen "Alten" in ein paar Jahren nicht mehr da sind.
Aber um nochmal auf den Ausgangspunkt zurück zu kommen: Diesen natürlichen Prozess verwechselst du anscheinend mit "keinen Bock mehr haben".
Und das sehe ich nicht so. Nur mal so als Beispiel: Ich gehe heute auch nicht mehr unbedingt in den Moshpit vor die Bühne. Heißt das jetzt: "Der Typ hat keinen Bock mehr auf das Konzert/die Musik". Nee, sicher nicht. Im Gegenteil: Meine Leidenschaft für die Musik ist über die Jahre eher größer geworden. Gerade bei extremeren Metal-Bands habe ich aber öfters mal den Eindruck, dass denen der Alterungsprozess und die damit einhergehende Änderung des Bühnenverhaltens öfters mal als "Bocklosigkeit" ausgelegt wird. Ich finde, dass man es sich damit etwas zu einfach macht. Das zeigt aber vor allem leider, dass der "Leistungsgedanke" unserer Gesellschaft (vor der man sich ja eigentlich im Metalsektor abgrenzen will, jedenfalls war das mal so...) auch auf "unsere" Szene übergreift. Anscheinend zählt dann für manche auch hier nur jugendliche Vitalität, man will nur den "alten" (sprich: jugendlichen) Kram hören, alles nach Neunzehnhundertsowieso ist nur noch geduldet und kann NATÜRLICH niemals an die Klassiker ranreichen. Als ob das ein in Stein gemeißeltes Gesetz wäre. Albern.
Und gerade bei Maiden geht mir diese Behauptung (auch weil sie fast Mantra-artig ständig wiederholt wird) gehörig auf den Zeiger. Ich habe es schonmal geschrieben: Ich ziehe manche neuere Alben (wie z.B.: AMOLAD oder aktuell TBOS) durchaus manchen "unantastbaren" Klassikern wie "Killers" oder "Piece of Mind" vor. Sind Maiden heute noch so spritzig und "jugendlich" auf der Bühne oder in ihrem Songwriting? Nein, ganz sicher nicht. Ist die Qualität ihrer Musik/ihrer Liveshows dadurch schlechter? Ganz klar: Nein.
Aber richtig: Differenzieren. Es gibt sicher Bands, deren neue Alben tatsächlich nicht mehr an die Qualität früherer Alben heranreicht. Warum auch immer. Aber ist das die Regel? Bei deinen angegebenen "99%" sollte man das fast meinen. Ich glaube aber nicht.
Schauen wir uns mal einige deiner Beispiele an. Ich will jetzt nicht auf jede von dir genannte Band eingehen.
Maiden. Natürlich. Die Königsdisziplin der "ewig Gestrigen" in Bezug auf "der heilige Gral und seine 9 Stiefkinder". Wie schon geschrieben. Ich sehe das anders. Maiden sind für mich eine Band, die nach wie vor relevante, hochklassige Alben macht, auf deren Livepremiere ich mich freue. TBOS steckt von den glorreichen 7 mindestens 2 LOCKER in die Tasche.
Metallica. Richtig. Obwohl "Death Magnetic" schon in Ordnung geht. Vielleicht kommt ja noch was. Würde ich noch nicht komplett abschreiben.
Slayer. Bin ich bei dir. Ich war aber auch noch nie der Riesenfan. Nach "Seasons.." hätte da aber auch für mich Schluß sein dürfen.
Manowar. Ja.
Priest. Ja.
Grand Magus. Unhaltbar. Die letzten 4 Alben sind eines besser als das andere und stecken die ersten 3 Alben locker in die Tasche. Die neue wird (da bin ich mir sicher) keine Ausnahme sein. "Jung" ist von diesen Veteranen wie gesagt auch keiner mehr.
Bolt Thrower. Totaler Quatsch. Seinen Stil finden und ihn "lediglich" nur um Nuancen verfeinern bedeutet nicht gleich "kopieren". Und ein 10-Punkte Album wie "Those once loyal" braucht "keine Sau"? Come on.
Enslaved. Für mich ein Paradebeispiel einer Band, die sich durch und durch glaubwürdig "weiterentwickelt" hat. Wenn ich qualitativ hochwertigen BM hören will, lege ich "Frost" auf, wenn es etwas "anspruchsvoller" sein soll eines der letzten Alben. Das Leben kann so einfach sein. Win-Win.
Primordial. Ebenfalls unhaltbar. Die letzten beiden Alben sind mindestens auf Augenhöhe mit den ersten Scheiben. Mir persönlich gefallen sie besser.
Opeth. Ich möchte dieser Band einfach nur stehend dazu applaudieren, dass sie endlich den seit Jahren offensichtlichen und nur noch vollkommen aufgesetzt wirkenden DM-Anteil ihres Sounds über Bord geworfen hat. Für mich ebenfalls eine durch und durch ehrliche Entwicklung, die man nicht mögen muss, die aber zumindest für mich ihr letztes Album zu einer echten Entdeckung werden ließ.
Overkill. Auch hier kann ich ums Verrecken keinen Qualitätsabfall entdecken. Dabei ist Overkill weder eine Band, die sich großartig "entwickelt" hat, noch ist sie wirklich jemals "stehen gebleiben". Muss man auch erstmal hinkriegen.
Und es gibt noch sehr viele andere Beispiele "alter" Bands, die es heute immer noch "bringen". Kreator, Magnum, Testament, Megadeth, Anthrax (ja, die auch) etc.pp.
Zu Paradise Lost: Da gebe ich dir sogar teilweise recht. Die letzte Scheibe war wirklich gut. Aber sowas wie "Host" war halt einfach mal der sehr durchschaubare Versuch, im Mainstream zu landen. EMI, Haare ab, Logoänderung, Popvideo. Das volle Programm. Hätte ich nicht mal ein Problem mit gehabt, wenn es wenigstens die Songs gerissen hätten. War aber nicht so. Ob ich die Entwicklung dieser Band "zurück zu den Wurzeln" jetzt 100 % authentisch finde, steht auf einem anderen Blatt. Zumindest passt die Musik wieder. Ob dieser "Kurswechsel zurück" jetzt tatsächlich eine Herzensangelegenheit war oder nur Karriere-Kalkül, das kann ich in dem Fall nicht beantworten. Muss man abwarten.
Unterm Strich kann ich aber für mich feststellen, das deine Behauptung, das die aktuellen Alben der etablierten Bands "den Frühwerken .... in 99 % der Fälle nicht das Wasser reichen" können einer tieferen Analyse nicht standhält. Der Metal ist (vor allem aber auch abseits der "Dinosaurier") gesund und lebendig.