"Weiterentwicklung" (im Metal). Oder: die Illusion vom besseren Leben

Nun, ich habe jetzt schon zwei Mal gesagt, dass das für die Moderne nicht stimmt. Stichwort: Säkularisierung (die mittlerweile als Funktionswandlungsprozess in Gesellschaften verstanden wird (Luhmann)). Maximal als Angebot sind diese Sachen noch vorhanden, aber mein Auto-Beispiel macht eigentlich schon klar, dass es einfach keinen Sinn mehr macht religiös in allen Lebenslagen zu handeln. Geschlossen heißt eben geschlossen und der Vatikan z.B. weigert sich zu bestimmten Themen zu sprechen (Kondome). Außerdem macht dein Herangehen eine Abtrennung zur Ideologie beinahe unmöglich. Nun könnte man die beiden programmtisch in einen Topf werfen, wobei man aber widerum die soziologische Realität der Existenz von Religionen in modernen Gesellschaften über Bord wirft.
Nebenbei hängst du letztlich wieder auf der Textebene, also du guckst dir an, was Religionen (über sich) schreiben. Die soziologischen Realitäten sehen und sahen anders aus.

"Religion ist ein weltanschaulicher Überbau"

Meh ok, ich habe mit Feuerbach begonnen, aber selbst in der marxistischen Theorie geht man mittlerweile von Rückkopplungsprozessen aus den überbaulichen Phänomenen Justiz und Religion auf die materielle Welt aus. Ich könnte jetzt außerdem noch die protestantische Ethik und Walter Benjamin nennen, aber come on. Uns allen ist klar, dass Religion kein reines Überbauphänomen sein kann.


Du willst auf Teufel komm raus Recht haben, oder? Dabei verkennst Du konsequent meinen eigenen, offensichtlichen Anspruch an die Sache und Darlegung. Ganz zu schweigen davon, dass ich Dir Recht gegegeben habe, es aber keinen Unterschied für meinen Zweck macht. Da kannst Du nun noch so sehr mit großen Namen um dich werfen und dich noch ein drittes oder viertes Mal wiederholen, das beeindruckt mich wenig und kann ich auch; auch ich hab Soziologie und Philosophie studiert. Braucht's das? Nope. Nicht zweckmäßig für meine Aussage, diese Diskussion und Umgebung (übrigens bin ich da ganz bei Popper). Ich hab dargelegt, warum ich der Ansicht bin, dass Metal nicht Religion sein kann, und zwar an fundamentalen Eigenschaften von Religion. Ich hab nicht gefragt, wie es in der Lebenswelt um Religion steht, weil es schon weit über das zu Zeigende hinausgeht. Und genau da hab ich dir oben auch Recht gegegen - nur rechtfertigt das Schwinden von Relevanz einer Sache nicht die Erhebung einer anderen zu einer solchen (auch weil einfach gewisse grundsätzliche Elemente noch immer fehlen), falls Du darauf hinaus wolltest (wenn nicht, dann verstehe ich nicht, warum Du es überhaupt einbringst). Warum sollte ich das soziologische Phänomen Religion analysieren und mit Metal vergleichen, wenn sich die Gleichsetzung bereits auf fundamentaler Ebene meiner Meinung nach erübrigt? Nicht jede Korinthe muss auch gekackt werden.
 
Hm, in einer gewissen Hinsicht ist Metal ja ein sehr traditionalistisches Genre. Das vorherrschende Narrativ besagt schließlich, dass es sowas wie ein "Goldenes Zeitalter" des Genres bzw. seiner jeweiligen Subgenres gab und die in dieser Zeit veröffentlichten Platten wegweisende Klassiker waren, bezogen auf die alles darauf folgende notwendigerweise keine neuen Qualitäten schafft, sondern eben als Verehrung dieses "Goldenen Zeitalters" zu verstehen ist, also quasi als Götzendienst. Das dürfte dann auch der Impetus der Retrowelle (nicht die erste, übrigens...) sein und zguleich auch die tendenziell vorherrschende Stigmatisierung (es ist nicht immer gleich "Abneigung", aber niemand würde bspw. Pantera, Prong und Machine Head direkt neben Metallica, Slayer und Megadeth stellen) von "neuen" Stilen erklären.
 
Dabei ist die "Retrowelle" wahrscheinlich nicht einmal eine Welle, sondern ein Sturm im (mitteleuropäischen) Wasserglas. Zusammen mit Südamerika hat Deutschland wahrscheinlich die konservativste (i. S. v. rückbezüglich) Metalszene überhaupt, daher werden diese Bands hier so stark rezipiert. Im Osten (und damit meine ich alles was östlicher liegt als Vorarlberg), in GB, in den USA gibt es das so nicht. Und Schweden hat ganz unabhängig von der Metalszene die alten Rocksounds wiederentdeckt, man denke nur an Mando Diao und Konsorten vor 10+ Jahren ... Es gibt rundherum - auch hier - eine riesige Metalszene, die wesentlich moderner orientiert ist und mit Nu-Metal u.ä. längst nichts mehr am Hut hat, trotzdem spricht niemand von einer "Modern Metal-Welle".
 
???
Ich dachte, hier geht's um Metal?
:D

Nö, es geht um Analogien.

poppers.jpg
 
Nun, ich habe jetzt schon zwei Mal gesagt, dass das für die Moderne nicht stimmt. Stichwort: Säkularisierung (die mittlerweile als Funktionswandlungsprozess in Gesellschaften verstanden wird (Luhmann)). Maximal als Angebot sind diese Sachen noch vorhanden, aber mein Auto-Beispiel macht eigentlich schon klar, dass es einfach keinen Sinn mehr macht religiös in allen Lebenslagen zu handeln...
Verstehe ich dich richtig - du begründest deine These damit, dass Religion immer mehr an Bedeutung/Deutungshoheit verliert, bzw. verloren hat? Also damit, dass Religion (in den westlichen Gesellschaften) immer mehr verschwindet oder zumindest einige seiner ursprünglichen Merkmale und Geltungsbereiche verliert (Säkularisierung)?
Also ist Metal=Religion, weil Religion oft auch nicht mehr das ist, was sie mal war...:D (und übrigens z.B. für viele streng gläubige Muslime, orthodoxe Christen, Juden etc. immer noch ist!)
 
Zuletzt bearbeitet:
@MIBURN , ich glaube ich habe grade beim zweiten Lesedurchgang erst deine vollständige Argumentation verstanden. Demnach ist das Genre "natürlich begrenzt", und eine Weiterentwicklung schon alleine deswegen nicht möglich bzw. eine Illusion, weil sie sich dann ja von dem entfernt was es "eigentlich" im Kern ist. Dem Versuch der Weiterentwicklung ist also von vorneherein ein schmachvolles Ende als Verwässerung der "Tiefe", der besonderen Qualitäten des Metal, beschieden. Der Retroboom resultiert daraus, dass ein Großteil der Metalszene das erkannt hat.

Ich stimme abermals nicht zu und möchte anmerken, dass das verdammt nach dem Seventh Aufguss of the Seventh Aufguss der klassischen Trvenessdebatte klingt. Hier ein konkurrierender Gegenentwurf: durch die ständige Kombination von allem mit allem quer durch Altersgruppen, Musikgenres und die Metalgeschichte selbst (die aber nicht beliebig, sondern selektiv vonstatten geht) entwickeln sich die Metalgenres beständig "weiter" - aber nicht nach vorne, sondern auch nach hinten, und seitwärts, und nach unten und oben. Und das alles unabhängig davon ob es jemand beabsichtigt oder gutheißt. Entweder man irrt staunend durch diesen schönschrecklichen Garten der (meinetwegen ..) überirdischen Genüsse, oder man versucht sich ein Stückchen einzuzäunen, stellt sich mit seinem Wohnwagen und seiner Mistgabel drauf und brüllt "Runter von meinem Grund!!". Das ist Metal 2016.
Warum, glaubst Du, gibt es so viele Spielarten der von mir genannten "klassischen Vier"? Na eben, weil sich Metal, wie Du schon sagst, ständig in irgendeine Richtung entwickelt. Manche neue Richtungen werden vom Konsumenten - Rezensenten - Hörer goutiert, manche direkt in den "Mülleimer der Geschichte" geworfen. Auch das erwähntest Du bereits.

Deshalb hat es die "Industrie" auch so verdammt schwer, in diesen Kreis einzudringen. Sie kann nicht - wie der Underground - so blitzschnell auf neue Entwicklungen reagieren. Das beste Beispiel ist die Nu-Metal-Szene. Kaum war sie da, schon isse weg, innerhalb von 3 - 4 Jahren. Die Industrie hat einen Trend erkannt und Bands in den Markt geworfen, die sich teilweise untereinander nicht gerade grün waren, und viele Bands verpassten den Zeitpunkt, etwas Grundlegendes zu ändern, so dass sie auch ohne diese Industrie im Rücken weitermachen konnten. Siehe das Beispiel SLIPKNOT vs. SYSTEM OF A DOWN. Geschmackliche Fragen lasse ich dabei mal ganz ohne Berücksichtigung, ich z. B. mag beide Bands nicht besonders. Aber es bleiben die Bands bestehen, die sich aus einem Freundes- oder Interessenskreis her aufgebaut haben, man denke nur an den Underground, in dem Bands exisitieren, die schon seit mehreren Jahren zusammen sind, oder an solche Größen wie BLACK SABBATH oder einen TOM GABRIEL FISCHER, der in seinen Bands immer einen Kreis von Gleichgesinnten um sich scharte. Oder nehmt nur mal die metallischen Anfänge von Bands wie ACCEPT, den SCORPIONS oder auch die verschiedenen Bands einer DOROTHEE PESCH. Mir fallen hierzu auch noch eine Menge Namen mehr ein: KREATOR, SODOM...
 
Warum, glaubst Du, gibt es so viele Spielarten der von mir genannten "klassischen Vier"? Na eben, weil sich Metal, wie Du schon sagst, ständig in irgendeine Richtung entwickelt. Manche neue Richtungen werden vom Konsumenten - Rezensenten - Hörer goutiert, manche direkt in den "Mülleimer der Geschichte" geworfen. Auch das erwähntest Du bereits.

Deshalb hat es die "Industrie" auch so verdammt schwer, in diesen Kreis einzudringen. Sie kann nicht - wie der Underground - so blitzschnell auf neue Entwicklungen reagieren. Das beste Beispiel ist die Nu-Metal-Szene. Kaum war sie da, schon isse weg, innerhalb von 3 - 4 Jahren. Die Industrie hat einen Trend erkannt und Bands in den Markt geworfen, die sich teilweise untereinander nicht gerade grün waren, und viele Bands verpassten den Zeitpunkt, etwas Grundlegendes zu ändern, so dass sie auch ohne diese Industrie im Rücken weitermachen konnten. Siehe das Beispiel SLIPKNOT vs. SYSTEM OF A DOWN. Geschmackliche Fragen lasse ich dabei mal ganz ohne Berücksichtigung, ich z. B. mag beide Bands nicht besonders. Aber es bleiben die Bands bestehen, die sich aus einem Freundes- oder Interessenskreis her aufgebaut haben, man denke nur an den Underground, in dem Bands exisitieren, die schon seit mehreren Jahren zusammen sind, oder an solche Größen wie BLACK SABBATH oder einen TOM GABRIEL FISCHER, der in seinen Bands immer einen Kreis von Gleichgesinnten um sich scharte. Oder nehmt nur mal die metallischen Anfänge von Bands wie ACCEPT, den SCORPIONS oder auch die verschiedenen Bands einer DOROTHEE PESCH. Mir fallen hierzu auch noch eine Menge Namen mehr ein: KREATOR, SODOM...

Die "metallischen Anfänge" der SCORPIONS musst du mir mal zeigen! Die "Lonesome Crow" war größtenteils noch tief im Krautrock verwurzelt, allein durch die Conny Plank-Production, die darauf folgenden Alben mit Uli Jon Roth waren auch aus heutiger Sicht bestenfalls Hardrock. Die Anpassung an den härteren Sound erfolgte erste Ende der Siebziger nach Roth's Weggang mit "Lovedrive" und war meiner Meinung nach, zumindest in weiten Teilen eine Anpassung an den Zeitgeist. Das die SCORPIONS heute, auch im Deaf Forever, als die großen deutschen Heavy-Metal-Pioniere stilisiert werden, halte ich für historisch falsch und auf Wunschdenken basierend, dafür waren sie schon von Anfang an zu karrieregeil etc. Alleine wenn man sich in Interviews Aussagen anderer Musiker wie Lucifer's Friend, Udo Dirkschneider usw. über diese Gurkengruppe reinzieht ergibt sich ein komplett anderes Bild, ganz zu schweigen von der unsäglichen Anpassung an den amerikanischen Markt in den Achtzigern, einer Schnulze wie "Wind of Change", Balladenalben wie "Pure Instinct", der erneuten Anbiederung an den Zeitgeist, mit einem grauenhaften Werk wie "Eye to Eye" etc. etc. Diese Liste könnte man endlos fortsetzen, aber wir sind hier ja nicht im SCORPIONS-Thread.
 
Na ja, ich bezog mich auf die Mitwirkung beim "Rock Pop in Concert" damals. Klar sind die SCORPIONS keine Metalband, wollten sie auch hoch wahrscheinlich nie sein. Aber sie waren damals so ziemlich das härteste, was der deutsche Michel oder Otto Normalmetalhörer sich vorstellen konnte.
 
Ich finde, Metal hat wie jede andere Musikrichtung auch, bei ernsthaften Musikliebhabern durchaus schon viele Gemeinsamkeiten mit (individueller, nicht organisierter) Religion, in dem Sinne, dass man durch die Beschäftigung mit der Musik analog bspw. dem Beten quasi in höhere Sphären gelangt. Interessant wäre da jetzt mal eine neurowissenschaftliche Untersuchung, ich kann mir vorstellen, dass beim Hören der Lieblingsmusik dieselben Hirnareale aktiviert werden wie beim religiösen Transzendieren.

Ja, die gibt es tatsächlich, u.a. hier ein Handbuchartikel zu diesem Thema:

Fachner, Jörg (2009). "Musik und veränderte Bewusstseinszustände" In: Herbert Bruhn, Reinhard Kopiez & Andreas C. Lehmann. Musikpsychologie. Das neue Handbuch. Hamburg: Rowohlt, S. 573-594.

->das Buch ist abverkauft, daher die hohen Gebrauchtpreise. Eine Neuauflage wird es hier bis spät. nächstes Jahr geben.
Wenn es interessiert, kann ich eine Kopie des Textes per PN schicken.

Noch ein bissl. Gulasch von mir:

So, wie @avi schon schrieb, geht es ja hierbei nicht um die Erkenntnis, dass Musik eine Religion ist, sondern, dass das Hören von Musik + weitere state-trait Umweld- und Personen-Faktoren tranceartige Zustände hervorrufen können, die Aktivierung in den gleichen Hirnrealen auslösen können, wie Mediation, Beten etc.

EDIT:
Wer dieses hier als PDF möchte, möge mich auch per PN kontaktieren:

Musik und Religion
Psychologische Zugänge
Editor: Jacob A. v. van Belzen
Springer

 
Wie drollig. Derselbe Schwurbelscheiß stand schon in den 90ern im Hämmerchen, nur die Bandnamen waren andere. Und damals war man gleich "Stechschrittmetaller", heute dann halt "nur" noch "Metal-CSU".

Fehlen nur noch ein paar empörte Leserbriefschreiber, die in Großbuchstaben "DEATH TO FALSE METAL!!!!!1111" fordern, und ich fühle mich gleich wieder 20 Jahre jünger. :D



Ich find es immer beachtlich, wie viele von Fortschritt, Rückschritt, Stagnation bla bla in der Musik reden. Größter Unsinn schlechthin!

Fortschritt in der Musik, den gibt es nicht, so 1 Gedanken vong de 1 Thomas S. Kuhn geklaut her :D
 
Zuletzt bearbeitet:
Inwiefern Kuhn jetzt? Sagt er was zur Musik? Es steht doch hübsch bei wiki, dass er keineswegs Fortschritt in den Wissenschaften leugnet. Die Inkommensurabilitätsthese ist doch nur gegen kumulative Wiss.-Entwicklung gerichtet...

Kuhns Gedanken modifiziert auf die Musikgeschichte angewandt, bedeutet Musikgeschichte als Wechsel von Paradigmen und nicht als qualitative Fortschrittsgeschichte zu verstehen.
Letzteres ist in meiner Disziplin leider eher die gängige Praxis, ersteres aber aus kritischer Perspektive durchaus angemessener :)

Erklärung ausreichend :)?
 
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