So, dann reihe ich mich hier mal in die Riege der Rezensenten des
@Iron Ulf 'schen Schaffens ein. Wie auch von einigem anderen. Deshalb mal wieder die übliche Zusammenfassungs-Orgie:
Ulf Umwiehe - Gut Nass
Inhalt: Felix "Flex" Freiwaldt, Schulabbrecher und Halbwaise mit einer komplizierten Beziehung zu seinem Vater, führt ein beschauliches Leben als Bade-, pardon, Schwimmeister in einem kleinen Städtchen in der Heide, aber damit ist es vorbei, als plötzlich der Vorgesetzte verstirbt, Flex zum Betriebsleiter befördert wird und dann auch noch mit Ankunft eines Beraters der Plan eröffnet wird, das altehrwürdige Forstband gehörig zu modernisieren. Als wäre das nicht schon genug, beginnt auch noch Flex' Beziehung zu seiner Freundin Maike und den Kolleginnen und Kollegen, in Mitleidenschaft gezogen zu werden...
Kommentar: Im Prinzip erzählt Ulf hier eine recht klassische Geschichte - den guten alten Bildungsroman, in dem der Protagonist sich die bekannten Fragen stellt: Wo ist mein Platz in dieser Welt, wo gehöre ich hin, wie kann ich hier ein Auskommen finden? In "Gut Nass" geschieht das freilich mit der ebenfalls nicht allzu selten erprobten Volte, die scheinbar stabile Lebens- und Erfahrungswelt der Hauptfigur durch Veränderungen von außen ins Wanken zu bringen und dadurch die Überzeugungen und Gewohnheiten dieser Person gehörig auf die Probe zu stellen. Woran Flex hier - Spoiler! - natürlich auf ganzer Linie scheitert, dazu reicht einfach die von Flex demonstrierte Mischung aus Höflichkeit und Opportunismus bei gleichzeitig größtmöglicher Passivität bei weitem nicht aus. Trotzdem: Auch diese Form des Scheiterns ist in solchen Romanen nicht unüblich, wobei mir als Assoziation gerade aufgrund des Endes - nochmals Spoilerwarnung! - ausgerechnet Hesses "Unterm Rad" einfällt.
Einen gewissen Mangel an Innovationen (abgesehen vom Schwimmbad-Milieu) bietet "Gut Nass" somit also schon, trotzdem ist das Ganze alles andere als ein Reinfall gewesen. Dazu ist die Schilderung der provinziellen Gegebenheiten einfach zu gelungen, wie auch das Ensemble an Figuren entsprechend kauzig ausgefallen ist. Ernsthaftere Leute würden sowas vielleicht als Ansammlung von Klischees bezeichnen, aber ich glaube da eher, dass hier in Gestalt von Bürgermeister Marther, Heidemarie Sarge-Albenbrecht, den Schlüter-Werken (deren Rolle für die Geschichte sich wirklich mit dem Geschäftsgebahren unendlich vieler lokaler Wirtschaftsmächte der Realität deckt), Viktor, Saskia und natürlich Caruso anstelle solcher Vorstellungen eher das diesen zugrundeliegende Fünkchen Wahrheit getroffen wurde. Einen gewissen Anspruch kann "Gut Nass" somit also definitiv gelten machen. Was dem Roman letztlich allerdings für meinen Geschmack abgeht, sind ein paar mehr anarchische Freakout-Situationen, die den Erzählstil etwas weniger mainstreamig gemacht hätten. Sowas gibt es hier schon zwei, drei Mal, aber nachhaltig prägen tut das den Roman allerdings nicht.
Ernst Paul Dörfler - Nestwärme
Inhalt: Mal ein Sachbuch: Dörfler, Ökochemiker und Umweltschützer, erzählt praktisch alles über die einheimische Vogelwelt und setzt sie dabei insbesondere in Bezug zu menschlicher Gesellschaft und Umgangsform - bezogen auf das gesamte Leben von Geburt/Schlüpfen, das Aufwachsen, Leben, Lieben und schließlich Alter und Tod. Dabei stellen sich einige Parallelen, aber auch gewichtige Unterschiede heraus, und natürlich wird insbesondere gegen Ende des Buchs immer wieder auch die Verantwortung des Menschen für den Rückgang von Lebensräumen, Arten und Populationen betont.
Kommentar: Nun, Dörfler ist von Haus aus kein Ornithologe, deshalb ist das hier auch ein populärwissenschaftliches Werk und kein Fachbuch - es gibt zwar immer wieder mal die Bezugnahme auf Artikel, Arbeiten und Forschungsergebnisse, aber das geschieht ohne exakte Quellennachweise. Das ist nicht unverzeihlich, aber leider gerät das Buch dadurch streckenweise recht anekdotisch und besteht somit überhaupt tendenziell größtenteils aus einer bloßen Aufzählung von Fakten über diese oder jene Vogelart. Unter dem Gesichtspunkt, dass Dörfler diese Döntjes jeweils unter bestimmte Gesichtspunkte stellt und einordnet, geht das natürlich in Ordnung. Allzu tiefschürfend ist das aber eben nicht, und was bei mir in Erinnerung bleibt, sind eigentlich eher einzelne Kuriositäten als ein großer, umfassender Blick auf die Biologie der Vögel als Ganzes. Oder, wer weiß, das Buch konnte mir da einfach nichts neues erzählen...
Lodewijk van Oord - Das letzte Nashorn
Inhalt: In der Welt dieses Romans sind Nashörner vom Aussterben bedroht - nur noch eine Handvoll Exemplare lebt weltweit verstreut in Zoos in aller Welt. Und während zugleich ein Zoo in Amsterdam ebenso vor sich hin darbt, zählt Direktor Edo Morell eins und eins zusammen: Ausgerechnet in seinem Geltungsbereich soll ein großangelegter Afrika-Themenbereich entstehen, mit einer Nashornzucht als Kernattraktion. Der Aufsichtsrat einschließlich seines Vorsitzenden, dem alternden Kulturwissenschaftlicher und Ex-Minister Frank Rida, ist schnell überzeugt, Gelder sind aufgetrieben und auch die südafrikanische Spezialistin Sariah ist alsbald an Bord. Und zunächst scheint auch alles gut zu gehen: Nashornbulle Albrecht und die beiden Kühe Angela und Ursula sind die Attraktionen des Parks. Aber dann tauchen alsbald doch Probleme aus: Ursula wird gewildert, und die Fortpflanzung zwischen Angela und Albrecht will auch nicht in die Gänge kommen...
Kommentar: Wenn ich den Klappentext richtig gelesen habe, dann wurde darin eine beinahe satirische Handlung um das Verhältnis zwischen Menschen und Tieren angekündigt. Dieses Moment habe ich in dem Roman aber nicht gelesen, für eine gewisse Art von Humor war der Topos rund um das endgültige Aussterben einer ganzen Familie von Tieren viel zu bitter und düster. Potenzial dazu gehabt hätte allenfalls jener Aspekt der Handlung, in dem es um die Eventisierung von so ziemlich allem ging, hier exemplarisch auch dadurch ausgedrückt, dass Edo Morell von seiner Ausbildung her eigentlich Drehbuchautor sein soll. Aber das wird wiederum nicht pointiert genug beschrieben. Weiteres Potenzial büßt der Roman noch durch einige ziemlich melodramatische Handlungsstränge rund um Sariah ein, die sich beinahe auf dem Niveau von Abenteuerroman-Groschenheften bewegen. Was dem Roman hingegen ganz gut gelungen ist, ist das Einflechten von einigen kulturgeschichtlichen Bezügen zu u.a. Albrecht Dürer und überhaupt der Geschichte von Tierhaltung und -darstellung, und das Ende fällt auch ebenso unterhaltsam wie pointiert aus. Aber trotzdem: Begeistert hat mich das hier in Summe kaum.
Immerhin tröstlich: Die Wirklichkeit sieht für Nashörner viel rosiger aus als die in dieser Hinsicht geradezu dystopische Welt im Roman. Es beruhigt zu wissen, dass es aktuell an die 20.000 Breitmaulnashörner und jeweils mehrere tausend Spitzmaulnashörner und Panzernashörner in Freiheit gibt und sich auch Zoos und Tierparks mittlerweile verlässlich zur Bestandserhaltung beitragen können, wenngleich Wilderei immer noch ein schwerwiegendes Problem darstellt.
Iris Hanika - Echos Kammern
Inhalt: Eine nicht in der Sache, aber im Ablauf merkwürdige Handlung: Schriftstellerin Sophonisbe, die schon längst nicht mehr von ihren Werken, sondern eher von ihrem in besseren Tagen zusammengekauften Aktienportfolio lebt, versucht in New York Inspiration zu finden, bringt stattdessen aber den jungen Geschichtsdoktoranden Josh mit zurück nach Berlin, der dort prompt und trotz jeglichen Altersunterschieds ausgerechnet ihrer Neu-Vermieterin Roxana rettungslos den Kopf verdreht. Oder fast rettungslos, denn am Ende schließt sich der Kreis dadurch (oder, um bei Titel und Thema zu bleiben, hallt das Echo wider), dass es diesmal Roxana ist, die in New York etwas sucht - und zwar Abstand.
Kommentar: Zufälligerweise hatte ich das just an jenem Wochenende gelesen, bevor Iris Hanika hierfür mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde (und dabei unter anderem das ebenfalls gelesene "Eurotrash" von Christian Kracht kassierte), insofern war ich da - was wirklich selten vorkommt - auch mal im Bilde.
Was gibt's sonst zu sagen: Der Aufbau und die sprachliche Gestaltung des Romans sind auf jeden Fall reichlich ungewöhnlich, insofern verdient dieses Werk schon Beachtung. Dabei ist sonst eigentlich gar nicht so viel spektakuläres in diesem Buch und einige Sachen - beispielsweise die in eher quälend zu lesendem Denglisch geschriebenen Manuskriptauszüge von Sophonisbe im ersten Teil - fallen sogar arg sperrig aus. Darüber retten allerdings die recht interessante, zum Nachdenken anregende Distanziertheit des Romans zu sich selber hinweg, vor allem aber die eindringlich und zutreffend geschilderte Beziehung zwischen Roxana und Josh. Sowas habe ich wirklich selten in dieser Klarheit gelesen.
Eva Meijer - Das Vogelhaus
Inhalt: Eine mit einigen (wahrscheinlich vielen) fiktionalen Elementen angereicherte Lebensgeschichte einer - so würde die heutige Klischee-Attributierung hierfür lauten - außergewöhnlichen Frau: Gwendolen "Len" Howard beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts eine Karriere als Orchestermusikerin, bricht aber Mitte der 30er Jahre gänzlich aus ihrem Umfeld aus und kauft sich eine Hütte auf dem Land, um dort das Verhalten von Singvögeln eingehend zu studieren.
Kommentar: Keine besonders aufregende Sache - Len geht hier einfach ihren Weg, und entsprechend stromlinienförmig ist auch Meijers Erzählstil. Das klingt schlimmer, als es ist, denn durch die Erzählung aus der ersten Person erhalten diese eigentlichen Belanglosigkeiten einen weniger verlässlichen, eher subjektiv geprägten Charakter. An und für sich wäre das aber trotzdem keine sonderlich empfehlenswerte Sache - gäbe es da nicht den ein wenig subversiv anmutenden Subtext, der durch das Einschieben von Vogelbeobachtungen gebracht wird: Denn das Leben der Menschen erhebt sich demnach offenbar auch nicht übermäßig über jenes der Kohlmeisen, deren Alltagsleben da so ab und an beschrieben wird.
Henry Miller - Stille Tage in Clichy
Inhalt: Zwei Amerikaner, Carl und Joey, beschäftigen sich im Paris der 20er Jahre mit sich selbst, dem Nachtleben und allerlei Frauengeschichten. Tja, und das war's dann eigentlich auch schon - abgesehen von Millers für damalige Verhältnisse vielleicht provokanten, aus heutiger Sicht aber vor allem eher erschöpfenden Schilderungen von Sexualverkehr.
Kommentar: Ein Teil der Wertung ist obenstehend schon vorweggenommen worden, und es steht zu vermuten, dass sich Miller im Laufe der Zeit tatsächlich ziemlich abgenutzt hat - vieles, was damals neu oder eben skandalträchtig war, geht heute nur noch als ziemlich schal und schlimmstenfalls obsessiv durch. Insofern ist es "Stille Tage in Clichy" somit einigermaßen abträglich, sich primär auf diesen Effekt zu berufen, was durch den konsequenten Erzählstil in Gestalt eines Bewusstseinsstroms (sowie auch des Fehlens jeglicher sonstiger Handlung) noch eine Spur belangloser wird. Das einzig Positive daran ist so gesehen letztlich eher das Staunen darüber, dass es eine Zeit gab, in der es offenbar keine größere Sorge gab als den Tripper (nicht mal den offenbar allgegenwärtigen Hunger, der sich hier immer durch einige Gaunereien gegenüber bestimmten Frauen austricksen lässt). Na ja.
Nicht verhehlt werden sollte an dieser Stelle, dass ich eigentlich auch nur durch eine Verballhornung des Titels hierauf aufmerksam geworden bin - das Osnabrücker Elektro-Duo Sankt Otten hatte nämlich eine Debüt-EP namens "
Stille Tage im Klischee".
Frank Goosen - Förster, mein Förster
Inhalt: Wie schon anhand des Titels erahnt werden kann: Es geht hier wiederum um Förster, Fränge und Brocki (bekannt aus "Kein Wunder"), allerdings in der Gegenwart (2016), in der alle so langsam dabei sind, ein Alter von 50 zu überschreiten - und damit geht jeder etwas anders fatalistisch um, denn das Leben hat bei jedem auf die eigene Weise Spuren hinterlassen. Im Kern steht aber auch die Frage nach dem Auf- oder Ausbruch - und den gibt es hier. Denn auf den Spuren der ehemaligen Tanzkapelle von Försters alter, aber zumindest den eigenen Angaben nach nicht senilen Nachbarin geht es zumindest in Richtung Ostsee.
Kommentar: Mal wieder - gut, bei diesem Personenensemble ist das ja "Kein Wunder", haha - wandelt Goosen hier in den Fußstapfen von Sven Regener, und erneut ist dieses Verhältnis auf fast die selbe Weise ambivalent: Goosens Figuren agieren planvoller und geerdeter, weswegen die Handlung nicht ganz so anarchisch und durchgeknallt ist wie in "Wiener Straße" etc. und Försters gelegentliche Grübeleien bei weitem nicht so ausschweifend ausfallen wie die eines Frank Lehmann, aber andererseits ist damit Goosens Geschichte viel konsistenter. In dieser Hinsicht markiert "Förster, mein Förster" dann auch noch eine deutliche Steigerung, denn einerseits werden die Probleme der Figuren deutlicher herausgearbeitet, zum anderen kommen auch die Nebencharaktere hier viel stärker zum Zug, sodass dieses Buch durchaus an Tiefe gewinnt.
Interessant wäre ansonsten noch der Aufbau - die eingangs beschriebene Reise (die im Regener-Kosmos dann natürlich an "Magical Mystery" denken ließe und tatsächlich sogar wie das Spiegelbild zu jener Tour wirkt) wird tatsächlich erst im letzten Viertel begonnen, dann aber sogar noch zum Ende gebracht - aber nicht, ohne trotzdem noch unerwartete Wendungen zu nehmen. Insofern ist "Förster, mein Förster" in der Tag gegenüber den bisher von mir gelesenen Goosen-Romanen doch ein überraschender Fortschritt. Und zuletzt gibt's den Tribut an Sven Regener in Gestalt der Nennung eines Element-Of-Crime-Songs diesmal noch in direkter Form.