Immer, wenn ich jemanden die USA als kulturlose Einöde übel beleumunden höre, empfehle ich einen Besuch in Austin, Texas. Austin ist eine Stadt, die ich sehr mag und deren Vibe zwischen Studentenrummel, Freak-Metropolis und Künstlerenklave mit Fokus auf Live-Musik mich sehr an meine eigene Nachbarschaft erinnert. Und wie jede coole Stadt, so droht auch Austin immer wieder gnadenlos durchgentrifiziert zu werden, weil sich finanzkräftige Auswärtige dort ansiedeln, um sich schmückend mit dem kreativen Flair einer prekären Klasse zu umgeben, die sie dabei verdrängen, wahrscheinlich auch noch, ohne sich dessen bewusst zu sein. Joshua Long behandelt in seinem 2010 erschienenen Buch
Weird City den Kampf jener Austinites, die sich gegen die Verflachung zur Wehr setzen und unter dem Motto "Keep Austin Weird" der Vereinnahmung und domestizierenden Kommerzialisierung erwehren. Ein weiterer wichtiger und mindestens ebenso erhellender Aspekt dieses faszinierenden Textes ist der Anthropogeographie gewidmet, also dem Verhältnis von Menschen und ihrer Lebensart zu ihrer Umgebung und die wechselseitige Gestaltung, die damit einhergeht.
Ungeachtet der über zehn Jahre, die seit Erscheinen des Buches verstrichen sind, hat das Thema nichts an Aktualität verloren. Hier im Steintor gibt es seit Jahrzehnten ähnliche Versuche, ganze subkulturelle und gastronomische Infrastrukturen aufzukaufen und einer massentauglichen Verwertung zuzuführen und auch hier ist alles voller Freaks, Originale und Lebenskünstler, die ihre Lebensentwürfe nicht ohne weiteres aufzugeben bereit sind. Lange waren sie damit erfolgreich. Seit der Pandemie und den Verheerungen des Lockdowns in der Kultur, in der Gastronomie und im Kreativbereich sieht dies allerdings anders aus. Langsam mache ich mir Sorgen, dass die zwangsläufig enstehenden Leerstellen aufgekauft werden und sich das Kantige und Ungewöhnliche abgeschliffen und bekömmlich zugerichtet wird. Dieses Buch dient mir gerade als Fundus und Atlas. Vielleicht als Rezeptbuch. Auf jeden Fall aber als Mahnung.