"Love & Mercy"
Musikerbiografie aus dem Jahr 2014:
- nach einem Drehbuch unter Beteiligung von Oren Moverman, der bereits mit Todd Haynes ("Velvet Goldmine", angelehnt an die Glam-Ära von
David Bowie und sein Zusammentreffen mit
Iggy Pop als Hintergrund für die Selbstfindung eines Musikjournalisten) am Drehbuch zum
Bob Dylan-Film "I'm Not There" (mit Top-Besetzung und experimentellem Kunstfilmcharakter) schrieb, entstand dieser Film über den
The Beach Boys-Musiker
Brian Wilson.
In der Hauptrolle glänzen Paul Dano (jüngerer Brian Wilson) und John Cusack (älterer B. W.); Paul Giamatti spielt bravourös den charismatischen Dr. Eugene Landy, einen Psychiater und später auch gesetzlichen Vormund Brian Wilson, der zunehmend dessen Leben bis ins intimste Detail hinein kontrolliert, ihn unter immer stärkere Psychopharmaka setzt, sein Selbstbewusstsein zerstört, sich schließlich als Manager & Produzent inszeniert - und zur Krönung des Ganzen noch seine eigene Person als Erben von Wilson einzusetzen versucht.
Dann ist da in letzter Hauptrolle noch Elizabeth Banks, die als Autoverkäuferin Melinda Ledbetter ins Leben Brians tritt und erst nach und nach die Mechanismen erkennt, mit denen Dr. Landy eben nicht bloß im Interesse von Brian Wilson agiert, indem er dessen Leben wieder Struktur gibt, sondern im Gegenteil sein eigenes Spiel auf dessen Kosten spielt.
Dass der Film auf zwei Zeitebenen spielt, die erst am Ende ein einigermaßen kohärentes Ganzes ergeben, kann zunächst verrwirren und die Zuschauer*innen auch sonst bisweilen anstrengen. Lässt man sich darauf ein, entwickelt sich diese Aufmerksamkeit und Geduld fordernde Erzählstruktur jedoch zu einer großen Stärke des Films, da dadurch erzeugte Effekte durchaus zu Immersion, Identifikation & Empathie mit den Protagonist*innen und der Spannung beitragen.
So wird einerseits die enorm visionäre Empfänglichkeit, kreative Kraft und künstlerische Selbstsicherheit des genialischen Komponisten und Arrangeurs Brian Wilson aufgezeigt, andererseits aber auch, wie dieser sensible, sozial marottenhaft bis gehemmt wirkende Künstler unter dem Einfluss von nahezu manischem Künstlereifer, arbeitsbedingtem Stress, kommunikativen und persönlichen sowie kreativen Differenzen, psychischen Traumata & Vorbelastungen sowie gelegentlichem Drogenkonsum schließlich in einen Nervenzusammenbruch hineinzurauscht und unter der Aufsicht seines Psychiaters auch noch sich selbst völlig zu verlieren droht.
Brian Wilsons Depressionen, sein Verlust von Selbstsicherheit und Selbstvertrauen, seine soziale Unbeholfenheit, seine Selbstzweifel, Konzentrationsprobleme, Einsamkeit und Isolation nach einem Nervenzusammenbruch stehen im krassen Kontrast zu seinem enthusiastischen, geradezu manischen Schaffensrausch als treibende, stilistisch kreative Erneuerungskraft hinter
The Beach Boys.
Im Effekt führt die Zweigleisikkeit der Erzählung dazu, dass man als Zuschauer*in sich zunächst fragt, wie diese beiden Brian Wilsons zusammengehen sollen, wie es soweit kommen konnte, dass Wilson sich schließlich freiwillig dem rigorosen Regiment eines Dr. Landy unterordnet, und zunächst auch, welchen Sinn die immer wieder abrupten, manchmal geradezu verstörend Wechsel zwischen beiden Handlungssträngen uns offenbaren sollen.
Erst nach und nach erkennt man, dass es ein gekonnt umgesetztes Anliegen des Films ist, dem Publikum das Gefühl des Kontrollverlusts nahezubringen, unter dem Brian Wilson litt, den zunehmend aber auch Melinda Ledbetter empfunden haben muss, als der auf volles Vertrauen bauende und zunächst auch versiert darum werbende Dr. Landy sich schließlich als Kontrollfreak entpuppt, der seinen Schützling komplett von seinem bisherigen Umfeld zu entfremden versucht.
Der familiäre Halt, den Brian bei seinen Brüdern und Cousins in
The Beach Boys erfährt, aber auch die zunehmende künstlerischen Differenzen innerhalb der Band sowie das angespannte Verhältnis zu seinem Vater werden thematisiert.
Erst als beide Handlungsstränge schließlich zusammenlaufen, offenbart sich, wie die Parallelen und Gegensätze, die inneren Verwirrungen und äußeren Einflüsse, die scheinbaren Widersprüchlichkeiten im Charakter Brian Wilsons miteinander zusammenhängen.
Das Publikum leistet quasi zusammen mit Melinda Ledbetter eine Art Detektivarbeit, während es zugleich mit Brian Wilson mitfühlt.
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Freilich liegt eine ebenso große Faszination des Films in der Geschichte Brian Wilsons sowie der
Beach Boys selbst:
So stand der frühen musikalischen Förderung der Wilson-Brüder durch ihren Vater Murry Wilson, der als Komponist, Musiker, Musik-Manager und -Produzent unter dem Pseudonym
Reggie Dunbar erfolgreich war, bis er in der Popularität von
The Beach Boys überflügelt wurde, auch seine aggressive, verletzende und verständnislose Seite gegenüber, die für Brian Wilson mindestens ebenso prägend wurde. Die latente bis offenkundige Melancholie hinter den ergreifenden, melodisch wunderschönen Harmoniegesängen und der lebendigen Beat- und Rock-Rhythmik bei
The Beach Boys ging ebenso auf Brians 3influss zurück wie die zunehmend ausgefeilteren, teils avantgardistischen Arrangements, welche er in leitender Funktion und Zusammenarbeit mit einer Reihe erstklassiger Sessionmusiker schuf.
Für alle Musikbegeisterten dürfte diese Entwicklung der Band von der unbeschwert klingenden, eingängigen Pop-Boy-Group mit dem (auch selbstironisch auf die Schippe genommenen) Surfer-Image, dürfte Brian Wilsons songwriterischer Erweckungsmoment, als er zum ersten Mal "Rubber Soul" von
The Beatles hörte, dürften die Sessions zum
The Beach Boys-Album "Pet Sounds", sowie die Reminiszenzen an frühe Musik-Videos aus der
The Beach Boys-Ära eine helle Freude sein.