Iron Maiden – Fear Of The Dark
VÖ: 11.05.1992
(3/3)
Mit
„The Apparition“ habe ich mich seinerzeit am schwersten getan. Es beginnt extrem abrupt und unvermittelt, besteht mehr aus Rhythmus denn aus einer wirklich greifbaren Melodie und liefert zusätzlich noch Textmasse im Überfluß. Tatsächlich aber – und das konnte ich damals, im Jahr 1992, mit meinen seinerzeit noch deutlich überschaubaren Englisch-Kenntnissen beileibe nicht erkennen – ist diese Textmasse absolut lesens- sowie hörenswert. Und musikalisch ist „The Apparition“ – gerade auch aufgrund seiner initial fordernden Anders- sowie Einzigartigkeit! – extrem ansprechend und ein weiterer Höhepunkt auf einem ganz und gar nur aus Höhepunkten bestehenden Album.
„Judas Be My Guide“ liebe ich unter all diesen jedoch seit Anfang an ganz besonders. Vor allem die Gitarren zu Beginn machen mich noch immer ganz wuschig und euphorisch. Heutzutage empfinde ich allerdings zugegebenermaßen, dass der Gesang im Refrain etwas mehr Wumms gebrauchen könnte. Jedenfalls wäre es famos, hiervon eine Liveaufnahme zur Hand zu haben; leider war der Song meines Wissens nach nie in einer Maiden-Setlist enthalten. Ich erinnere mich ganz sehnsüchtig und verzückt daran, wie dieser Song seinerzeit gemeinsam mit „Bring Your Daughter To The Slaughter“ von – nein, eben nicht „No Prayer For The Dying“, sondern - meiner Vinylausgabe des „Nightmare On Elm Street V“-Soundtracks bei mir dermaßen rauf und runter lief...
„Weekend Warrior“ ist nach „The Apparition“ sicherlich das Lied, mit welchem ich seinerzeit am meisten gefremdelt habe, vor allem aufgrund des Textes, welcher mich null ansprach – Fußball hat mich nie auch nur die Bohne interessiert und Hooligan-Gehabe ist so eine Sache, welche ich nie auch nur im Ansatz verstehen oder nachvollziehen konnte. Freilich positioniert der Text sich
gegen Hooligans, aber so recht klar war mir das seinerzeit nicht – ich befand mich schließlich erst im dritten Jahr des Englischlernens. Heute mag ich den Song glücklicherweise wirklich sehr gerne.
„I am the man who walks alone...“ - alleine mit diesen einleitenden Worten des
Titelsongs, da haben sie mich alten Hagestolz schon, und da spielt es dann auch keine Rolle mehr, inwieweit (beziehungsweise: ob überhaupt) der Rest des Textes ebenfalls noch auf mich passt. Tut er aber natürlich trotzdem, in metaphorischer Hinsicht. Für mich hat sich das Lied – nach nun bald drei Jahrzehnten – zum Glück auch nicht abgenutzt. Man liest ja oft, das so mancher Fan es schlicht nicht mehr hören kann...
Soviel zu den einzelnen Songs. Für Martin Birch, Maidens Haus- und Hofproduzent, war „Fear Of The Dark“ eine Zäsur – stellte es doch das letzte von ihm produzierte Album dar. Nun, und dass es das vorerst letzte Iron Maiden-Album mit Bruce Dickinson war,
das ist ja nun hinlänglich bekannt.
Auch bei mir galt: Iron Maiden waren nach einigen wunderbaren Monaten der Extremrotation von „Fear Of The Dark“ (sowie zeitig danach noch „Killers“ und „Live After Death“) wieder weg vom Fenster – Death Metal kam, etwas später Black Metal, außerdem natürlich all der Grunge und Alternative... Traditioneller Metal trat erst ab Anfang 1995 wieder deutlich messbar in mein Leben, vor allem bedingt durch „The Marriage Of Heaven And Hell – Part 1“ von Virgin Steele. Und so waren
meine Iron Maiden-Alben Nummer 4 und 5 (im Winter 1995) lustigerweise deren tatsächliche Alben Nummer 4 und 5, also „Piece Of Mind“ und „Powerslave“. Das damals aktuelle „The X-Factor“ stand natürlich ebenfalls auf meinen Einkaufslisten, tatsächlich gekauft und gehört habe ich es jedoch erst sehr viel später. Dennoch: in den Sommermonaten 1992, als „Fear Of The Dark“ mein meistgehörtes Album gewesen sein dürfte, da war ich maximal berauscht davon.
Gemeinsam mit denjenigen von Van Halen und Metallica habe ich in meinem Leben wohl kein Bandlogo so oft auf irgendwelche Sachen gekritzelt wie das von Iron Maiden während dieser Phase. Achtung, es folgt ein totaler Nerd-Fact: besonders geil fand ich darin immer das „o“. Ich meine, dessen Form seinerzeit mit irgendeinem Detail der Stadt der dreibeinigen Herrscher aus der gleichnamigen Serie assoziiert zu haben.
Was auf jeden Fall bis heute geblieben ist, ist die wehmütige, wunderschöne Erinnerung an eine ganz besondere Zeit – gemeinsam mit Alben wie „The Crimson Idol“ von W.A.S.P. oder auch Megadeths „Countdown To Extinction“ stellte „Fear Of The Dark“ das Ende meiner Initiationszeit, in welcher vieles noch durch wunderbare Zufälle gesteuert worden war, dar. Danach war alles anders: die Magazine wurden nun nicht mehr lediglich profan gelesen, sondern regelrecht auswendig gelernt, Reviews förmlich angebetet, ständig: „Wie mag das wohl klingen?“ als magisch-verheisungsvoller Gedanke, das Ersparte wurde immer wieder gezählt sowie ausschließlich für den Kauf von Alben und Musikzeitschriften gehortet, Kauflisten erstellt, auf das Frühstück in der Schule bewusst verzichtet, um mit dem dadurch eingesparten Geld mehr kaufen zu können, Alben wurden bestellt und gehört, gespürt und zelebriert...
Sei es drum, es wird langsam Zeit für ein abschließendes Fazit: ich finde keinen echten Schwachpunkt auf „Fear Of The Dark“. Es könnte etwas kürzer sein, manche Parts hätte man straffen können. Dadurch hätte es insgesamt mehr Durchschlagskraft. Aber, wie gesagt:
könnte und
hätte, nicht
müsste. Es ist mir einsichtig, warum man Probleme mit dem Album haben kann. Aus meiner subjektiven Warte heraus betrachtet, verstehe ich es dennoch nicht. Denn „Fear Of The Dark“ ist nicht nur kreativ und enorm verspielt, sondern hat vor allem keinen einzigen auch nur halbwegs schwachen Song. Und ja, das ist verdammt noch einmal wirklich so. Klar, was ich nun schreibe, ist
auch nostalgiegestärkt und -geschwängert, aber es bleibt einfach harter Fakt: „Fear Of The Dark“ bedeutet
mir mehr als jedes andere Album von Iron Maiden.
Und nö, das hat nichts mit Verklärung aufgrund all des oben Gesagten zu tun. Die Platte ist ungemein abwechslungsreich und klingt dennoch an keiner Stelle konstruiert, sondern frei und phasenweise regelrecht spontan. Es reißt mit und fließt enorm lebendig dahin. Ich schmecke an keiner einzigen Stelle Staub oder Muff, hier regiert das Leben um des Lebens Willen. Ja, vielleicht ist es sogar das, und mir wird dies gerade eben in diesem Moment zum ersten Mal bewusst: „Fear Of The Dark“ ist mir persönlich dichter am wahren Leben dran als seine Vorgänger.
Schon schade, dass das Album so deutlich unter Wert gehandelt und etwa bei Metal Archives gar von einem Rohrkrepierer wie „The Final Frontier“ überflügelt wird (wobei mir selbst dieser Rohrkrepierer aus nostalgischen Gründen
zumindest eine winzige Winzigkeit bedeutet und immerhin „Where The Wild Wind Blows“ enthält), aber die Welt war nie sonderlich gerecht und zudem kann es mir persönlich natürlich auch schnurzpiepegal sein, ob andere Ohren seine Schönheit
er- oder
verkennen.
Ich kann nur jedem Nichteingeweihten dringend empfehlen, diesem wunderbaren Album einfach noch einmal eine unvoreingenommene Chance – mit weit offenen Ohren – zu geben. Und wenn dies erneut nicht klappt, dann ist es freilich auch nicht weiter schlimm, denn meine Liebe zu „Fear Of The Dark“ ist groß genug für dieses verkannte Stück Musikgeschichte.
Ich muss abschließend noch sagen, dass ich dankbar für diesen Thread bin, denn ohne ihn hätte ich „Fear Of The Dark“ gewiss nicht für mich wiederentdeckt – jedenfalls nicht in diesem Jahr 2020. Gerade auch in Kombination mit der – leider durch den Tod von Eddie bedingten – Renaissance des Backkatalogs von Van Halen bei mir plus der ebenfalls zufälligen Wiederentdeckung von Metallicas „...And Justice For All“ bin ich weit in die Ursuppe meiner Metal- und Hardrock-Initiationsphase zurückgereist. Die damaligen Tage, diese einstige Welt – es fühlt sich an wie der sprichwörtliche Himmel im Vergleich zur Lebenswirklichkeit des noch immer neuen Jahrhunderts respektive Jahrtausends. Man reiche mir bitte eine Zeitmaschine dahin zurück – und schnell! Bis dahin jedenfalls bade, erquicke und verliere ich mich weit mehr als lediglich anachronistisch-nostalgisch verzückt in Alben wie „Fear Of The Dark“ – welches tatsächlich sowie ohne jeden Zweifel eines der wichtigsten Alben meines Lebens ist.
(25.11.2020)
Anmerkungen: Einige hier werden es bereits kennen, da ich dieses Review im vergangenen Herbst schon im "Maidenmonth"-Thread veröffentlicht habe. Selbstredend gehört es aber auch hierher - ebenso wie "The Book Of Souls", das ich irgendwann auch noch einfügen werde (ursprünglich ohnehin sowohl bei XXL-Rock als auch in meinem
nicht von mir gelöschten "2015-Review"-Thread veröffentlicht [wenngleich für den "Maidenmonth" natürlich generalüberholt]). Sofern es mich überkommt, verfasse ich womöglich eines Tages weitere Texte zu anderen Iron-Maiden-Alben. Eine Kristallkugel müsste man haben...